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Schwesig hat ein Nord Stream 2-Geheimnis und traf sich mit Schröder


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Vertrauliche Gespräche, anonyme Deals
Schwesigs Russland-Geheimnis


Aktualisiert am 29.01.2022Lesedauer: 7 Min.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig: Sie gilt als Hoffnungsträgerin der SPD. Was besprach sie mit den russischen Staatskonzernen?Vergrößern des Bildes
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig: Sie gilt als Hoffnungsträgerin der SPD. Was besprach sie mit den russischen Staatskonzernen? (Quelle: Fotostand/Reuhl/imago-images-bilder)
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Um US-Sanktionen zu umgehen, verbündet sich die SPD-Ministerpräsidentin mit Putins Staatskonzern Gazprom. Öffentlichkeit vermeidet sie dabei systematisch. Recherchen von t-online gewähren nun erstmals einen Einblick.

Es ist der 27. April 2018, als Manuela Schwesig zur Mittagszeit ein Restaurant in Berlin betritt. Seit nicht einmal einem Jahr regiert die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommern, hat aber die Russlandpolitik bereits zum Chefthema gemacht. Mit einer Wirtschaftsdelegation ist sie nach St. Petersburg gefahren, den russischen Botschafter hat sie in Schwerin empfangen. Sanktionen will sie abbauen, sich an den Kreml annähern.

Trotz Angriffskriegen. Trotz Auftragsmorden. Trotz Krim-Annexion, Spionage und Wahlbeeinflussung im Westen.

Schwesigs Nähe zu Moskau

Der neue Kurs des damaligen Außenministers Heiko Maas, der auf eher untypische SPD-Weise den Ton gegenüber dem Kreml verschärfte, stößt bei Schwesig auf Ablehnung. Während die Parteispitze vorsichtig auf Distanz zu Machthaber Wladimir Putin und seinem Großmachtstreben zu gehen versucht, ist zu diesem Zeitpunkt wohl kaum eine führende deutsche Sozialdemokratin näher an Moskau. Einer der Gründe für diese Sonderrolle verläuft im Auftrag des russischen Staatskonzerns Gazprom am Grunde der Ostsee und landet in der winzigen Gemeinde Lubmin am Greifswalder Bodden an.

Schon bald soll die Pipeline Nord Stream 2, die in der Region St. Petersburg startet, russisches Gas nach Deutschland befördern. Als Schwesig im April 2018 nach Berlin reist, ist das allerdings noch Zukunftsmusik, zumal eine, in die sich Misstöne mischen: Gerade eben erst haben die USA neue Russland-Sanktionen verabschiedet und auch mit Maßnahmen gegen Nord Stream 2 gedroht. Viele europäische Partner befürchten russische Erpressung bis hin zu militärischen Angriffen, die durch das Projekt begünstigt werden.

Doch Deutschland will es unbedingt durchsetzen. Auch Kanzlerin Angela Merkel und die Union. Aber allen voran die SPD.

Das macht Schwesigs Besuch im Berliner Restaurant heikel: Dort ist ein Treffen ohne Öffentlichkeit anberaumt, das über Jahre vertraulich bleiben wird. Ein Protokoll wird nicht angefertigt, auch andere Dokumente gibt es in der Staatskanzlei nicht dazu. Aktenrelevantes sei nicht besprochen worden, heißt es heute.

Das zu glauben, fällt angesichts der angespannten Situation um Russland und die Pipeline allerdings durchaus schwer.

"Persönlicher Austausch" in Berlin

Denn Schwesigs einziger Gesprächspartner an diesem Mittag ist Gerhard Schröder, ehemaliger SPD-Vorsitzender, Altkanzler – und seit vielen Jahren auch als Lobbyist für russische Energiekonzerne tätig, unter anderem als Verwaltungsratspräsident von Nord Stream 2. Er ist seit Langem ein persönlicher Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Und die Pipeline ist sein größtes Projekt, das er als Beitrag zur "Stabilitäts- und Friedensordnung" in Europa versteht.

Drohende US-Sanktionen? Eine Pipeline unter Schröders Ägide in Schwesigs Verantwortungsbereich? Ein wenige Tage später angesetzter Besuch des deutschen Außenministers in Moskau? Putins bevorstehende vierte Amtszeit? Offiziell wird keine dieser Fragen zwischen der Ministerpräsidentin und dem Altkanzler besprochen. Ein "persönlicher Austausch" und kein Arbeitsgespräch sei das gewesen, sagt der Schweriner Regierungssprecher Andreas Timm auf Anfrage von t-online.

Die ominöse Klimastiftung

Viele Gespräche, aber vermeintlich wenige Inhalte – das scheint eine Konstante in Schwesigs Russlandpolitik zu sein. Denn die Unterredung vom April 2018 wird nicht das einzige vertrauliche Gespräch bleiben, das nicht an die Öffentlichkeit dringt und das in der Staatskanzlei nicht zu den Akten genommen wird. Und längst nicht der einzige Vorgang, der den Verdacht nahelegt, Schwesigs Landesregierung verschleiere recht systematisch ihre Zusammenarbeit mit den russischen Gashändlern bei der Fertigstellung der Pipeline.

Es drängt sich ein fast schon beklemmender Eindruck auf: In Mecklenburg-Vorpommern scheint unter SPD-geführten Koalitionen möglich, was andernorts in Deutschland undenkbar wäre.

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Als Paradebeispiel dafür muss die "Stiftung Klima- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommern" gelten: Mit Gazprom-Millionen hat Schwesigs Landesregierung die Stiftung auf den Weg gebracht, die klingt, als sei sie dazu gedacht, die "wunderbare, in weiten Bereichen unter Schutz stehende Natur" des Landes zu bewahren. Ihren Hauptzweck – so urteilen jedenfalls zahlreiche Kritiker und das legen auch Stellungnahmen der Stiftung nahe – scheint sie allerdings im Nebenzweck ihrer Satzung zu haben: in der Hilfe zur Errichtung der Pipeline Nord Stream 2. Schließlich sei Gas die "klimaschonendste Übergangstechnologie zur Sicherung der notwendigen Energieversorgung".

Brandmauer gegen US-Sanktionen

Schwesigs Klimaprojekt ist im Wesentlichen eine Brandmauer, um Nord-Stream-2-Zulieferer vor dem langen Arm Washingtons zu schützen. Denn die USA haben mittlerweile Sanktionen gegen Firmen verhängt, die sich am Bau der Pipeline beteiligen. Mit Hilfe des eilig geschaffenen Konstrukts sollen sie laut Angaben der Klimastiftung unterlaufen werden, denn die Strafmaßnahmen nehmen staatliche Einrichtungen explizit aus.

Und um diese Aufgabe erfüllen zu können, wirkt die Stiftung wie ein schwarzes Loch, aus dem wenig Licht nach außen dringt.

Verantwortlich dafür ist im Auftrag der Landesregierung der Stiftungsvorsitzende Erwin Sellering, Amtsvorgänger von Schwesig als SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern und Träger des russischen "Ordens der Freundschaft". Folgerichtig dürfte eine seiner Hauptaufgaben nun in der Beziehungspflege zu Russland bestehen. Bereits in seinem großzügig vom Land geförderten Verein "Deutsch-Russische-Partnerschaft", bei dem die von Gazprom gesponserte Klimastiftung in Schwerin zwischenzeitlich einzog, sitzt im Vorstand ein Nord-Stream-2-Vertreter.

Dass Sellering die Fertigstellung der deutsch-russischen Pipeline wichtiger ist als jene Transparenz, der eine öffentlich-rechtliche, auskunftspflichtige Stiftung eigentlich verpflichtet ist, daraus macht er keinen Hehl. Aufgabe, Organisation und Ziel seien klar, transparent und öffentlich, schreibt er auf Anfrage von t-online.

"In der Umsetzung ging es allerdings darum, den völkerrechtswidrigen Einschüchterungsversuchen einer Großmacht zu begegnen", fährt er fort. Und, man muss das an dieser Stelle betonen: Mit "völkerrechtswidrigen Einschüchterungsversuchen" meint er nicht Russland, sondern die Vereinigten Staaten.

Sellering beendet seine Mail mit nicht weniger deutlichen Worten: "Wie wir das im Einzelnen geplant und durchgeführt haben, wird deshalb von uns selbstverständlich nicht zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht. Das versteht sich von selbst."

Landesstiftung verweigert Auskünfte

Das Geheimnis, das Sellering damit beharrlich schützt, ist ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb der Stiftung. Er wurde vor einem Jahr gegründet und soll als Zwischenhändler für Unternehmer dienen, die sonst aufgrund der US-Sanktionen vor einer Beteiligung zurückschrecken würden.

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Theoretisch könnte das Konstrukt so funktionieren: Eine Firma, die Teile zu Nord Stream 2 zuliefern will, verkauft diese an den Betrieb der Klimastiftung, der ihn schließlich weiterreicht. Somit besteht offiziell kein direktes Geschäftsverhältnis zwischen der Firma und der Pipeline.

Details sind allerdings nicht bekannt. Nur, dass der Betrieb seinen Sitz in Hamburg haben soll. So hat Sellering es vor einigen Monaten dem "Deutschlandfunk" erzählt. Darüber hinaus will er keine konkreten Fragen von t-online beantworten.

Nicht, wie das von der Stiftung gegründete Unternehmen heißt und welche Rechtsform es hat. Nicht, wer der von Gazprom bestimmte Geschäftsführer ist. Nicht, welche Aufgaben es für Nord Stream 2 übernommen hat. Nicht, ob es weitere Tochtergesellschaften gibt, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren hat. Selbst, wer im Kuratorium der Landesstiftung sitzt, ist offenbar zu sensibel, um Informationen darüber preiszugeben.

Es ist alles andere als üblich, dass öffentliche Einrichtungen so grundlegende Auskünfte verweigern.

Die verschwiegenen Beratungen

Doch Sellerings Verschwiegenheit folgt durchaus der weitgehend heimlichen Anbahnung der Stiftung durch die Regierung Schwesig, über die nur wenige Details bekannt sind. Klar: Es hat dazu Gespräche mit Nord Stream 2 gegeben, seit Jahren sind deren Vertreter regelmäßig in Staatskanzlei und Ministerien zu Gast – sonst gäbe die Gazprom-Projektgesellschaft nicht 20 Millionen Euro Kapital und würde weitere 40 Millionen Euro in Aussicht stellen. Sonst hätte der Konzern auch kein Mitspracherecht hinsichtlich des gegründeten Unternehmens.

Was aber wurde wann besprochen zwischen Schwesig, ihren Ministern und den Gaslieferanten aus Russland? Und wie weit gehen die Absprachen?

Gut ein Jahr nach ihrem Treffen mit Schröder im April 2018 in Berlin reist Schwesig mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erneut nach Russland. Ziel ist dieses Mal ein Wirtschaftsforum in St. Petersburg, das Putin als russisches Pendant zum Weltwirtschaftsforum in Davos zu etablieren versucht. Naturgemäß ist das "St. Petersburg International Economic Forum" ein Schaulaufen wichtiger Kreml-Vertreter, Wirtschaftsbosse und Lobbyisten. Schwesig wirbt dort für mehr deutsch-russische Zusammenarbeit beim Klimaschutz.

Die Ministerpräsidentin hat dabei ein eng getaktetes Programm: Sie eilt von Termin zu Termin, trifft Gouverneur und Wirtschaftsminister. Selbst Ruhemomente und Imbiss hält das Programm fest, das t-online auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes von der Schweriner Staatskanzlei erhalten hat. Ein Treffen jedoch führt es nicht auf. Auch der spätere Kabinettsbericht erwähnt es nicht.

Schwesig trifft "spontan" Schröder

Erneut ist es ein "persönlicher Austausch" mit Nord-Stream-2-Verwaltungsratspräsident Gerhard Schröder, das keinen Eingang in die Akten findet und zu dem kein Protokoll existiert. Das Treffen sei "spontan" verabredet worden, "da beide gleichzeitig in der Stadt waren", schreibt Regierungssprecher Timm auf Anfrage von t-online. Über den Inhalt des Gesprächs macht er keine Angaben.

Völlig überraschend kann die Anwesenheit Schröders auf der größten russischen Wirtschaftsmesse für Schwesig allerdings nicht gewesen sein: Er war über Jahre hinweg bei dem Forum zu Gast, in diesem Jahr sogar erneut als Redner. Das wiederum wirft die Frage auf, warum ein offenbar gewünschtes Gespräch nicht offiziell terminiert wurde und entsprechend spontan in das äußerst eng gestrickte Programm Eingang finden musste.

Dabei ist ohnehin ein Vertreter der sozialdemokratischen Landesregierung ganz planmäßig Gazprom an diesen Tagen in St. Petersburg ganz nah: Auf Fotos des Nord-Stream-2-Business-Frühstücks auf dem Messegelände – bei dem die Gasversorgung aus Russland als Beitrag zum europäischen Klimaschutz dargestellt wird – lugt der damalige Mecklenburger Energieminister Christian Pegel sozusagen aus der zweiten Reihe zum Gastgebertisch hinüber.

Das ist zumindest bemerkenswert, denn er soll es sein, der Schwesig später in Eigeninitiative das Projekt Klimastiftung nahebringt, wie die Staatskanzlei dem "Spiegel" versichert. Schröder sei jedenfalls nicht beteiligt. Diese Klarstellung wird notwendig, weil das Magazin über Gerüchte berichtet, das "Usedomer Musikfestival" im September 2020 – wiederum ein Jahr nach dem Spontantreffen in St. Petersburg – sei nur Hintergrundmusik für Beratungen mit ihm zur geplanten Stiftung gewesen.

Doch auch Protokolle für dieses dritte Treffen existieren nicht. Und weder in der Staatskanzlei noch im Energieministerium, deren Projekt die Stiftung ja sein soll – es sei "federführend zuständig" heißt es aus dem Hause Schwesig –, ist zur Planung und Gründung laut eigenen Angaben Kommunikation mit anderen Behörden, Ministerien, Stiftungsbeteiligten oder Nord Stream 2 dokumentiert.

Seit August 2020 ist es aber ohnehin offiziell: Da reist Nord-Stream-2-Geschäftsführer Matthias Warnig ganz öffentlich zur Ministerpräsidentin nach Schwerin. Spätestens dann ist die Fahrtrichtung für den Pipeline-Bau klar: "Wir sind uns mit Nord Stream einig, dass das Projekt zum Erfolg geführt werden soll", sagt Schwesig. Von Sanktionsdrohungen lasse sich die Landesregierung nicht einschüchtern. Einige Monate danach steht die Klimastiftung – nach Eilantrag vom Landtag in einer Sondersitzung ohne Gegenstimme beschlossen.

Der damit verbundene Geschäftsbetrieb hat laut Erwin Sellering seine Aufgabe inzwischen erfüllt: "Die Pipeline ist so gut wie fertiggestellt, sie ist lieferbereit." Alles Weitere bleibt vorerst Schwesigs Geheimnis.

Verwendete Quellen
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