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Bürgerkrieg in Jemen: Ein Blick in die Hölle


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Tagesanbruch
Blick in die Hölle

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.10.2021Lesedauer: 6 Min.
Anhänger der Huthi-Rebellen feiern mit grün bemalten Körpern den Geburtstag des Propheten Muhammad, eine der wenigen Freuden, die den Menschen im Jemen geblieben sind.Vergrößern des Bildes
Anhänger der Huthi-Rebellen feiern mit grün bemalten Körpern den Geburtstag des Propheten Muhammad, eine der wenigen Freuden, die den Menschen im Jemen geblieben sind. (Quelle: Hani Al-Ansi/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

jeden Morgen schauen wir, was die Nachrichten so bringen. Kaffee, Frühstücksfernsehen, Blick ins Handy. Wir sehen eilfertige Politiker, die an einer neuen Regierung basteln. Eine neue Bundestagspräsidentin und einen zurückgetretenen Bundesbankchef. Die Corona-Zahlen und die letzten Ergebnisse aus den Fußballstadien. Wir hören dies und lesen das, und oft haben wir abends schon wieder vergessen, was wir morgens erfahren haben. Der Nachrichtenstrom fließt tagtäglich an uns vorbei, und wenn wir ehrlich sind, reicht es den meisten Menschen schon, eine ungefähre Ahnung davon zu haben, was in Deutschland und der Welt vor sich geht. Das ist nicht schlimm, das ist vielleicht sogar gesünder. Zu viele News können die Laune verderben.

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Es gibt jedoch Nachrichten, die mehr als 30 Sekunden unserer Aufmerksamkeit verdienen. Schauen wir also heute Morgen nicht ins Berliner Regierungsviertel, nicht nach Brüssel und nicht auf die Bundesligatabelle. Schauen wir nach Sana'a. Die Millionenmetropole liegt 5.000 Kilometer südlich von uns im Süden der Arabischen Halbinsel und zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass sie die Hauptstadt des Jemen ist. Sana'a ist mehr als eine Stadt. Sana'a ist die Hölle. Dabei ist es noch nicht einmal der elendste Ort in diesem bettelarmen Land. Noch schlimmer ist die Lage in Sa'ada und in Marib, in al-Dschauf und im Wadi Amlah. Namen, die uns wenig sagen, die wir aber wenigstens für einen Augenblick in unser Bewusstsein lassen sollten.

Seit sieben Jahren herrscht im Jemen Bürgerkrieg, wobei dieses Wort die Dimension des Leids nur ungenügend wiedergibt. Bürgerkrieg im Jemen bedeutet: Menschen sterben, weil sie auf dem Weg zum Brunnen auf eine Mine treten. Ganze Familien werden ausgelöscht, weil Raketen ihre Häuser zerschmettern. Männer, Frauen und Kinder krepieren, weil sie keine Medikamente gegen Cholera, Diphtherie, Masern und natürlich erst recht keinen Impfstoff gegen Corona haben. Und noch viele, viele mehr erleiden den langsamen, grausamen Hungertod. Sie liegen entkräftet in Häusern oder notdürftigen Zelten und dämmern dem Ende entgegen. Und bevor das Ende kommt, kommen die Fliegen, die Würmer und die Parasiten. Der Tod ist allgegenwärtig im Jemen, Tag für Tag, seit sieben Jahren. Die Vereinten Nationen nennen es die schlimmste humanitäre Krise weltweit, aber der größte Teil der Welt nimmt kaum Notiz davon. Er schaut noch nicht einmal hin.

Kann ein Alarmruf die Ignoranz durchbrechen? Das UN-Kinderhilfswerk Unicef hat es soeben versucht und eine monströse Zahl verkündet: Seit Beginn des Jemen-Konflikts sind nachweislich 10.000 Kinder getötet oder verletzt worden. Und das sind nur die verifizierten Fälle, die tatsächliche Zahl liegt wohl noch viel höher. Zigtausende Kinder, die unverschuldet ins Elend gestürzt, an Leib und Seele verletzt oder umgebracht worden sind, weil der Krieg das Land zerrüttet, die Krankenhäuser zerstört und die Lebensmittelversorgung unterbricht. Auch die weiteren Zahlen sind brutal:

Mehr als 20 Millionen Jemeniten fehlt regelmäßig Essen und Trinken.

400.000 Kinder sind schwer mangelernährt.

Mehr als zwei Millionen Kinder können nicht zur Schule gehen.

Immer mehr Familien müssen vor den Kämpfen fliehen, mehr als anderthalb Millionen Kinder sind vertrieben worden.

Es ist ein Desaster, und es wird nicht dadurch besser, dass es sich 5.000 Kilometer entfernt von uns abspielt. "Fest steht: Kinder hungern nicht, weil es keine Lebensmittel gibt. Sie hungern, weil ihre Familien sich keine Lebensmittel leisten können und weil Erwachsene einen Krieg führen, in dem Kinder die größten Verlierer sind“, sagt Unicef-Mitarbeiter James Elder, der soeben aus dem Krisenland zurückgekehrt ist. "Jemen ist der schlimmste Ort der Welt, um ein Kind zu sein. Es ist kaum zu glauben, doch die Situation der Kinder verschärft sich immer weiter."

Es ist kaum zu glauben, in der Tat. Kaum zu glauben, dass sich die Erzrivalen Saudi-Arabien und Iran auf dem Rücken der jemenitischen Bevölkerung weiterhin einen Stellvertreterkrieg um die regionale Vorherrschaft und die Erdölfelder in der Wüste liefern können. Kaum zu glauben, dass die Saudis trotz Interventionen der US-Regierung weiterhin Waffen an Jemens Regierungstruppen liefern und die Teheraner Mullahs die Huthi-Rebellen aufrüsten. Kaum zu glauben, dass deutsches Militärgerät von den Vereinigten Arabischen Emiraten an jemenitische Milizen weitergereicht wird, die damit die Bevölkerung terrorisieren. Kaum zu glauben, dass zwei ehemalige Bundeswehrsoldaten drauf und dran waren, eine Privatarmee aus deutschen Ex-Soldaten und Ex-Polizisten für den Jemen-Krieg aufzubauen; 40.000 Euro sollte der Monatslohn jedes Söldners betragen. Kaum zu glauben, dass die Vereinten Nationen schon x diplomatische Anläufe für einen Waffenstillstand unternommen haben, aber jedes Mal gescheitert sind. Kaum zu glauben, dass all das vor unseren Augen passiert, aber kaum jemand wirklich hinschaut.

Tagtäglich schwimmt der Nachrichtenstrom an uns vorbei, viele Neuigkeiten vergessen wir schnell. Beim Drama im Jemen sollte das anders sein. Es ist nicht so schwer, etwas zu tun. Man kann zum Beispiel Politikern die Frage stellen, warum sie nicht mehr gegen das himmelschreiende Leid unternehmen. Man kann Freunde und Bekannte darauf ansprechen und so ein öffentliches Bewusstsein schaffen. Und natürlich kann man auch an eine der Hilfsorganisationen spenden, die den Mut haben, immer noch im Jemen zu arbeiten: etwa hier oder hier oder hier. Es klingt banal, aber das ist es nicht: Jeder Euro hilft.

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Jetzt geht’s los

Der schönen Worte sind genug gewechselt, nun beginnt der schwere Teil: Heute Nachmittag beginnen SPD, Grüne und FDP Verhandlungen über die Bildung einer Ampelkoalition. 22 Arbeitsgruppen sollen alle Details klären, die das Sondierungspapier noch offenließ – von der AG "Moderner Staat und Demokratie (Planungsbeschleunigung, Wahlrecht, Partizipation)" bis zur AG "Finanzen und Haushalt". Jede Partei entsendet maximal sechs Vertreter in eine Gruppe, SPD-Vize Kevin Kühnert etwa leitet die AG "Bauen und Wohnen". Aber nicht nur bei diesem Thema droht Streit. Vor allem müssen die Unterhändler klären, wo die von Grünen-Chefin Annalena Baerbock beschworenen 50 Milliarden Euro herkommen sollen, die sie jährlich für Investitionen, Digitalisierung und Klimaschutz ausgeben will – ohne Steuern zu erhöhen oder die Schuldenbremse auszusetzen. Aus dem Energie- und Klimafonds, der mit Einnahmen aus dem Emissionshandel gefüllt wird? Aus neuen Krediten, wie sie die Schuldenbremse gerade noch gestattet? Oder doch eher von privaten Investoren, die man mittels Risikoabsicherung motivieren könnte, den Ausbau des Ladesäulennetzes für E-Autos voranzutreiben? Es gehe darum, "die Dinge richtig zu kombinieren", hat SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz dazu mit der ihm neuerdings eigenen Lässigkeit gesagt – und eine Regierungsbildung vor Weihnachten als Ziel ausgerufen. Da müsste dann allerdings auch sein Nachfolger als Finanzminister feststehen…


Eine Krise jagt die nächste

Brüssel ist heute Schauplatz von gleich zwei Krisengipfeln: Die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten wollen über den Preisanstieg für Energie beraten – werden aber kaum umhinkommen, auch den heftigen Streit mit Polen zu thematisieren. Und beim Treffen der 30 Nato-Verteidigungsminister, die zum ersten Mal seit anderthalb Jahren wieder in der Bündniszentrale zusammenkommen, soll es eigentlich um die Aufarbeitung des Afghanistan-Desasters gehen – hier aber überschatten die Spannungen mit Russland die Lage. Es ist eben wie immer: Es bleibt keine Zeit, Lehren aus den vergangenen Krisen zu ziehen, weil immer schon die nächste Krise vor der Tür steht.


Was lesen?

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Die Europäische Zentralbank weicht die Stabilität des Euro immer weiter auf. Bundesbank-Chef Jens Weidmann hat offenbar deshalb nun seinen Job hingeschmissen. Eine "verstörende" Nachricht, kommentiert die "FAZ".


Christian Lindner wird wohl bald als Bundesminister mitregieren. Doch er arbeitet bereits an seinem nächsten Projekt, berichtet unser Reporter Tim Kummert.


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Bei den Briten, Spaniern und Ägyptern haben die Römer bereits Prügel von Asterix und Obelix bezogen. Nun werden sie an einem ganz neuen Ort von dem kleinen Gallier und seinem voluminösen Freund vermöbelt: bei den Sarmaten. Wo das heute erscheinende neue Asterix-Abenteuer spielt und was davon zu halten ist, berichtet Ihnen unser Asterixologe Marc von Lüpke.

Die spinnen, die Sarmaten. Oder spinne ich? Wie auch immer: einen schönen Tag und herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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