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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Hells-Angel im Interview "Für normale Bürger eine Gefahr"
Die Hells Angels sind für ihre Nähe zur Gewalt bekannt. Doch wie gefährlich sind sie wirklich?
Mord, Drogenhandel oder Waffenbesitz: Rockergruppen wie die Hells Angels stehen immer wieder in den Schlagzeilen. In der deutschen Öffentlichkeit hielt sich die wohl größte Rockergruppe der Welt in den vergangenen Jahren allerdings eher bedeckt. Aufgrund von kriminellen Umtrieben wurden bereits 14 regionale Clubs der Hells Angels in Deutschland verboten.
- Gefährliche Rockergruppe Hells Angels: Die Abgründe unter der Kutte
Anfang des Jahres traten plötzlich Mitglieder der Hells Angels als Ordner bei öffentlichen Veranstaltungen in Hannover auf. Aber wie viel Gefahr geht von den Höllenengeln heute noch aus? t-online hat bei dem Ex-Hells-Angel Kassra Zargaran nachgefragt.
t-online: Herr Zargaran, zuletzt traten Mitglieder der Hells Angels bei Eishockeyspielen als Ordner in Erscheinung. Viele Fans reagierten verängstigt. Ist die Angst berechtigt?
Kassra Zargaran: Die Angst ist auf jeden Fall berechtigt. Das sind keine normalen Menschen – Hells Angels scheren sich nicht um Staat oder Polizei. Da ist es vollkommen egal, was passiert.
Was meinen Sie damit?
Diese Leute arbeiten nie mit der Polizei zusammen. Sie machen keine Aussagen, egal ob es ihnen schaden könnte oder nicht. Da könnte ein Kind vor deren Augen erschossen werden und sie würden nichts sagen. Nur mal, um den Rahmen klarzumachen, was das für Menschen sind.
Trotzdem geht von dem Schweigen bei der Polizei erst mal keine Gefahr aus.
Die Jungs lassen auch sonst nicht mit sich reden, sie nehmen sich, was sie wollen. Stellen Sie sich nur mal vor, Sie gehen nach einer harten Arbeitswoche ins Stadion und wollen das Spiel Ihres Vereins sehen. Wenn den Hells Angels Ihr Sitzplatz gefällt, kann es gut passieren, dass sie sich einfach Ihre Karte nehmen oder einfach nur sagen 'Platz machen, hier sitzen wir'. Wenn dann Widerworte kommen, können Sie davon ausgehen, dass Sie nicht mehr lange sitzen, die würden direkt zuschlagen. Diese Menschen setzen sich immer durch – Gewalt ist für sie ein legitimes Mittel. Das geht ganz schnell, deshalb sind sie für normale Bürger natürlich eine Gefahr.
Nach außen versuchen sich die Höllenengel immer wieder bürgernah zu geben. Allen voran das Gesicht der Hells Angels in Deutschland, Frank Hanebuth. Ist da was dran?
Das ist alles Quatsch. Gerade Frank Hanebuth versucht immer wieder, das Image aufzupolieren, indem er betont, dass die Hells Angels die Guten sind. Aber nein, das sind sie definitiv nicht!
Auch wenn die Hells Angels mittlerweile Pressesprecher haben und viel dafür tun, in der Öffentlichkeit gut dazustehen, ist es immer noch ein Club, der seine Mitglieder für Morde auszeichnet und belohnt.
Das ist eine harte Anschuldigung.
Es ist Teil des Konzepts der Hells Angels. Ich war lange Teil des Ganzen, ich habe das selbst erlebt und in der Vergangenheit auch vertreten – heute natürlich nicht mehr. Es werden Mitglieder dafür ausgezeichnet, dass sie anderen Menschen, vor allem Polizisten, Gewalt antun – das ist Fakt. Sie lehnen den Rechtsstaat komplett ab. Die Clubmitglieder leben in ihrer eigenen Welt.
Warum bleiben die Hells Angels dann nicht in dieser "eigenen Welt"? Warum treten sie bei Sportveranstaltungen in Erscheinung?
Das ist tatsächlich nichts Neues. Sicherheitsdienste sind ein klassisches Gewerbe aus dem Rockermilieu, das war auch zu meiner Zeit schon so. Es bietet sich an, weil viel Geld damit zu verdienen ist und die Clubs Mitglieder haben, die allein durch ihr Auftreten Gewalt ausstrahlen. Die Leute wissen, wenn die Hells Angels da sind, dann macht man kein Theater.
Welche Rolle spielt Macht bei dem Ganzen?
Macht spielt definitiv eine Rolle. Mit solchen Aufträgen kann gut das eigene Revier abgesteckt werden. Aber der größte Faktor dürfte das Geld sein. Die Aufträge sind meist anständig bezahlt und den Mitarbeitern wird relativ wenig gezahlt, da bleibt am Ende viel übrig.
In Hannover haben sich die Hells Angels durch Armbinden klar als Clubmitglieder zu erkennen gegeben und sind nicht etwa als Sicherheitsfirma aufgetreten.
Das hat mich sehr gewundert. Damit sollte mit Sicherheit eine Botschaft vermittelt werden, anders kann ich es mir nicht erklären. Die Hells Angels gelten bundesweit als kriminelle Vereinigung und mit solchen Aktionen macht man Zoll und Polizei auf sich aufmerksam. Für ein solches Auftreten, mit Hells-Angels-Hannover-Armbinden, hat es mit Sicherheit einen Anlass gegeben. Welcher das gewesen sein könnte, weiß ich allerdings nicht.
In jedem Fall muss diese Situation Konsequenzen haben. Der Veranstalter muss hierfür, egal ob er davon wusste oder nicht, zur Rechenschaft gezogen werden. Es kann nicht sein, dass die Hells Angels bei solch großen Veranstaltungen der Öffentlichkeit auf der Nase herumtanzen. Hier hätte die Polizei eingreifen müssen.
Kuttenverbote, Vereinsverbote, Razzien: Die Hells Angels stehen im Fokus der Ermittlungsbehörden. Wie viel haben die Maßnahmen bisher gebracht?
Dass jemand kriminell wird, lässt sich nie komplett verhindern. Aber die Verbote haben in jedem Fall Wirkung gezeigt. Auch die Strategie der tausend Nadelstiche scheint effektiv zu sein. Also, dass es ständige Kontrollen von Gewerbeämtern, Zoll und Polizei gibt. Einige Leute haben sich deswegen aus den Strukturen zurückgezogen. Ich habe selbst schon Vorträge bei der Polizei gehalten, wo ich den Beamten zu maximalem Druck und Überwachung geraten habe.
Zur Person
Kassra Zargaran wurde 1986 in Hamburg geboren. Er war zwischen 2010 und 2014 Mitglied der Hells Angels. Er saß sieben Jahre für die Beteiligung an einem Mord im Gefängnis. Während des Prozesses sagte er als Kronzeuge aus. In der Szene war als der "Perser" bekannt. Den Spitznamen bekam er von einem Freund, sein Vater stammt ursprünglich aus dem Iran, der früher das "Reich Persien" hieß. Seine Geschichte kann im Buch "Der Perser" nachgelesen werden.
Im Großen und Ganzen wirken die Hells Angels in der Öffentlichkeit nicht mehr so präsent wie noch vor zehn Jahren. Wie würden Sie die aktuelle Stärke der Szene bewerten?
Die Wahrnehmung ist erst mal sehr subjektiv. Die Leute verschwinden nicht nur, weil sie keine Kutten oder Logos mehr tragen dürfen, auch wenn es für viele so wirkt. Durch die Verbote und den Ermittlungsdruck wurden die Strukturen aber auf jeden Fall geschwächt. Davon erholen sie sich aber langsam wieder. Bei den Hells Angels muss das Ganze regional betrachtet werden.
In welcher Region gibt es die meiste Entwicklung?
In Nordrhein-Westfalen baut sich gerade wieder etwas auf. Es gab auch einige Übertritte zwischen verschiedenen Clubs, vorwiegend von Hells Angels zu den Bandidos. Hier sehe ich eine Wiederbelebung des ganzen Milieus. In Berlin ist es hingegen ganz anders – hier sind die Strukturen nachhaltig zerschlagen. In Hamburg laufen die Strukturen relativ kontinuierlich weiter.
Es muss dazu gesagt werden, dass nicht alle Hells Angels Drogen verkaufen oder anderen illegalen Geschäften nachgehen. Trotzdem sind sie Teil einer kriminellen Vereinigung und schaffen mit ihrer Mitgliedschaft auch Rahmenbedingungen, in denen andere illegale Aktivitäten ausüben können. Das darf man nicht verharmlosen.
Welche Menschen treten den Clubs bei – gibt es da ein Muster?
Grob können die Menschen in den Clubs in drei Kategorien eingeteilt werden. Die einen nutzen den Club, um sich selbst darstellen zu können. Dann gibt es aber auch Leute, die Macht ausüben wollen, das sind häufig auch die, die anderen gerne Gewalt antun. Und in Kategorie drei finden sich Menschen, die Geschäfte machen, welcher Art auch immer, und diese über den Club absichern wollen, dafür nutzen sie die Stärke und den Namen des Clubs.
Die Hells Angels haben das Image eines Motorradclubs. Welche Rolle spielt das Motorradfahren in den Clubs wirklich?
Da ist nicht mehr viel mit Motorradfahren. Klar gibt es noch einzelne Gruppen, die Ausfahrten machen, aber der Großteil fährt nicht mehr. Das hat sich in Deutschland seit 2010 sukzessive abgebaut. Zu den großen Clubtreffen wird heute eher mit dem Luxusauto gefahren.
Herr Zargaran, danke für das Gespräch.
- Interview mit Kassra Zargaran