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Corona: Lockdown für Geimpfte darf kein Tabu-Thema mehr sein


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Tagesanbruch
Ein tödlicher Denkfehler

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 24.11.2021Lesedauer: 6 Min.
Jens Spahn und Olaf Scholz im Gespräch: Wer möchte uns regieren?Vergrößern des Bildes
Jens Spahn und Olaf Scholz im Gespräch: Wer möchte uns regieren? (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

Jens Spahn musste in dieser Pandemie viel reden. Und wer viel redet, der hat auch viele Gelegenheiten, Quatsch zu erzählen. Jens Spahn hat diese Gelegenheiten oft genutzt.

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Doch nur weil jemand viel Quatsch erzählt, bedeutet das noch nicht, dass er immer Quatsch erzählt. Manchmal sagt Jens Spahn auch richtige und sehr wichtige Dinge, so wie am Dienstagmorgen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Während nämlich ein großer Teil der deutschen Politik gerade so tut, als reiche die Zeit noch aus, um Corona mit einer allgemeinen Impfpflicht irgendwie wegzuimpfen, sagte Spahn dazu: "Sie löst unser akutes Problem nicht." Die Wirkung der Impfung komme viel zu spät, um mit ihr die Welle zu brechen.

Und da hat Jens Spahn nun mal recht, leider.

Deutschland ist längst über den Zeitpunkt hinaus, an dem das Schlimmste allein mit Impfen zu verhindern gewesen wäre. Das haben alle miteinander verbockt, nicht nur, aber eben vorneweg die Politik. Vielleicht erinnern Sie sich noch an einen gewissen Armin Laschet, der im Sommer, als er gerade mit dem Bundestagswahlkampf beschäftigt war, keine Lust auf eine Impfpflicht-Debatte hatte. Und der dann zwei Sätze sagte, die so schlecht gealtert sind, dass man sie noch mal in Gänze zitieren muss. Laschet sagte nämlich: "Wenn wir dann im Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch viel zu niedrig, finde ich, muss man dann weiter nachdenken. Aber nicht jetzt."

Weiter nachdenken, aber nicht jetzt, sondern im Herbst. Na, herzlichen Glückwunsch!

Das Argument, das viele Politiker noch bis zuletzt an einer Impfpflicht hat zweifeln lassen, war interessanterweise oft ein formales und kein inhaltliches: Man habe den Menschen eben versprochen, keine einzuführen, also könne man es jetzt auch nicht tun. Das zu versprechen, war nicht sonderlich klug. Denn auch damals war schon klar, dass sich ein Virus verändern und eine Impfpflicht nötig werden kann.

Doch zumindest bei dem Thema scheint sich die Politik nun nach und nach der Wirklichkeit zu beugen und nicht mehr ihrem eigenen Versprechen. Das ist wahrscheinlich richtig und nötig, damit wir nicht in einer Corona-Dauerschleife gefangen bleiben.

Nur reicht das eben nicht aus, es ist nicht mal das dringendste Problem, weil der Effekt für die akute Krise eben viel zu spät käme. Um die Katastrophe zu verhindern, muss die Politik schnellstens ein zweites Versprechen brechen: Dass es für Geimpfte keinen Lockdown mehr geben werde.

Denn es spricht inzwischen nicht mehr allzu viel dafür, dass die nun von den Bundesländern beschlossenen Regeln noch ausreichen, um die bislang größte Welle rechtzeitig und entschieden genug zu brechen. Ehrlich gesagt sprach noch nie sonderlich viel dafür, auch wenn die Politik das erstaunlich gut verdrängt hat. Schon nach der Expertenanhörung zum Ampelgesetz im Bundestag konnte das jeder ahnen, der dem Virologen Christian Drosten wirklich zugehört hat.

Das vielgelobte 3G im öffentlichen Nahverkehr? Bringt nichts, weil ein Test eben nicht vor einer Infektion schützt, und inzwischen viel zu viele Geimpfte selbst wieder ansteckend sind.

2G? Bringt alleine auch nicht viel, weil die Menschen, die sich derzeit vor allem anstecken, sowieso nicht viele Veranstaltungen besuchen, das Virus aber offensichtlich nach Hause getragen bekommen.

Christian Drostens Schlussfolgerung war deshalb in der Anhörung, dass man eine "zusätzliche Schutzschicht" einführen müsse, etwa indem man die Freiheit beschränke, sich mit Menschen zu treffen. Kontaktbeschränkungen also.

Einige Länder wie das besonders betroffene Sachsen haben sie nun eingeführt, diese Kontaktbeschränkungen. Nur für Ungeimpfte natürlich, versprochen ist versprochen. Nur braucht man keine Glaskugel, um vorherzusehen, dass niemand wirklich kontrollieren kann, ob sich nun ein Geimpfter mit mehr als einem Haushalt trifft oder doch ein Ungeimpfter. Und selbst wenn man das könnte, steigt mit der Inzidenz die Wahrscheinlichkeit für Impfdurchbrüche. Viele Geimpfte werden dann zwar nicht ins Krankenhaus oder auf die Intensivstation müssen, aber sie werden weitere Geimpfte anstecken. Und die stecken dann irgendwo Ungeimpfte an, im Zweifel in der Bahn trotz 3G.

Das Problem ist: Wir wissen inzwischen, dass Geimpfte nach einigen Monaten wieder ansteckend sind. Aber wir tun noch immer so, als wüssten wir es nicht, einfach weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Das Lockdown-Versprechen zu brechen, halten einige Politiker nämlich für noch heikler, als das Impfpflicht-Versprechen zu brechen. Man könne doch jetzt nicht die vielen Geimpften mitbestrafen, heißt es dann, nur weil sich einige wenige nicht impfen lassen wollten. Es müsse sich doch lohnen, sich impfen zu lassen.

Es sind Argumente, die einen populären Denkfehler offenlegen, der jetzt tödlich enden kann. Den Denkfehler nämlich, dass sich Geimpfte jetzt nur deshalb in einen Lockdown begeben würden, um Ungeimpfte zu schützen, aus hehren und selbstlosen Gründen, die niemand von ihnen verlangen könne. Nur stimmt das eben längst nicht mehr.

In Wahrheit würden sie sich selbst und ihre geimpften Freundinnen und Verwandten genauso schützen. Denn die Realität in deutschen Krankenhäusern ist schon jetzt, dass der Corona-Patient nicht nur mit dem anderen Corona-Patienten um ein Bett konkurriert, sondern mit Menschen, die einen Herzinfarkt erlitten haben, einen Schlaganfall oder sonst wie schnell Hilfe brauchen.

Nichts hat diesen fatalen Denkfehler so folgenreich auf den Punkt gebracht und die ganze Debatte so verrutschen lassen wie das Gerede von der "Pandemie der Ungeimpften". Wer geimpft ist, der kann sich zurücklehnen, so kam das an.

Es wird Zeit, sich endlich von diesem Mythos zu verabschieden. Was jetzt helfen würde, wäre ein Lockdown, und zwar auch für Geimpfte. Das muss (und sollte) nicht heißen, dass wieder alle Schulen schließen. Oder alle Läden und Büros. Aber es sollte eben schon heißen, dass alle für eine bestimmte Zeit ihre Kontakte deutlich reduzieren.

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Und damit danach nicht noch ein Lockdown nötig wird und dann noch einer, damit also die Corona-Dauerschleife mit einiger Wahrscheinlichkeit durchbrochen wird, sollte parallel wohl auch die allgemeine Impfpflicht kommen.

Und zwar besser jetzt sofort als erst am 9. Dezember, wenn sich Bund und Länder wieder treffen wollen. Denn dann ist die Lage sehr wahrscheinlich schon wieder sehr viel schlimmer. Ein Lockdown müsste entsprechend länger dauern, ziemlich sicher über Weihnachten und Silvester.

Und das will ja auch niemand.


Heute kommt wohl die Ampel

Heute könnten sie wirklich fertig werden. Nach "vorbereitenden Gesprächen auf Spitzenebene" am Dienstag kommen die Ampelkoalitionäre in spe an diesem Mittwoch noch mal in der Hauptverhandlungsrunde zusammen. So war es am Dienstag aus Verhandlungskreisen zu vernehmen. Gut möglich also, dass die Ampel ihren Koalitionsvertrag heute gleich im Anschluss präsentiert. Die Zeit jedenfalls drängt, nicht nur in der Corona-Krise.


Es wird ein bisschen ernster

Heute tritt das neue Infektionsschutzgesetz der Ampelkoalitionäre in Kraft, also auch die 3G-Regeln am Arbeitsplatz sowie in Bussen und Bahnen. Mehrere Länder haben zudem ihre Einschränkungen verschärft, die ebenfalls ab heute gelten. In Nordrhein-Westfalen und Thüringen debattieren die Landtage über die Corona-Lage. Hoffentlich hilft es was.


Sie streiken

Im öffentlichen Dienst geht es mal wieder ums Geld. Ende des Monats steht die dritte Runde der Tarifverhandlungen an. Die Gewerkschaften Verdi, GdP (Polizei), GEW (Bildung) und IG BAU machen deshalb heute mit einem Warnstreik Druck. Mit einer Veranstaltung in Hannover und einer in Bremen wollen sie ihre Forderungen stützen: 5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 150 Euro und für die Beschäftigten im Gesundheitswesen mindestens 300 Euro. Auch Azubis sollen 100 Euro bekommen.


Was lesen?

Markus Söder treibt in der Corona-Krise gern andere Politiker vor sich her. Doch seit der Schlappe bei der Bundestagswahl gerät der bayerische Ministerpräsident selbst zusehends unter Druck. In der CSU wächst die Unruhe, schreibt Jean-Marie Magro.


20 Leute feiern einen 30. Geburtstag, und fünf Tage später sind zehn mit Corona infiziert. Der Fall aus München bestätigt zwei Wahrheiten über das Impfen und die Tücken des Virus, wie mein Kollege Lars Wienand schreibt.


Er nahm die Bühne ein wie kein anderer. Auch heute noch sorgen seine Auftritte für Gänsehaut. Am 24. November 1991 starb Freddie Mercury, eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte. Doch auch 30 Jahre nach seinem Tod lebt sein Mythos weiter. "Denn einer wie Freddie, der geht nicht vollkommen. Der bleibt. Der ist immer da", wie t-online-Autorin Verena Maria Dittrich in ihrer Hommage schreibt.


Lange war Corona für die Börsen kaum ein Thema, im Gegenteil: Trotz steigender Fallzahlen herrschte Partystimmung. Jetzt aber gerät der Dax unter Druck. Meine Kollegin Nele Behrens erklärt, woran das liegt – und wie Sie die Talfahrt für sich nutzen können.


Was amüsiert mich?

So schmerzhaft würde es ja gar nicht werden ...

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder mein Kollege Florian Harms für Sie.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Ihr

Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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