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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Frauen in Hinterhalt gelockt Der Mord am Traumschloss
Wo sonst Menschen hinkommen, um einen außergewöhnlichen Blick zu genießen, ereignete sich am Mittwoch eine brutale Gewalttat. Wie konnte das geschehen?
In der Nähe von Schloss Neuschwanstein in Bayern hat ein Mann am Mittwoch zwei junge Touristinnen angegriffen und einen Berg hinuntergestürzt. Die jüngere der beiden (21) starb infolge der Gewalttat, ihre 22-jährige Freundin liegt verletzt im Krankenhaus. Nach einem Großeinsatz der Polizei konnte der mutmaßliche Täter nun gefasst werden. Doch was genau ist am Schloss Neuschwanstein passiert? Wie konnte es zu dem Verbrechen kommen? Und wer ist der Verdächtige? t-online mit dem Überblick.
Was ist passiert?
Am Mittwochnachmittag hat ein Mann zwei Frauen unweit der historischen Marienbrücke am Schloss Neuschwanstein im bayerischen Allgäu angegriffen. Demnach soll der Mann zunächst eine 21-jährige Frau angegriffen haben. Als ihre 22 Jahre alte Freundin einschreiten wollte, würgte der Täter diese und stieß sie dann einen steilen Abhang in Richtung der Pöllat hinab. Die Pöllat ist ein Wildbach und verläuft in einer Schlucht unterhalb von Neuschwanstein.
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Dann soll es zu einem versuchten Sexualdelikt an der 21-Jährigen gekommen sein. "Das ist aber noch nicht belastbar", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Kempten am Donnerstag. Anschließend habe der Mann auch die zweite Frau den Berg hinuntergestoßen. Etwa 50 Meter tiefer an einem Abhang lagen die beiden verletzten Frauen nebeneinander, sie mussten von der Bergwacht geborgen werden. Die ersten Notrufe gingen gegen 14.40 Uhr ein.
Die Jüngere wurde schwer verletzt mit einem Hubschrauber in eine Klinik gebracht, sie erlag in der Nacht auf Donnerstag ihren Verletzungen. Die 22-Jährige war nach der Bergung ansprechbar und kam ebenfalls in ein Krankenhaus. Ein Polizeisprecher sagte, die Frau sei leicht verletzt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft vom Freitag habe sie eine Platzwunde am Kopf und Prellungen und Schürfwunden erlitten, und sei noch im Krankenhaus.
In welcher Verbindung stand das Trio zueinander?
Die zwei Freundinnen und der 30 Jahre alte Mann hatten sich kurz vor dem Angriff auf einem Wanderweg nahe dem Schloss kennengelernt, heißt es in einer Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Schwaben. Es sei eine Zufallsbegegnung gewesen. Der "Augsburger Allgemeinen" zufolge hatte der Mann die Frauen angesprochen. Dann lockte er sie in einen Hinterhalt, wie Sie hier lesen können.
Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich um einen US-Amerikaner handeln, der als Tourist in Deutschland war. Wie die "Allgäuer Zeitung" berichtete, übernachtete der Mann in Oberstdorf in einer Pension und war für einen Tag auf Neuschwanstein zu Besuch. Der Verdächtige ist laut Einreisestempel erst im Juni in die Bundesrepublik gekommen, wie der "Spiegel" am Freitag berichtete. "Wir haben keine Erkenntnisse auf einen Wohnort in Deutschland", sagte Polizeioberkommissar Holger Stabik dem Nachrichtenmagazin. "Alles deutet auf einen kurzfristigen Aufenthalt hin."
Auch die beiden Frauen sollen als Touristinnen in der Region unterwegs gewesen sein und laut der Deutschen Presse-Agentur ebenfalls aus den USA kommen. Weitere Informationen zur Identität von Opfern und mutmaßlichem Täter waren am Freitag zunächst nicht bekannt.
Schloss Neuschwanstein
zählt zu den berühmtesten und meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Deutschlands. In der Vergangenheit kamen mitunter fast eineinhalb Millionen Besucher pro Jahr dorthin. Die historische Marienbrücke gewährt eine Aussicht auf die Pöllatschlucht und das darüber befindliche Schloss. Direkt unter ihr befindet sich der große Pöllat-Wasserfall mit ca. 30 Meter Fallhöhe.
Was geschah nach der Tat?
Der mutmaßliche Täter floh nach dem Angriff auf die beiden Frauen vom Tatort. Die Polizei fahndete umgehend nach ihm. Dabei waren sowohl die Grenzpolizei als auch Suchhunde und ein Polizeihubschrauber beteiligt. Polizeikräfte nahmen den Mann wenig später in Tatortnähe fest. Ein Augenzeuge sagte der Nachrichtenagentur AP über die Festnahme: "Er sagte kein einziges Wort, murmelte nicht mal oder öffnete seinen Mund." Der Mann habe Kratzer im Gesicht gehabt.
Am Donnerstag wurde der 30-Jährige dem zuständigen Ermittlungsrichter am Amtsgericht Kempten vorgeführt, der einen Haftbefehl gegen ihn erließ. Demnach befindet sich der Mann gegenwärtig in Untersuchungshaft. Er habe sich bei der Vorführung beim Haftrichter zwar geäußert, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Über den Inhalt der Aussage des Mannes machte er zunächst aber keine Angaben.
Die Vorwürfe lauten versuchter Mord, Mord sowie ein Sexualdelikt. Hinsichtlich Letzterem müssten die Ermittlungen aber noch abgewartet werden, sagte Staatsanwalt Thomas Hörmann am Freitag dem Bayrischen Rundfunk. Belastbare Angaben könnten hierzu noch nicht gemacht werden. Über das Motiv des 30-Jährigen war am Freitagmorgen noch nichts bekannt.
Eine Auslieferung komme derzeit nicht in Betracht, nachdem die deutschen Behörden das Ermittlungsverfahren führten, sagte Staatsanwalt Hörmann. Im Fall einer Verurteilung sei später eine Überstellung zur Strafvollstreckung denkbar.
Wie geht die Polizei nun vor?
Die Polizei hofft nun darauf, dass andere Besucher des Schlosses Hinweise geben können, um die Tat zu rekonstruieren. Zeugen, welche die Tat beobachtet oder im Vorfeld etwas gesehen haben, sollen sich unter der Telefonnummer 0831/9909-0 melden. Zudem können Fotos oder Videos, die am Mittwoch im Umfeld des Schlosses gemacht wurden, über eine Internetseite an die Polizei geschickt werden. Die Beamten wollen dann prüfen, ob auf den Bildern die Frauen oder der US-Amerikaner zu sehen sind.
Die Polizei geht davon aus, dass es viel Bild- und Videomaterial gibt. Doch es habe etwas gedauert, die Menschen zu erreichen, die am Tattag vor Ort gewesen sind, hieß es. Bis Freitagmorgen waren laut einem Sprecher nur etwa ein Dutzend Fotos und Videos eingereicht worden. Diese werte man nun aus.
Wie reagieren die USA und die betroffene Gemeinde in Bayern?
Das US-Außenministerium erklärte, Kenntnis über den Fall zu haben. Das US-Konsulat in München beobachte die Situation genau und stehe in Kontakt mit den zuständigen Behörden, sagte Sprecher Matthew Miller in Washington. Aus Datenschutzgründen könne er aber keine weiteren Angaben machen.
Nach dem tödlichen Angriff in seiner Kommune zeigte sich der Bürgermeister der Gemeinde Schwangau, Stefan Rinke, tief betroffen. "Unser Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Familien", sagte er am Donnerstag dem Radiosender Antenne Bayern. Eine solche Straftat habe es bisher in Schwangau nicht gegeben. Es handele sich um einen "schockierenden Einzelfall", der sich nicht auf die allgemeine Sicherheitslage in Schwangau auswirke, betonte er.
Die Ermittlungen am Tatort seien bereits abgeschlossen und für die Besucher seien keine Spuren oder Absperrungsmaßnahmen mehr wahrnehmbar. "Die Sicherheit unserer Gäste ist voll gewährleistet", sagte Rinke am Freitag der dpa.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- Pressemitteilung der Polizei Bayern: Ermittlungen nach Tötungsdelikt nahe der Marienbrücke (15.06.2023)
- hohenschwangau.de: "Die Marienbrücke über der Pöllatschlucht"
- allgaeuer-zeitung.de: "'Hatte Kratzer im Gesicht': Das sagt ein Augenzeuge über den mutmaßlichen Neuschwanstein-Täter"
- augsburger-allgemeine.de: "Tourist stößt Frauen bei Marienbrücke in Schlucht – eine Rekonstruktion"
- br.de: "Gewalttat bei Schloss Neuschwanstein: Was wir bisher wissen"
- spiegel.de: "Tatverdächtiger laut Einreisestempel erst im Juni nach Deutschland gekommen" (kostenpflichtig)