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Häusliche Gewalt und Femizide - was Staaten dagegen tun


Kriminalität
Häusliche Gewalt und Femizide - was Staaten dagegen tun

Von dpa
Aktualisiert am 10.06.2024Lesedauer: 6 Min.
Häusliche GewaltVergrößern des Bildes
In Deutschland nimmt die Zahl von Opfern häuslicher Gewalt immer weiter zu. (Szene gestellt) (Quelle: Maurizio Gambarini/dpa/dpa-bilder)

Immer wieder werden Menschen in den eigenen vier Wänden zum Opfer. Vor allem Frauen sind von häuslicher Gewalt betroffen - manche bezahlen die Attacken mit ihrem Leben.

Misshandelt, gewürgt, zu Tode geprügelt, erstochen oder erschossen: Immer wieder erschüttern Fälle schwerer häuslicher Gewalt und Femizide die Gesellschaft. Meist sind die Opfer Frauen, während Corona haben sich die Fälle häuslicher Gewalt in manchen Ländern der Europäischen Union vervielfacht. Der Rat der EU hat jüngst grünes Licht für eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt gegeben. Bislang sehen die Maßnahmen in den einzelnen Staaten recht unterschiedlich aus. Ein Überblick:

Mangel an Frauenhäusern in Deutschland

In Deutschland nimmt die Zahl von Opfern häuslicher Gewalt immer weiter zu. Laut aktueller Statistik gab es 2023 mehr als 256.000 Opfer - ein Anstieg um 6,5 Prozent gegenüber 2022. Was die Daten deutlich zeigen: Vor allem Frauen sind betroffen. Im vergangenen Jahr wurden 155 von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Die Eindämmung von Partnerschaftsgewalt steht daher im Fokus der Bundesregierung, die darauf verweist, schon einiges auf den Weg gebracht zu haben: So fördert der Bund mehrere Hilfetelefone, unter anderem das Telefon "Gewalt gegen Frauen", und auch die App "Gewaltfrei in die Zukunft". Sie kann laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versteckt auf dem Handy von Betroffenen laufen und Gewalt gerichtsverwertbar dokumentieren.

Darüber hinaus will die Bundesregierung strengere Regeln für verurteilte Partner und Ex-Partner erlassen: Sie sollen künftig zu Anti-Gewalt-Trainings verpflichtet werden. Auch der Einsatz von elektronischen Fußfesseln wird laut Faeser aktuell geprüft. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) will für Betroffene einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung gesetzlich verankern und den Bund dauerhaft finanziell in die Pflicht nehmen. Was wiederum entscheidend sein könnte, um dringend benötigte Frauenhausplätze zu schaffen. Laut Gewerkschaft der Polizei fehlen bundesweit 14.000 Plätze - ein großer Missstand, den Betroffene nicht erst seit gestern beklagen.

Spanien als Vorzeigeland

Spanien ist in Europa ein Vorreiter im Kampf gegen Gewalt an Frauen. Die ersten Gesetze gab es bereits vor gut 20 Jahren, seitdem besteht auch die staatliche Beobachtungsstelle für häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt. Seit 2017 ist das Thema sogar eine "Staatsaufgabe mit hoher Priorität". Es gibt gerichtliche Schnellverfahren, strenge Urteile, Hotlines mit Beratung in mehr als 50 Sprachen sowie spezielle Schulungen für Richter, Anwälte, Lehrer und Polizisten. Das Problem ist Teil der Lehrpläne, wird oft in
Talkshows debattiert und ist Gegenstand vieler Filme und TV-Serien.

Die Polizei hat Sondereinheiten. Aber auf jeder Wache wissen die Polizisten, wie sie im Notfall handeln müssen. Schon bei jedem Verdacht und selbst wenn das Opfer keine Anzeige erstattet, weil es etwa Angst vor dem Täter hat, müssen sie Maßnahmen einleiten. Spezialisierte Richter ordnen je nach Gefährdungsgrad umgehend Präventionsmaßnahmen bis hin zu einem Rund-um-die-Uhr-Personenschutz für das Opfer an. Auch Technologie kommt zum Einsatz: Digitale Fußfesseln werden seit gut 15 Jahren eingesetzt, im Frühjahr 2024 waren es mehr als 4000 im gesamten Land.

Empörung in Frankreich

Immer wieder haben in Frankreich Femizide für Empörung gesorgt, bei denen die ermordeten Frauen sich zuvor erfolglos an die Behörden gewandt hatten. Die Regierung ist darum bemüht, das Problem in den Griff zu bekommen. Anzeigen zu häuslicher Gewalt werden prioritär behandelt, bei der Polizei wurden Zuständige für den Bereich geschaffen. Auch an den Gerichten soll es Sondereinheiten für häusliche Gewalt geben. Die Regierung kündigte zudem an, in jedem der etwa 100 französischen Départements ein Frauenhaus für Opfer von Gewalt zu schaffen und Betroffenen von Gewalt und deren Kinder künftig schon binnen 24 Stunden per Anordnung sofortigen Schutz zu gewähren.

Während Frankreichs Justizminister Éric Dupond-Moretti verkündete, dass Femizide im vergangenen Jahr um 20 Prozent auf 94 Tötungen zurückgegangen waren, gehen Frauenrechtsorganisationen von einer bleibend höheren Zahl aus. Die Organisation "Nous Toutes" sprach von 134 Fällen 2023.

Elektronische Überwachung in der Schweiz

In Zürich läuft ein Pilotprojekt, bei dem potenzielle Täter und potenzielle Opfer elektronisch überwacht werden. Es geht um Frauen, die gerichtlich erreicht haben, dass ein Mann Abstand halten muss. Kommen sich die beiden Personen zu nahe, geht in der Überwachungszentrale ein Alarm los. Wenn das erfolgreich ist, soll es weitergeführt und auch in anderen Kantonen umgesetzt werden. Laut Statistik gab es 2023 in der Schweiz 25 Tote durch häusliche Gewalt, 20 davon waren Frauen und Mädchen. Im Juli tritt das neue Sexualstrafrecht in Kraft. Eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung kann anders als bisher künftig auch vorliegen, wenn der Täter das Opfer nicht explizit bedroht hat. Im kommenden Jahr soll auch erstmals eine zentrale Telefonnummer eingerichtet werden, an die sich Gewaltbetroffene in der ganzen Schweiz rund um die Uhr wenden können.

Mehr Befugnisse für Polizeibeamte in Österreich

Männer, die Frauen bedrohen, können in Österreich ohne größere Umschweife aus dem gemeinsamen Zuhause geworfen werden. Dieses Annäherungs- und Betretungsverbot wurde voriges Jahr mehr als 15.000 Mal verhängt. Es gilt als wichtige Waffe gegen häusliche Gewalt. Im Unterschied zu vielen anderen Ländern entscheiden nicht Gerichte, sondern Polizeibeamte darüber, Gefährder für 14 Tage wegzuschicken. Diese müssen auch eine Beratung absolvieren. "Man kann damit Gewalt verhindern, die am Entstehen oder Explodieren ist", sagt Birgitt Haller vom Institut für Konfliktforschung in Wien.

Um Femizide zu verhindern, wären laut der Expertin jedoch weitere Maßnahmen nötig. Im Vorjahr wurden 26 solcher Tötungen dokumentiert. Haller hat eine Studie für mehrere Ministerien erstellt. Darin empfiehlt sie Informationskampagnen zu Hilfsangeboten von Polizei und Opferschutzeinrichtungen, die derzeit zu selten in Anspruch genommen werden. Außerdem fordert sie mehr Sozialarbeit mit männlichen Jugendlichen und bessere Gesundheitsangebote für psychisch kranke Männer.

"Code Rot" in Italien zum Schutz von Frauen

In Italien ist der Femizid seit Jahren in der Gesellschaft präsent. Im laufenden Jahr sind aktuellen Daten des Innenministeriums in Rom bereits mehr als 30 Frauenmorde begangen worden. Seit fünf Jahren gibt es den "Codice Rosso" (zu Deutsch: "Code Rot") zum Schutz von Frauen. Das Gesetz von 2019 ermöglicht etwa ein schnelleres Eingreifen der Polizei und der Gerichte zum Schutz der Frau bei häuslicher Gewalt, sodass vorläufige Festnahmen und der Einsatz von Fußfesseln bei Annäherungsverboten erleichtert werden.

Im November vergangenen Jahres hat die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angesichts einer Welle der Empörung in der italienischen Gesellschaft nach mehreren Femiziden weitere Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen erlassen. Das Paket umfasst unter anderem eine verstärkte Überwachung von Männern, die sich häuslicher Gewalt schuldig gemacht haben. Außerdem sollten Zentren zum Frauenschutz aufgestockt werden.

"Panikknopf-App" in Griechenland

In Griechenland haben Femizide und schwere häusliche Gewalt laut Innenministerium in den vergangenen Jahren zugenommen. Sie sorgen immer wieder für schreckliche Schlagzeilen und Empörung in der Bevölkerung. Zuletzt wurde eine junge Frau von ihrem Ex-Freund direkt vor einer Polizeiwache erstochen, in der sie zuvor um Hilfe gebeten hatte. Die Regierung hat nun eine Panic-Button-App entwickeln lassen, will das Bewusstsein der Menschen für häusliche Gewalt erhöhen und mehr Frauenhäuser und Anlaufstellen für Hilfe einrichten.

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Die "Panikknopf-App" war zuvor als Prototyp bereits in den Großstädten Athen und Thessaloniki getestet worden und ist inzwischen landesweit sowohl für Frauen als auch für Männer verfügbar. Auf Knopfdruck mobilisiert die App die Polizei, die angehalten ist, sofort einzugreifen. Laut Innenministerium ist die Zahl der Hilferufe im Monat Mai im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent gestiegen. Im selben Monat wurden 1000 Menschen wegen häuslicher Gewalt festgenommen.

Hohe Strafen für Täter in Zypern

In der EU-Inselrepublik Zypern ist Femizid seit Juli 2022 ein eigenständiges Delikt (Delictum sui generis). Dem Täter drohen hohe Strafen bis hin zu lebenslänglich. Mit dem Gesetz werde eine "gesellschaftlich beunruhigende Realität" sichtbar, hieß es im Parlament. In Zypern mit einer Bevölkerung von gut 900.000 Menschen gab es nach Angaben des Vereins zur Prävention und Behandlung von Gewalt in der Familie (SPAVO) in den vergangenen vier Jahren 22 Femizide.

Frauenrechtlerinnen in Türkei kritisieren Regierung

In der Türkei kämpfen Frauenrechtsorganisationen einen erbitterten Kampf gegen Femizide und Gewalt gegen Frauen. Als einen ihrer größten Widersacher sehen sie dabei die Regierung. Denn die ist vor gut drei Jahren aus dem internationalen Istanbul-Abkommen ausgestiegen, das Staaten dazu anhalten soll, Regeln und Gesetze zu etablieren, die Frauen besser schützen. Die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan argumentierte, die nationalen Regeln seien bereits ausreichend.

Frauenrechtlerinnen kritisieren den Austritt als einen Gefallen an die Täter und beklagen, dass Gewalt an Frauen in der Türkei oft nicht ausreichend bestraft werde. Offizielle Zahlen zu Gewalt gegen Frauen veröffentlicht die türkische Regierung nicht. Die Plattform "Wir werden Frauenmorde stoppen" zählt Femizide und verdächtige Todesfälle von Frauen seit 2010. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres sind demnach mehr als 120 Frauen in der Türkei von Männern getötet worden. 2023 waren es im gleichen Zeitraum knapp 90.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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