Katastrophe in Israel Zahl der Todesopfer nach Massenpanik steigt an
Tausende Pilger hatten im Norden Israels den jüdischen Feiertag Lag Baomer begangen, eine Massenpanik endete für mindestens 45 von ihnen tödlich. Der Regierungschef setzt Untersuchungen in Gang.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat eine umfassende Untersuchung der Massenpanik mit Dutzenden Toten im Norden des Landes angekündigt. Es gelte sicherzustellen, dass sich eine solche Katastrophe nicht wiederhole, sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros am Freitag im Wallfahrtsort Meron. Er kam dort unter anderem mit Polizeivertretern zusammen, um sich über das Unglück zu informieren.
Netanjahu sprach von einer der größten Katastrophen des Staates Israel. Den Trauernden bekundete er sein Mitgefühl, den Verletzten wünschte er vollständige Genesung. Der 71-Jährige rief dazu auf, keine Gerüchte in sozialen Medien zu verbreiten. Für Sonntag kündigte er einen nationalen Trauertag an.
Dutzende Tote, mindestens 150 Verletzte
Am Tag nach der Massenpanik erhöhte sich die Zahl der Todesopfer auf 45. Dutzende Verletzte wurden in sechs verschiedene Krankenhäuser gebracht, wie das Gesundheitsministerium am Freitag ferner mitteilte. Der Rettungsdienst sprach von mehr als 150 Verletzten.
Ein Sprecher des Rettungsdienstes Magen David Adom sprach am frühen Freitagmorgen von einer "unfassbaren Katastrophe". Zahlreiche Menschen seien lebensgefährlich verletzt worden.
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Die Polizei hat nun erste Ermittlungen aufgenommen. "Es war eine schlimme, tragische Nacht", sagte der für den Norden zuständige Polizeichef Schimon Lavi. "Ich trage die übergreifende Verantwortung, im Guten wie im Schlechten."
Ursache war offenbar eine rutschige Rampe
Die Verletzten wurden in umliegende Krankenhäuser gebracht, einige auch per Rettungshubschrauber. Die Polizei versuchte, das Gelände zu räumen. Zufahrtsstraßen wurden abgesperrt. Israels Präsident Reuven Rivlin schrieb bei Twitter, er verfolge die Berichte aus Meron und bete für die Genesung der Verletzten.
Nach ersten Erkenntnissen begann die Massenpanik, als Menschen auf einer abschüssigen Rampe mit Metallboden und Wellblech-Trennwänden auf beiden Seiten ausgerutscht sind. Die dicht gedrängten Feiernden fielen dann übereinander. In ersten Medienberichten war zudem vom Einsturz einer Tribüne die Rede gewesen.
Chaos vor Ort
Augenzeugen warfen der Polizei vor, sie habe Leute in das abgesperrte Areal gelassen, obwohl es schon extrem voll gewesen sei. Nach Beginn der Panik habe die Polizei dann nicht schnell genug Ausgänge auf der anderen Seite geöffnet, so die Kritik. Insgesamt waren rund 5.000 Sicherheitskräfte im Einsatz.
Ein Sprecher des Rettungsdienstes Zaka sagte dem israelischen Fernsehen, vor Ort herrsche Chaos, viele Kinder seien von ihren Eltern getrennt worden. Man bemühe sich, sie wieder zusammenzuführen. "Ich bin seit mehr als 20 Jahren beim Rettungsdienst, so etwas habe ich noch nie gesehen", sagte er. "Das sind unfassbare Zahlen." Auch ein Sanitäter sagte, er habe schreckliche Bilder gesehen.
Strenggläubige blockieren Polizisten
Hunderte Strenggläubige haben sich Berichten zufolge zudem geweigert, den Unglücksort zu verlassen. Wie die "Times of Israel" berichtete, folgten sie den Anweisungen der Polizei nicht. Es sei auch zu Auseinandersetzungen gekommen, unweit des Ortes der Panik. "Sie blockieren uns ohne Grund", zitierte die Zeitung einen Anwesenden. "Ich will beten." Auch im Fernsehen waren Bilder der Konfrontationen zu sehen.
Der Polizei zufolge gab es Probleme mit dem Handyempfang, weil viele versuchten, ihre Angehörigen telefonisch zu erreichen. Die Polizei verwies für Auskünfte auf eine spezielle Festnetz-Rufnummer.
Tausende Ultraorthodoxe hatten in Meron den jüdischen Feiertag Lag Baomer begangen. In sozialen Netzwerken war vor dem Unglück in Videos zu sehen, wie die Menschen sangen, tanzten und hüpften.
Reaktionen aus der Politik
Auch die Politik reagierte auf die tragischen Ereignisse. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) schrieb auf Twitter: "Die Nachrichten, die uns heute Morgen von der Tragödie (...) in Israel erreichen, sind erschütternd. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen."
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Bundesregierung sprachen ebenso ihr Beileid aus. "Diese Katastrophe, die vielen Menschen das Leben gekostet hat, macht uns fassungslos. Es ist eine Tragödie, die uns zutiefst erschüttert", schrieb Steinmeier am Freitag an den israelischen Präsidenten Reuven Rivlin. Das Fest, "dem so viele mit großer Freude entgegengesehen hatten, hinterlässt nun nichts als Schmerz und Trauer".
Zudem brachte der EU-Außenbeauftragte Josep Borell seine Anteilnahme für die Betroffenen der Katastrophe zum Ausdruck. "Die Europäische Union spricht den Familien und Freunden der Opfer sowie dem israelischen Volk ihr tiefstes Beileid aus und wünscht den Verletzten eine rasche Genesung."
Biden: USA wollen Unterstützungen anbieten
Am Freitagabend hat auch US-Präsident Joe Biden in einem Telefonat mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im Namen des amerikanischen Volkes sein "tiefes Beileid" bekundet. Biden sprach in einer Mitteilung am Freitag von einer "schrecklichen Tragödie": Es sei "herzzerreißend", dass Menschen bei der Ausübung ihres Glaubens gestorben seien. "Unsere Gebete sind bei denen, die verletzt wurden, und bei all denjenigen, die Angehörige verloren haben", erklärte Biden.
Der US-Präsident habe sein Team angewiesen, Israel bei der Bewältigung der Katastrophe und der Versorgung von Verletzten Unterstützung anzubieten, hieß es weiter. Die USA arbeiteten zudem daran, Berichte zu verifizieren, wonach amerikanische Staatsbürger unter den Opfern seien.
Was hat es mit dem Fest auf sich?
Lag Baomer ist ein Fest, bei dem unter anderem an den jüdischen Aufstand gegen die römischen Besatzer unter Rebellenführer Bar Kochba erinnert wird. Er war im Jahre 132 ausgebrochen und rund drei Jahre später niedergeschlagen worden. Der Überlieferung nach endete an dem Tag von Lag Baomer eine Epidemie, an der damals zahlreiche jüdische Religionsschüler gestorben waren.
Rabbi Schimon Bar Jochai, der auch an dem Aufstand gegen die Römer beteiligt war, liegt auf dem Berg Meron begraben. Sein Grab ist ein Wallfahrtsort, den an dem Feiertag jedes Jahr Tausende besuchen. Traditionell werden dann auch Lagerfeuer angezündet. Im vergangenen Jahr waren die Feiern wegen der Corona-Pandemie stark eingeschränkt worden.
- Nachrichtenagenturen afp und dpa
- Haaretz: "At Least 38 Killed at Overcrowded Lag Ba'Omer Event in Northern Israel" (englisch)