Neuer Migrationshotspot im Atlantik "Spanisches Lampedusa": Urlaubsinsel schlägt Alarm
Beim Thema Migration gerät immer wieder die italienische Insel Lampedusa in den Blick. Inzwischen spitzt sich die Lage aber auch auf den Kanaren zu.
Eine andauernde Zunahme der Ankünfte von Migranten stellt die Kanaren und vor allem die kleine Insel El Hierro vor große Probleme. Wie der "Tagesspiegel" berichtete, sind in diesem Jahr bereits mehr als 32.000 Menschen in Fischerkähnen und Schlauchbooten auf die Inseln des zu Spanien gehörenden Atlantik-Archipels gelangt. Die meisten Boote landeten auf El Hierro.
Die Insel hat gut 11.000 Einwohner und ist einem solchen Zustrom von Migranten nach eigenen Angaben nicht gewachsen. Einige Medien sprechen bereits vom "spanischen Lampedusa". Auch die italienische Insel Lampedusa gehört zu den Knotenpunkten irregulärer Migration nach Europa.
Inselpräsident Armas: "Nicht mal der Bäcker ist darauf vorbereitet"
Dieses Jahr seien schon 12.000 Geflüchtete auf El Hierro angekommen, wird Alpidio Armas, der Inselpräsident von El Hierros, im "Tagesspiegel" zitiert. "Wir haben nicht die Mittel, um die Menschen zu versorgen", so Armas. "Nicht einmal der Bäcker ist darauf vorbereitet, statt bisher 100 plötzlich 1.000 Brote am Tag zu backen."
Die Geflüchteten kommen derzeit provisorisch im Kloster unter. Asylzentren gibt es keine. Hunderte Menschen wurden in den vergangenen Wochen zudem auf größere kanarische Inseln wie Teneriffa gebracht.
Die Inselregierung forderte von Madrid und der EU "außergewöhnliche und dringende" Maßnahmen. "Die Herreños sind zwar ein hilfsbereites und einfühlsames Volk, das aus erster Hand weiß, was Auswanderung bedeutet. Doch sie sind weder flächen- noch bevölkerungs-, noch ressourcenmäßig darauf vorbereitet, eine so große Zahl von Migranten zu bewältigen", hieß es in einer Mitteilung.
Kanarischer Regierungschef ärgert sich über spanische Regierung
Der kanarische Regierungschef Fernando Clavijo bezeichnete die Situation im Oktober als "unhaltbar". Der konservative Politiker warf der linken Zentralregierung Tatenlosigkeit vor. "Wir sind fassungslos und perplex über das Schweigen einer spanischen Regierung, der die Ereignisse im Zusammenhang mit der Migration und der Druck, dem alle Kanaren ausgesetzt sind, anscheinend völlig egal sind", sagte er.
Die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten stamme aus Ländern südlich der Sahara, hieß es von örtlichen Behörden. Es wird vermutet, dass die Zunahme der Ankünfte auf den Kanaren mit der politischen und sozialen Krise im Senegal zusammenhängt.
Flüchtlingsroute verlagert sich weiter in den Atlantik
El Hierro ist eine abgelegene grüne Insel, die rund 500 Kilometer von der afrikanischen Küste entfernt liegt. Sie wird auch als "Aussteigerinsel" bezeichnet und zieht vor allem Naturfans und Wanderer an. Wieso sie zum neuen Hotspot auf der sogenannten kanarischen Route geworden ist, ist nicht bekannt.
Ein Beamter des spanischen Seenotdienstes stellte gegenüber dem "Tagesspiegel" allerdings eine Vermutung auf: Die verstärkte Überwachung der Seegrenze an der westafrikanischen Küste führe dazu, dass die Route der Boote tiefer in den Atlantik verlagert würde. Früher wurden vermehrt die größeren Inseln wie Fuerteventura oder Gran Canaria angefahren, die näher an Westafrika liegen. Doch das Risiko, erwischt zu werden, sei seit einem neuen Abkommen Spaniens mit mehreren westafrikanischen Staaten auf der kürzeren Route größer.
Nach Angaben der spanischen Hilfsorganisation Caminando Fronteras starben in den ersten sechs Monaten des Jahres mindestens 951 Migranten bei dem Versuch, Spanien auf dem Seeweg zu erreichen. Der größte Teil der Todesopfer (778) wurde demnach nicht im Mittelmeer, sondern auf der Route von Westafrika zu den Kanaren registriert. Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) gab es auf dieser Route dieses Jahr bis Anfang Oktober 421 Tote und Vermisste.
- tagesspiegel.de: "Diese Kanareninsel ist das neue Lampedusa"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa