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Terrorgruppe verurteilt: "Vereinte Patrioten" wollten Lauterbach entführen


Geplante Lauterbach-Entführung
Terrorgruppe verurteilt: Gericht rechnet mit Corona-Widerstand ab


06.03.2025 - 20:26 UhrLesedauer: 6 Min.
"Vereinte Patrioten": Die Urteile gegen die Mitglieder der Terrorgruppe sind in Koblenz gefallen.Vergrößern des Bildes
"Vereinte Patrioten": Die Urteile gegen die Mitglieder der Terrorgruppe sind in Koblenz gefallen. (Quelle: Lars Wienand)
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Sie wollten den Umsturz und bekommen nun teils langjährige Haftstrafen. In Koblenz sind die "Vereinten Patrioten" verurteilt worden. Für ihre Pläne mitsamt Lauterbach-Entführung hätten sie sogar Tote in Kauf genommen.

Das erste große Urteil gegen eine Terrorgruppe aus der Coronazeit ist da: Vier Männer und eine Frau kassieren als Rädelsführer und Mitglieder der terroristischen Vereinigung "Vereinte Patrioten" bis zu acht Jahre Freiheitsstrafe. Der Prozess in Koblenz hat gezeigt, wie aus Unmut über den Staat auch andere Gruppen ansprechbar waren für Putschpläne – und wie skrupellos der Großteil der Beteiligten einen solchen Umsturz plante: Tote unter Personenschützern und in der Bevölkerung waren als "Kollateralschaden" eingepreist. "Es muss auch wehtun", hatte einer der Angeklagten in einem abgehörten Gespräch gesagt.

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An mindestens zwei konkreten Punkten in den Plänen der Gruppe hätten Menschenleben auf dem Spiel gestanden: Zum einen wollte die Gruppe Gesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Live-Sendung bewaffnet entführen. Zum anderen sollten Strommasten an 16 neuralgischen Punkten gesprengt werden, um einen wochenlangen Blackout auszulösen. Auch wenn beides unrealistisch anmutet, die Vorsitzende Richterin Anne Kerber sagte in ihrer Urteilsbegründung am Donnerstag: "Das war keine Kasperletruppe."

Ermittlungen führten auch zur Gruppe von Prinz Reuß

Festgenommen worden waren die Mitglieder der "Vereinten Patrioten" bei der Übergabe zweier Kalaschnikows und mehrerer Pistolen im April 2022. Der Prozess begann dann im Mai 2023 und zog sich mit großem Aufwand über 106 Prozesstage. Bei den Ermittlungen waren die Behörden auch auf das deutlich größere Netzwerk um Heinrich XIII. Prinz Reuß gestoßen. Diese Beteiligten stehen aktuell noch in Frankfurt am Main, Stuttgart und München vor Gericht.

Die fünf in Koblenz verurteilten Personen könnten unterschiedlicher kaum sein: vom Alleinunterhalter über den Gleisbauer und den früheren NVA-Offizier und Buchhalter bis zur heute 77-jährigen Religionswissenschaftlerin. Die Interessen von Reichsbürgern aus der internationalen Holocaustleugner-Szene mischten sich mit denen von Menschen, die sich in der Coronazeit gegen Maskenpflicht und mögliche Zwangsimpfung wehren wollten und nur in einem Putsch einen Ausweg sahen.

Einer aus der Gruppe, Sven Birkmann aus Falkensee, verglich sich auch im Prozess noch mit den Geschwistern Scholl, also Widerstandskämpfern in der NS-Zeit, und berief sich auf das Recht auf Widerstand nach Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes. Dafür hatte die Senatsvorsitzende Anne Kerber eine persönliche Antwort: Die Coronazeit sei für manche Menschen schwer gewesen. Aber nicht jeder Grundrechtseingriff stelle einen Versuch dar, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen. Birkmann habe sich also nicht gegen einen solchen Versuch wehren dürfen, so Kerber. "Er hat selbst die Beseitigung angestrebt."

Theologie-Professorin Elisabeth R. lieferte ideologischen Überbau

Sein Part im großen Plan war es, Lauterbach zu entführen und die konstituierende Versammlung eines neuen Reichstags zu schützen. Den ideologischen Überbau für den Plan lieferte aus Sicht des Gerichts die frühere Theologie-Professorin Elisabeth R., die einem Netzwerk von antisemitischen Geschichtsrevisionisten angehört. Im Prozess fiel sie auch mit entsprechenden Äußerungen und Störungen auf, und behauptete, sie habe von Gewaltanwendung und Waffen nichts gewusst. Das Urteil für die 77-Jährige, die zum letzten Prozesstag wie stets zuvor mit offenem, weißen Haar, aber erstmals deutlich geschminkt erschien: sieben Jahre, neun Monate.

Dem Plan zufolge suchte die Gruppe 277 Männer, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 nachweisen konnten, als potenzielle Abgeordnete für den neuen Reichstag. Das Deutsche Reich nach der Verfassung von 1871 sollte so wieder reaktiviert werden. Sie hatte zudem ein Schreiben an den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgesetzt, der die neue Regierung anerkennen sollte.

Nach der Konstituierung des neuen Reichstags sollte deutschlandweit ein Blackout herbeigeführt werden, so die Idee. Der flächendeckende Stromausfall sollte die Deutschen von den "Falschnachrichten" der Medien fernhalten, damit sie zur Besinnung "auf sich selbst zurückfallen". Die Gruppe rechnete mit Widerstand und vielen Toten.

Für eine Verurteilung sei es irrelevant, "dass die Umsetzung des Gesamtplans oder einzelner Teile unrealistisch erscheint", so die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Der Gesamtplan sei zwar wenig Erfolg versprechend und dilettantisch gewesen. Ernst sei es den Beteiligten aber dennoch gewesen, so das Gericht.

Sven Birkmann hatte umfangreich gestanden

Das wussten die Ermittler bereits frühzeitig, weil Birkmann nach der Festnahme ein umfangreiches Geständnis abgelegt hatte – als einziger habe er Aufklärungshilfe geleistet, so die Senatsvorsitzende. Er hatte auch vor Gericht bereitwillig seine Motivation erklärt. t-online beschrieb das damals als "Lektion darüber, wie ein 'besorgter Bürger' zum Staatsfeind wurde". Er hatte auch keine Einwände gegen die Nennung seines Namens und verpixelte Fotos von sich. Beim Prozessauftakt hielt er ein russischsprachiges Schild hoch. Für den Umsturzplan hatte er sich eine Fahrt zu Putin und Hilfe vom russischen Militär erhofft.

Birkmann erhielt mit fünf Jahren und neun Monaten die geringste Strafe in der Gruppe der Rädelsführer. Zwischen drei und 15 Jahre sind der Strafrahmen für die zur Last gelegten Vorwürfe vor allem der Gründung einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund.

Die Beweise gegen die Gruppe waren erdrückend: Weil die Beteiligten auf dem Messengerdienst Telegram in den alarmierend wirkenden Gruppen Tag X und Veteranenpool Mitstreiter suchten, hatten die Ermittlungsbehörden frühzeitig einen verdeckten Ermittler einschleusen können, der auf vielen der Treffen ab dem 26. Oktober 2021 dabei war.

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Kaltblütigkeit schockierte verdeckten Ermittler

Er sei schockiert gewesen, wie kaltblütig bei einer Zusammenkunft davon gesprochen worden war, Kollegen von ihm "abzuknallen", zitierte die Richterin den verdeckten Ermittler. Er vermittelte schließlich den Waffendeal, bei dem schließlich der Zugriff erfolgte. Das sei aber keine "Tatprovokation", so das Gericht: Die Köpfe hätten zu der Zeit vielfältige Möglichkeiten der Waffenbeschaffung ins Kalkül gezogen, so das Gericht.

Ein Neonazi in Bayern etwa hatte in Aussicht gestellt, zehn Tonnen Waffen vom Balkan besorgen zu können. Gegen ihn gab es ein separates Verfahren wie gegen weitere Personen aus dem Umfeld der Gruppe, zum Teil stehen Prozesse noch bevor. Einige der Angesprochenen waren aber auch zu den Behörden gegangen.

Denn die Gruppe brauchte für ihre Pläne viele Helfer. Vor allem Thomas O. aus der Pfalz war fast Tag und Nacht im Einsatz, um mögliche Mitstreiter zu rekrutieren. Er akzeptierte als einziger sein Urteil sofort – sechs Jahre und sechs Monate. Er habe glaubwürdig Reue gezeigt und sich von seiner Ideologie distanziert, so die Richterin. Während der aktiven Zeit der Gruppe war er es jedoch, der immer gewalttätigere Fantasien geäußert hatte. Auch er gehörte zum "militärischen Arm", verschickte Pläne des Stromnetzes mit 16 markierten "Spielplätzen" – Orten, an denen Mitstreiter die Masten umlegen sollten. Ein solches Vorgehen hätte katastrophale Folgen haben können, hatte ein Gutachter vor Gericht erklärt. Allerdings sei dafür Thermit mit hoher Wahrscheinlichkeit ungeeignet.

"Vereinte Patrioten"-Mitglied Thomas K. schon frei

50 Kilogramm von diesem Sprengmittel hatte Gleisbauarbeiter Thomas K. aus Bayern besorgen wollen. Der Prepper, der laut der Richterin mit "deutlichen rechtsradikalen Neigungen und einer beeindruckenden Sammlung von Messern" anderen auch zeigen wollte, wie Schusswaffen selbst gebaut werden könnten. Er wollte zudem Karl Lauterbachs Wohnsitz auskundschaften. Als einziger aus dem Quintett wurde er nur wegen seiner Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung verurteilt. Er erhielt die niedrigste Strafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Bis auf die Bereitschaft, Thermit zu besorgen, hatte er die Vorwürfe eingeräumt. Er kam im September bereits aus der U-Haft und befinde sich auf gutem Weg, so das Gericht: "Er hat sogar bei seinem alten Arbeitgeber wieder anfangen können."

Die höchste Strafe erhielt mit acht Jahren Alleinunterhalter Michael H. aus Bad Zwischenahn, Betreiber des Telegramkanals "Nix ist wie es scheint", in dem auch Größen der Coronazeit zu Gast waren. Er vertrat darin auch Reichsbürgerideen. Über diesen Kanal war Birkmann auf ihn aufmerksam geworden, er stand in Kontakt mit Elisabeth R. und gehörte wie sie einer Reichsbürgergruppe "W.I.R." an.

Für das Gericht war er der "Mittler" zwischen den Lagern: Wenn Elisabeth R. oberlehrerhaft Birkmann und O. gegen sich aufbrachte, brachte er sie wieder zusammen. Er stellte auch den Kontakt zu einem Finanzier her, für den 50.000 Euro zum Waffenkauf angeblich "kein Problem" waren und erklärte sich bereit, zunächst die Aufgabe des Reichskanzlers zu übernehmen. Strafverschärfend kam bei ihm hinzu, dass er sehr widersprüchliche Angaben zu seiner Rolle gemacht hatte und schon einige Vorstrafen besitzt.

Verwendete Quellen
  • Teilnahme beim Prozess
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