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Krieg in der Ukraine "einfrieren"? Alte SPD-Reflexe kommen zurück


Meinung
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Die Rückkehr der alten Reflexe
Sie bestimmen jetzt den Ton

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

Aktualisiert am 19.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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Beste Freunde? Bundeskanzler Olaf Scholz und Fraktionschef Rolf Mützenich beim SPD-Bundesparteitag 2023. (Quelle: IMAGO/imago-images-bilder)

Zwei Jahre nach Beginn des Ukraine-Krieges will SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich den Konflikt "einfrieren". Der Papst empfiehlt Kiew, die weiße Flagge zu hissen. Die Außenministerin ist verstört. Und der Kanzler laviert.

Es gibt nur selten Momente im Deutschen Bundestag, in denen der politische Betrieb sich aus seiner Routine, aus Sachzwang und Fraktionszwang löst. Vergangene Woche gab es einen solchen Moment: Es redete Rolf Mützenich, erst redete er engagiert, dann redete er sich in Rage, dann stellte er diese Frage: "Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?"

Auf der Regierungsbank saß Annalena Baerbock, die TV-Kameras zoomten sie immer wieder heran, und man konnte ihr dabei zusehen, wie sie versuchte, die Contenance zu wahren. Es gelang ihr nicht ganz. Mehrfach schüttelte sie leicht den Kopf, ihr fassungsloser Blick ließ erahnen, dass Mützenichs Frage sie unvorbereitet traf. Den Ukraine-Krieg einfrieren? Also den Status quo festschreiben. Für Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Oder für immer. Das heißt: Russlands Landnahme akzeptieren.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von HORIZONT, einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Jeden Dienstag erscheint bei t-online seine Kolumne "Elder Statesman".

Der Bundeskanzler hatte zuvor sein Machtwort gegen die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine erneuert, aber da ging es um militärische Komplikationen, um die Beteiligung deutscher Soldaten, um die Kontrolle über ein Hightech-Waffensystem. Mützenich sprach über den Kern sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik. Bei den Koalitionspartnern, nicht nur bei der grünen Außenministerin, löste er ungläubiges Staunen aus, aus den Reihen der SPD bekam er viel Beifall.

Auch ich war beim Zuhören konsterniert. Spontan habe ich gerechnet, ob eigentlich SPD, AfD, Linke und Sahra Wagenknecht eine Mehrheit im Bundestag haben. Rechts außen und links außen denkt man schon lange so: kein Taurus, keine Panzer, keine Munition mehr, mit Putin verhandeln, die Krim ist sowieso weg, der Donbass auch. Als Russland die Ukraine überfiel, wollte die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht Helme und Schutzwesten nach Kiew schicken. Motto: Deutschland hilft! Will die SPD dahin zurück?

Der Papst hat gerade die Ukraine aufgefordert, die weiße Fahne zu hissen. Er wurde dafür heftig kritisiert, auch von Olaf Scholz. Der Vatikan schob umständliche Erklärungen nach, Franziskus sei falsch verstanden worden. Er habe sich gar nicht für eine Kapitulation Kiews eingesetzt, sondern für einen Waffenstillstand und für einen Verhandlungsfrieden. Aus der SPD heißt es jetzt, Mützenich sei "überinterpretiert" worden, es gehe nicht um eine Kapitulation, sondern um einen Waffenstillstand und um Verhandlungen. Die weiße Fahne ist seit Jahrhunderten ein Symbol der Unterwerfung. Den Krieg in der Ukraine einfrieren, heißt, die weiße Flagge zu hissen. Mützenich ist der Papst der SPD.

Justiert die SPD erneut?

Die Sozialdemokraten sind offenkundig dabei, ihre Haltung zum Krieg gegen die Ukraine neu zu justieren. Oder: Diejenigen in der SPD, die bereits in den letzten beiden Jahren die militärische Unterstützung bestenfalls schweigend geduldet haben, bestimmen jetzt den Ton.

Schon in der Taurus-Debatte (und zuvor in der Panzer- und in der Haubitzen-Debatte) verwiesen sie auf den Amtseid des Bundeskanzlers, der ihm Zurückhaltung auferlege. Außerdem heißt es, die Mehrheit der Bevölkerung teile doch die Skepsis des Kanzlers und der SPD. Auf den Amtseid komme ich zurück, zunächst zum zweiten Argument.

Richtig ist, dass sich etwa 60 Prozent der Bevölkerung skeptisch äußern, wenn sie nach der militärischen und finanziellen Unterstützung der Ukraine gefragt werden. Aber was folgt daraus? Soll der Bundeskanzler, sollen Bundesregierung und SPD ihre Politik in Fragen von Krieg und Frieden an demoskopischen Befindlichkeiten ausrichten?

Beim Hinweis auf die Mehrheitsmeinung schwingt die Hoffnung mit, dass man so bei den kommenden Wahlen, vor allem im Osten, punkten könne: hier der besonnene Kanzler, dort die Kriegstreiber. Hier die Friedenspartei SPD, dort die Militaristen von Friedrich Merz bis Toni Hofreiter und Zack-Strack-Zimmermann. Man erinnert sogar wieder an Gerhard Schröder, den Verfemten: 2003, Amerikaner und Briten planten den Einmarsch in den Irak. "Es ist eine falsche Entscheidung getroffen worden", sagte Schröder in einer Fernsehansprache an die Nation. Und: "Deutschland beteiligt sich nicht an diesem Krieg." Die Nation stand hinter ihm.

Scholz schweigt. Das kann er ja.

Und Olaf Scholz? Will der Kanzler den Krieg in der Ukraine einfrieren, wie Mützenich? Was sagt er zum Auftritt seines Fraktionschefs und engen Verbündeten? Scholz schweigt, das kann er ja. Und er laviert. Im SPD-Vorstand habe er Mützenich nicht widersprochen, berichtet einer, der dabei war. Als am Tag danach Emmanuel Macron und Donald Tusk in Berlin zu Gast waren, sicherte er der Ukraine uneingeschränkte Unterstützung zu, "so lange wie nötig". Passt das zusammen?

Der Vergleich mit Gerhard Schröder führt ohnehin in die Irre, es gibt zu viele Unterschiede zwischen dem Irak-Krieg damals und dem Ukraine-Krieg heute. Aufschlussreicher ist ein Rückblick auf einen anderen SPD-Kanzler, Helmut Schmidt: Ende der Siebzigerjahre, es herrschte Kalter Krieg, die Frontlinie verlief nicht in der Ostukraine, sondern zwischen Helmstedt und Marienborn, zwischen Kreuzberg und Friedrichshain. Deutschlands Teilung, ein eingefrorener Konflikt.

Die Sowjetunion hatte atomare Mittelstreckenraketen vom Typ SS20 aufgestellt, die Berlin oder Hamburg erreichen konnten. Die Nato beschloss, im Gegenzug Pershing-2-Raketen zu stationieren, ebenfalls atomar bestückt, Reichweite bis zum Ural. Schmidt unterstützte den Nato-Doppelbeschluss: verhandeln ja, aber nur aus einer Position der Stärke heraus. Im Bonner Hofgarten demonstrierten 350.000 Menschen gegen die Raketen, für den Frieden. In Mutlangen bei Ulm blockierten Demonstranten den US-Stützpunkt, darunter Oskar Lafontaine (damals SPD), Petra Kelly (Grüne), Walter Jens, Heinrich Böll.

Helmut Schmidt hatte denselben Amtseid geleistet wie Olaf Scholz: "... meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden". Er folgte seiner politischen Überzeugung: Einem potenziellen Gegner, der mit Atomwaffen droht, begegnet man mit Entschiedenheit und Abschreckung, nicht mit Zögerlichkeit und weißer Flagge. Die Geschichte gab ihm recht. Mützenich, Jahrgang 1959, war zu dieser Zeit Anfang 20, Juso, gegen die Nachrüstung. Er stand damals auf der falschen Seite. Heute auch.

Annalena Baerbock, Jahrgang 1980, erlebte die Massenproteste auf den Schultern ihrer Eltern, auch sie demonstrierten für den Frieden und gegen alles Atomare. Die Friedensbewegung ist eine der stärksten Wurzeln ihrer Partei. Und dennoch: Ein paar Tage vor Mützenichs Rede im Bundestag saß sie im TV-Studio bei Caren Miosga. Über Putin sagte sie: "Er ist auf maximale Einschüchterung fokussiert. Es ist ein perfides Spiel mit der Angst." Dem dürfe man sich nicht beugen. Sie klang wie Helmut Schmidt. Nicht wie Olaf Scholz. Schon gar nicht wie Rolf Mützenich.

Baerbock und die Grünen haben ihre Lehren aus der Geschichte gezogen. Mützenich und mit ihm viele Sozialdemokraten träumen die Träume ihrer Jugend. Und Scholz? Mal so, mal so.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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