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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Elterngeld, Ehegattensplitting: Sparmaßnahmen als Ende von Privilegien


Meinung
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Elterngeld und Ehegattensplitting
Das Ende der Vollkasko-Mentalität

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

12.07.2023Lesedauer: 5 Min.
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Elterngeld: Einige Paare nutzen es, um gemeinsam Urlaub zu machen (Symbolbild) (Quelle: Letizia Haessig photography /imago-images-bilder)

Die Regierung und der Bundeskanzler müssen die Deutschen auf Zumutungen vorbereiten und ehrlich sagen, worin die Zeitenwende tatsächlich bestehen wird.

Neulich habe ich einen früheren Kollegen, der zum Freund geworden ist, von einer ganz neuen Seite kennengelernt. Klug, schnell im Kopf und besonnen ist er eigentlich, jedenfalls gemessen an seiner relativen Jugend, über die er frecherweise im Unterschied zu mir noch verfügt.

Plötzlich war da Raserei. Das gekappte Elterngeld lösten bei ihm einen Impuls und in meinem Smartphone eine Kaskade wütender Nachrichten aus. Ich zitiere nicht aus privaten Chats, aber unterm Strich stand da zu lesen, dass nun die Axt an die Mittelschicht, an das Rückgrat dieser Leistungsgesellschaft gelegt werde, die sich eh kaum noch die horrenden Mieten und die von Inflation getriebenen größeren Anschaffungen leisten könne.

Augenblick mal, bitte!, versuchte ich den in Fahrt geratenen Freund zu bremsen: Mittelschicht? Bei 150.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen? Mal geschaut, wo das Median-Durchschnittseinkommen in Deutschland liegt?

Kolumnist Christoph Schwennicke
Kolumnist Christoph Schwennicke (Quelle: Antje Berghäuser)

Christoph Schwennicke arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".

Der Vorgang machte mir aber eines klar: Da ist was im Gange. Die Anlässe gehen aber gerade erst los. Die Zeitenwende, wie es der Bundeskanzler abstrakt bezeichnet hat, beginnt, konkret zu werden. Und konkret heißt: Die Zeiten des Üppigen werden durch die neue Zeit des Kargen abgelöst. Auf unbestimmte Dauer. Und diese Gesellschaft, gehätschelt durch die Jahrzehnte eines nie zu enden scheinenden "Immer mehr", ist auf diese neue Zeit nicht vorbereitet. Zugespitzt gesagt: Wir können gut fordern, klagen und gendern. Aber Verzicht und Entbehrung können wir nicht, hat diese Wohlstandsgesellschaft verlernt.

Woanders muss etwas weggenommen werden

Verzicht und Beschränkung werden aber die Merkmale dieser Zeitenwende sein. Wenn aufgrund einer völlig veränderten geopolitischen Lage und einer über Jahrzehnte irrige Sicherheitspolitik eine auf die Kettenräder heruntergefahrene Bundeswehr wieder mobil gemacht werden muss mit einem gesteigerten Wehretat und einem "Sondervermögen" (das ist nichts anderes als ein beschönigendes Wort für einen Schattenhaushalt oder einen Reptilienfonds), wenn die Klimaerwärmung und die Migration und die Unterstützung für die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den Aggressor Russland mit immensem finanziellem Aufwand unterstützt wird, dann heißt das: Woanders muss etwas weggenommen werden.

Damit hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus vor ein paar Tagen angefangen. Und gesagt, das Elterngeld werde bei der Hälfte des bisherigen maximalen zu versteuernden Einkommens eines Paares (derzeit 300.000 Euro) gekappt. Da ging aber was los, auch eben bei meinem jungen Freund. Dabei darf man schon einmal fragen, ob es nicht vielleicht auch etwas obszön ist, wenn einem sehr wohlhabenden jungen Elternpaar der mehrmonatige Abenteuerurlaub in einer Blockhütte in Kanada mit Nachwuchs finanziert wird. Solche Fälle hatte ich mehrfach im Kollegenkreis. Und 300.000 Euro zu versteuerndes Bruttoeinkommens, das sind real über den dicken Daumen 350.000 echtes Brutto. Eine bislang absurd hohe Grenze also. Und weil sie nun gekappt wird, dieses Geschrei?

Die Bürger verteidigen etablierte Privilegien

Die Wahrheit ist doch, dass dieses Elterngeld immer schon vor allem ein Privileg der Besserverdienenden war, weil sich Geringverdiener mit den 70 Prozent, die der Staat dann zahlt anstatt des Arbeitgebers, gar nicht hinkommen würden. Und zu einer markant höheren Geburtenrate, das war mal das Ziel, hat es auch nicht geführt. Wohlhabende Paare, die eh Eltern werden wollten, haben das Geschenk eben mitgenommen. Das ist die Realität.

Aber es war schon immer so: Ein Staat kann sich nicht oder nur sehr schwer von einer Steuer oder Abgabe trennen, die einmal eingeführt ist. Und die Bürgerschaft verteidigt einmal etablierte Privilegien mit den absurdesten Begründungen auch dann, wenn der Anlass weggefallen ist oder die Kasse es schlicht nicht mehr hergibt.

An diesem Punkt sind wir jetzt. Die nächsten Vorschläge für Einsparungen sind schon eingetrudelt. Eine Bundestagsabgeordnete der Grünen hat laut darüber nachgedacht, ob es wirklich Vergünstigungen bei der Kfz-Steuer geben muss, weil die H-Kennzeichen auch an einem ganz ordinären Passat Baujahr 1993 hängen und man sich schon fragen kann, ob es sich dabei wirklich um ein rollendes Kulturgut handelt (das war seinerzeit die Begründung für das H-Kennzeichen und die deutlich vergünstigte Steuer).

Steuervorteile für Oldtimer

Ich habe einen alten Mercedes Baujahr 1990 mit H-Kennzeichen. Das Steuerprivileg ist (wie das Elterngeld) angenehm. Aber überflüssig. Ehrlich gesagt: Wer sich diesen Spleen leistet und so einen Wagen als Spielzeug, der muss nicht steuerlich begünstigt werden. Aber was ich auch weiß: Die Szene der Oldtimer- und Youngtimer-Freunde sieht das ganz anders. Wenn das kommt, kann die AfD noch mal ein paar Prozentpunkte plus bei sich einpreisen.

Kurz darauf kam der Vorschlag der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer, die Witwenrente abzuschaffen. (Sie ist inzwischen im strammen Gegenwind teilweise zurückgerudert). Und dann geriet das Ehegattensplitting in der politischen Debatte ins Visier. Das sind alles Tellerminen auf einem gesellschaftlichen Terrain, in einer wohlhabenden Gesellschaft, die sich an Pfründe und Vergünstigungen gewöhnt hat.

Zwei Zahlen fallen zudem auf: Die Sozialleistungsquote Deutschlands, also der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt, beträgt etwa 32 Prozent, der Anteil der Verteidigungsausgaben liegt bekanntlich immer noch unter dem Nato-Ziel von zwei Prozent (1,4 Prozent aktuell). Man muss nicht Mathematik studiert haben, um zu erkennen: Da muss und wird es eine Verschiebung geben. Mit Folgen, die auch hierzulande Gelbwesten-Format bekommen kann.

Der AfD stehen noch bessere Zeiten bevor

Der Frust-Abstauber-Partei AfD stehen also mit einiger Gewissheit noch bessere Zeiten bevor. Politisch verantwortlich Handelnden dagegen sehr harte. Sie müssen jetzt schleunigst die Wahrheit sagen.

So wie zuletzt Gerhard Schröder vor 20 Jahren. Als die Arbeitslosigkeit in Deutschland hoch war und die Wirtschaft lahmte, da hatte er sich ein Herz gefasst und seiner Bevölkerung die Wahrheit gesagt. "Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von den Einzelnen abfordern müssen", sagte Gerhard Schröder, als er am 14. März 2003 im Bundestag seine Agenda 2010 verkündete und begründete. Selbst der politische Gegner war beeindruckt vom Mut des Mannes, der sich heute leider vollkommen selbst desavouiert hat. Seinerzeit hat er sich mit der Agenda und ihrer ungeschminkten Begründung "um Deutschland verdient gemacht", wie ihm seine Nachfolgerin bei der Übernahme des Kanzleramtes attestierte.

Die Zeit für eine solche Ansage ist wieder gekommen. Mit einer akademischen Rede zur "Zeitenwende" ist es nicht mehr getan. Olaf Scholz sollte den Mut seines Vorvorgängers aufbringen und eine Rede halten, die vielleicht nicht gleich von Blut, Schweiß und Tränen kündet. Aber vom notwendigen Ende einer Vollkasko-Mentalität gegenüber dem Staat.

Er sollte klarmachen: Die fetten Jahre sind bis auf Weiteres vorbei. Die Zeit neuer Verteilungskämpfe hat begonnen. Das Wünschenswerte muss von nun an zugunsten des dringend Notwendigen hintanstehen. Eine Zeit der Zumutungen steht bevor. Sie hat schon begonnen. Und die Regierungskunst besteht jetzt darin, diese Zumutungen so gerecht und plausibel wie möglich zu verteilen. Sonst, das ist keine Dramatisierung, können auch in Deutschland die Straßen brennen.

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