Weltweite Missbrauchsskandale Der katholischen Kirche drohen neue Schockwellen
Die katholische Kirche wird seit Jahrzehnten von Missbrauchsskandalen erschüttert. An diesem Donnerstag legt eine Kanzlei ein möglicherweise brisantes Gutachten dazu vor. Das Problem geht weit über Deutschland hinaus.
Im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in Deutschland wird am Donnerstag (11 Uhr) im Erzbistum München und Freising ein mit Spannung erwartetes Gutachten vorgestellt. Die Anwaltskanzlei Westphal Spilker Wastl arbeitet darin Missbrauchsfälle im Zeitraum 1945 bis 2019 auf. Dies sorgt auch international für Aufmerksamkeit, weil in dieser Zeit der spätere Papst Benedikt XVI. als Bischof Joseph Ratzinger für das Erzbistum verantwortlich war.
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Während Ratzingers Bischofszeit wurde 1980 ein pädophiler Priester aus dem Bistum Essen nach München versetzt, der in Bayern unbehelligt weitere Missbrauchstaten verüben konnte. Benedikt bestreitet, damals von der Vorgeschichte des Geistlichen gewusst zu haben. Eine der brisantesten Fragen wird, ob das Gutachten dies bestätigt, und auch, wie die Gutachter das Handeln des aktuellen Münchner Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, bewerten. Mehr Infos dazu lesen Sie hier.
Enthüllungen über Missbrauchsskandale erschüttern die katholische Kirche damit erneut in Deutschland. Doch auch in anderen Ländern spielt das Thema gerade eine große Rolle. Ein Überblick.
DEUTSCHLAND
Der katholischen Kirche in Deutschland ist es seit dem Bekanntwerden ihres Missbrauchsskandals im Jahr 2010 nicht gelungen, wieder Vertrauen aufzubauen. Im Gegenteil: Missbrauchsopfer verlangen inzwischen eine staatliche Aufklärung, da sie der Kirche das nicht mehr zutrauen. Diese hat in den vergangenen Jahren immer wieder ihre Verfahren verändert. Auch mittlerweile mögliche Entschädigungszahlungen von bis zu 50.000 Euro je Opfer reichen den Betroffenen aber nicht.
Ein Herzstück der Aufklärung der deutschen Kirche ist die im Jahr 2018 von der Bischofskonferenz vorgelegte sogenannte MHG-Studie. Nach Auswertung von Personalakten und anderen Dokumenten gab es mindestens 1.670 Kleriker, die zwischen 1946 und 2014 mindestens 3.677 Kinder missbrauchten. Die meisten waren demnach Jungen unter 13.
Besonders viel Streit gibt es um die Aufarbeitung in den von Kardinälen geführten Erzbistümern Köln und München. In Köln löste Kardinal Rainer Maria Woelki eine Austrittswelle aus, nachdem er immer wieder die Veröffentlichung eines Gutachtens verzögerte.
Woelki nimmt gerade eine Auszeit, soll aber Aschermittwoch zurückkehren. In München wollte Kardinal Reinhard Marx schon vergangenes Jahr und damit vor dem für Donnerstag erwarteten Gutachten zurücktreten. Papst Franziskus lehnte dies aber ab.
FRANKREICH
Nach dem 2021 veröffentlichten Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission waren in Frankreich seit 1950 schätzungsweise 216.000 Minderjährige von katholischen Priestern und Ordensleuten sexuell missbraucht worden. Die Zahl steigt auf 330.000 Opfer, wenn Täter mitgezählt werden, die als Laien in katholischen Einrichtungen Dienst taten.
Eine nationale Instanz befasst sich derzeit mit den Anträgen der Opfer. Die Höhe der Entschädigungen ist noch nicht entschieden. Die Bischofskonferenz hatte angekündigt, sich auch von Immobilien zu trennen, um die Entschädigungen zu finanzieren.
Der Bericht hatte eine Schockwelle in Frankreich ausgelöst. Die Bischofskonferenz bekannte sich erstmals zur institutionellen Verantwortung der Kirche. Die Kirche habe die Opfer "weder angehört noch begleitet".
USA
Zwischen 1950 und 2013 gab es in der katholischen Kirche der USA 17.000 Beschwerden wegen sexueller Gewalt. Die Vorwürfe richteten sich gegen rund 6.400 Geistliche. Experten bezifferten im Jahr 2012 die Zahl der minderjährigen Opfer auf schätzungsweise 100.000.
Allein im Bundesstaat Pennsylvania missbrauchten mehr als 300 katholische Priester über Jahrzehnte hinweg mehr als tausend Kinder, wie ein 2018 veröffentlichter Bericht ans Licht brachte.
Wegen ihrer Verstrickung in Missbrauchsskandale verloren zwei US-Kardinäle ihre Ämter: Kardinal Donald Wuerl trat nach Vorwürfen zurück, er habe den Missbrauch in Pennsylvania vertuscht. Kardinal Theodore McCarrick wurde sexueller Missbrauch Minderjähriger zur Last gelegt. Daraufhin wurde er von Papst Franziskus aus dem Klerikerstand entlassen.
Nach Schätzung von Anwälten wurden mittlerweile 11.000 Klagen von Opfern pädophiler Priester eingereicht. Die Diözesen haben schätzungsweise Hunderte von Millionen Dollar Entschädigungen gezahlt. Opferverbände beklagen, dass die Täter nicht systematisch vor Gericht gestellt werden.
AUSTRALIEN
Nach mehreren Skandalen ermittelte eine nationale Kommission von 2013 bis 2017 zu Missbrauchsfällen in der Kirche, aber auch in Sportvereinen, Privatschulen und Waisenhäusern. Dabei kam heraus, dass 58 Prozent der Fälle in katholischen Einrichtungen stattfanden.
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Zwischen 1950 und 2019 wurden etwa sieben Prozent der Priester sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Zwischen 1980 und 2015 wurden innerhalb der Kirche etwa 4.400 Fälle gemeldet. Die Anhörungen der Opfer waren live im Fernsehen übertragen worden, was im Land für Entrüstung gesorgt hatte.
Die Kommission hatte sich auch mit Kardinal George Pell befasst, der in einem ersten Verfahren 2018 wegen sexuellen Missbrauchs zweier Jugendlicher zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war. Das Oberste Gericht Australiens hob das Urteil gegen den früheren Finanzchef des Vatikans im vergangenen Jahr in allen Punkten auf.
IRLAND
In Irland gibt es seit vielen Jahren Vorwürfe des Kindesmissbrauchs in katholischen Einrichtungen. Einem Bericht von 2009 zufolge wurden seit den 1930er-Jahren Kinder in katholischen Schulen und Waisenhäusern häufig Opfer sexueller, aber auch physischer und psychologischer Gewalt.
Mehrere Bischöfe und Priester wurden wegen sexueller Gewalt oder wegen Vertuschung solcher Taten bereits bestraft. Die Skandale brachten der einst mächtigen katholischen Kirche in Irland einen dramatischen Vertrauensverlust.
- Nachrichtenagentur AFP