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Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha über ihren Film


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Iranische Filmemacher
"Es wurden schon viele Mädchen deswegen getötet"

InterviewVon Amir Selim

07.07.2024Lesedauer: 5 Min.
Women protest over the death of Mahsa Amini in Iran, in the Kurdish-controlled city of QamishliVergrößern des Bildes
Frauen protestieren nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini in Iran (Archivbild): Die Filmemacher Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha üben in ihrem neuen Film "Ein kleines Stück vom Kuchen" Kritik an den Verhältnissen im Iran. (Quelle: REUTERS/dpa)
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Im Iran wird das Volk unterdrückt. Freiheiten gibt es kaum. Das haben jetzt auch zwei iranische Filmregisseure zu spüren bekommen.

Drakonische Strafen, Unterstützung von radikalislamischen Terrorgruppen wie der Hisbollah und der Hamas und zuletzt sogar Raketenangriffe auf Israel: Das Regime im Iran steht deswegen sowohl im Ausland als auch im Inland scharf in der Kritik. Das iranische Volk leidet dabei unter der islamistischen Diktatur, angeführt vom geistlichen Führer Ali Chamenei.

Das gilt auch für Filmemacher wie das iranische Ehepaar Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha. Ihr neuester Film "Ein kleines Stück vom Kuchen" startet am 11. Juli in den deutschen Kinos. Zuvor erfreute er sich großer Beliebtheit bei der Berlinale und wurde mit dem von Filmkritikern verliehenen Fipresci-Preis ausgezeichnet.

Ausreiseverbot für iranische Regisseure

Weil der Streifen sich kritisch mit dem iranischen Regime auseinandersetzt, stehen die beiden vor Gericht. Zudem konnten sie nicht an der Berlinale teilnehmen, weil gegen sie ein Ausreiseverbot verhängt wurde. Ihre Reisepässe wurden ihnen am Flughafen von Irans Hauptstadt Teheran vor einem geplanten Flug nach Paris abgenommen.

Im t-online-Interview berichten Moghaddam und Sanaeeha von der aktuellen Lage im Iran, warum sie den Film trotz der Konsequenzen gedreht haben und warum sie langfristig im Land bleiben wollen.

t-online: Frau Moghaddam, Herr Sanaeeha, wie ist Ihre Situation im Iran?

Behtash Sanaeeha: Gegen uns wurde ein Reiseverbot verhängt. Wir können das Land weiterhin nicht verlassen.

Maryam Moghaddam: Wir warten auf das Urteil des Gerichts. Was das Land angeht: Es ist schlimmer als zuvor, aber die Menschen kämpfen deswegen umso entschlossener.

Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam
Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam. (Quelle: Mehdi Hasani)

Zu den Personen

Maryam Moghaddam (54) und Behtash Sanaeeha (44) sind als Drehbuchautoren und Regisseure tätig. Mit ihrem Film "Ballade von der weißen Kuh" konkurrierten sie um den Goldenen Bären der Berlinale. Ihr neuester Film "Ein kleines Stück vom Kuchen" feierte dort ebenfalls Weltpremiere. Das Ehepaar steht wegen des Filmdrehs vor Gericht und kann derzeit nicht aus dem Iran ausreisen.

Zuletzt starb Präsident Ebrahim Raisi bei einem Helikopterabsturz. Er galt als Hardliner. Hat sich die Situation seitdem verändert?

Moghaddam: Nein, es hat sich nichts verändert. Seit 45 Jahren, seit der islamischen Revolution im Iran 1979, haben wir dieselbe Situation.

In Ihrem Film "Ein kleines Stück vom Kuchen" sprechen Sie diese Situation an. In einer Szene nimmt die sogenannte Sittenpolizei eine junge Frau fest, weil sie ihr Kopftuch angeblich nicht richtig trägt. So wie bei Mahsa Amini, deren gewaltsamer Tod vor zwei Jahren landesweite Proteste auslöste.

Moghaddam: Diese Szene haben wir geschrieben, bevor Mahsa Amini ermordet wurde. Es passiert jeden Tag auf den Straßen im Iran, in jeder Stadt. Es wurden schon viele Mädchen deswegen verletzt oder sogar getötet. Wir Frauen müssen vorgeben, etwas zu sein, das wir nicht sind. Wir müssen so tun, als seien wir religiös. Das gilt auch für Frauen in Filmen und Serien. Aber so sind wir nicht.

Warum ist erst der Fall von Mahsa Amini weltweit so bekannt geworden?

Moghaddam: Das liegt an den sozialen Medien. Sogar wir haben viele dieser Geschichten vorher nicht mitbekommen. Das hat sich zum Glück geändert.

Im Film wird das Regime deutlich kritisiert. Wie gefährlich ist es für Sie und die Schauspieler, einen solchen Film zu drehen?

Moghaddam: Es hat sicherlich Konsequenzen. Aber das wussten wir von Anfang an. Wir wollten den Film trotzdem drehen. Wir wollten es riskieren, um die Realität im Iran zu zeigen. Wir wollen nicht lügen, wir wollen ehrlich sein, egal ob es um das Leben der Frauen oder die Menschen im Allgemeinen geht. Darauf sind wir stolz.

Jetzt warten wir immer noch auf ein Urteil des Gerichts. Wir haben ein Ausreiseverbot. Uns wurden die Reisepässe abgenommen. Unsere Hauptdarstellerin wird wohl lange nicht mehr in einem Film mitspielen können. Aber die Gefahren und Konsequenzen nehmen wir in Kauf.

Im Iran darf der Film nicht gezeigt werden. An wen richtet sich der Film, wen wollen Sie damit erreichen?

Sanaeeha: Wir wollen der ganzen Welt zeigen, wie das Leben von Iranern, insbesondere das der Frauen im Iran ist. Das konnten wir in den vergangenen 45 Jahren nicht. Es gibt rote Linien. Frauen müssen im Fernsehen und im Kino das Kopftuch tragen. Wir dürfen Figuren nicht beim Alkohol-Trinken zeigen. Wir dürfen nicht filmen, wie Menschen sich berühren und sie nicht beim Tanzen zeigen. Dabei haben wir im Iran eine sehr wertvolle und große Tanz- und Musikkultur. Diese roten Linien haben wir nun überschritten. Denn wir wollten nicht länger lügen, sondern die Realität zeigen, auch wenn es Risiken mit sich bringt.

Wir hoffen, dass die Zuschauer durch den Film die Realität im Iran erkennen. Gerade die Deutschen sind für uns sehr wichtig. Unsere vergangenen beiden Filme hatten ihre Premiere bei der Berlinale. Wir hoffen, viele Menschen in Deutschland schauen sich den Film an und mögen ihn.

Moghaddam: Wir wollen den Film natürlich auch Iranerinnen und Iranern zeigen, was uns aber leider verboten ist. Das einzig Gute ist: Sobald der Film auf den westlichen Videoplattformen erscheint, laden ihn die Iraner herunter und können ihn so schauen.

Ihre Protagonistin ist eine ältere Frau. Warum haben Sie sich für Sie entschieden?

Moghaddam: Die große Filmindustrie setzt normalerweise auf ein bekanntes Schema: Junge Paare, dargestellt von unnatürlich aussehenden Models. Ältere Menschen sehen sie als nicht interessant und langweilig an. Dabei haben auch sie Wünsche und Anliegen. Menschen sind bis zu ihrem Tod interessant und spannend. Wir erzählen von Leben, Liebe und Einsamkeit. Und gerade das Thema Einsamkeit ist bei älteren Menschen von Bedeutung.

Ein Thema, das auch in Deutschland immer größer wird.

Sanaeeha: Ja, es ist tatsächlich etwas, das viele Gesellschaften verbindet. Einsamkeit ist das größte Problem der Menschen heute. Deswegen ist es auch ein Thema im Film.

Noch können Sie nicht ausreisen. Wo würden Sie ansonsten hingehen?

Sanaeeha: Wir sind mitten in einem Verfahren. Wir warten auf das Urteil. Wir wissen nicht, was passieren wird.

Moghaddam: Unser Traum ist es nicht, aus dem Land zu flüchten. Das ist nicht die Lösung. Wir wollen frei sein und unser Leben leben. Wir wollen reisen und an vielen Orten Filme drehen und unsere Filme überall zeigen können.

Auch wenn Sie die Möglichkeit hätten, das Land zu verlassen, würden Sie im Iran bleiben?

Sanaeeha: Ja.

Sie nehmen also weitere Verfahren oder gar Festnahmen in Kauf?

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Moghaddam: Ja. Es müssen auch Menschen bleiben und weiterkämpfen. Wir sind Kämpfer. Wir wollen weiterhin Geschichten aus dem Iran erzählen. Solange wir die Kraft dazuhaben, werden wir das tun.

Wie haben Zuschauer bisher auf den Film reagiert?

Sanaeeha: Die Rückmeldungen nach der Berlinale waren bisher großartig, von Kritikern, den Medien, unseren Freunden, den Iranern und den Nicht-Iranern. Das gibt uns Kraft zu überleben und macht uns sehr glücklich.

Moghaddam: Ja, wir sind glücklich und hoffen, dass unser Film in Deutschland gut ankommt.

Was gibt Ihnen trotz der schwierigen Lage im Iran Hoffnung?

Sanaeeha: Wir haben Hoffnung, dass sich unser Land in der Zukunft verändert. Dass der Iran eine neue, freiheitliche Gesellschaft bekommt. Und natürlich das Kino, das wir sehr lieben. Wir können darin unsere Geschichten, unsere Überzeugungen und Hoffnungen erzählen. Es ist die beste Art, sich auszudrücken.

Moghaddam: Es ist unser Traum, zumindest ein Mal den Film mit einem Publikum sehen zu können. Ich bin mir sicher, dass das klappt.

Frau Moghaddam, Herr Sanaeeha, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Video-Interview mit Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha
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