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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Linken-Politiker Er bespitzelte Biermann und beschäftigte einen Ex-Terroristen
Einer der skandalträchtigsten Bundestagsabgeordneten ist künftig nicht mehr Mitglied des Parlaments: Der Absturz der Linkspartei unter die Fünf-Prozent-Hürde lässt Diether Dehm ohne Mandat dastehen.
Einen "zwielichtigen Freund" hat Wolf Biermann einst seinen westdeutschen Manager genannt, "der mich im Auftrage meiner treuen Feinde hintergangen hatte". Der Grund war so einfach, wie der Vertrauensbruch groß: Diether Dehm, der bis vor wenigen Tagen dem Bundestag als Abgeordneter der Linksfraktion angehörte, soll den Liedermacher und DDR-Dissidenten nach seiner Ausbürgerung im Westen für die Stasi ausspioniert haben, was er immer bestritten hat, aber Akten nahelegen.
Dehms Nach-Wende-Karriere in der Partei tat das allerdings keinen Abbruch, auch wenn er zum Schluss nicht mehr auf einem der aussichtsreichsten Listenplätze landete. Dafür hatte sich Dehm über die Jahre auch innerparteilich zu sehr ins Abseits gestellt.
Er entging dem Parteiausschluss
Immer wieder erschien der Altlinke, der 1998 nach den Stasi-Enthüllungen die SPD verließ, inmitten einer sich zumindest langsam modernisierenden Partei wie ein Relikt des Kalten Kriegs. Kreml-Nähe, Antiamerikanismus, Sympathien für Diktatoren und Terroristen, Verschwörungstheorien – das gibt es auch weiterhin in der Linken, selten aber treten sie so offen zutage wie bei Dehm. So offen, dass sogar ein Parteiausschlussverfahren zur Debatte stand.
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Den mittlerweile berüchtigten Verschwörungsideologen Ken Jebsen unterstützte er entgegen eines Beschlusses des Parteivorstands, für Xavier Naidoo sprang er ebenfalls in die Bresche. Dessen Kritiker, die ihm Antisemitismus und eine Nähe zu Reichsbürgern vorwarfen, seien eine "antideutsche Shitstorm-SA".
Es war nicht das einzige Mal, dass sich der Abgeordnete sehr zum Leidwesen seiner eigenen Partei im Ton vergriff. Unter anderem verglich er Joachim Gauck und Christian Wulff, die beide für das Amt des Bundespräsidenten zur Wahl standen, mit Hitler und Stalin. Außenminister Heiko Maas nannte er einen "gut gestylten Nato-Strichjungen".
Für Entsetzen sorgte auch immer wieder seine Sympathie für (ehemalige) Terroristen: Den wegen neunfachen Mordes verurteilten RAF-Terroristen Christian Klar beschäftigte er nach seiner Haft für sein Bundestagsbüro – das kam erst raus, als Klar nach mehreren Jahren einen Hausausweis beantragte. Ein Betätigungsverbot der Hisbollah in Deutschland lehnte Dehm ab. Stolz bekundete er Solidarität mit der PKK und ergriff immer wieder Partei für angebliche Opfer des vermeintlichen US-amerikanischen Imperialismus: Syrien, Russland, Belarus.
Impftermin im russischen Staatsfernsehen
Folgerichtig nannte er auch seine Biografie, die 2019 erschien: "Meine schönsten Skandale". Dabei konnte sie damals noch gar keine vollständige Auflistung enthalten. Ein Jahr später nämlich veröffentlichte der Liedermacher auf einer Partei-Homepage ein verschwörungstheoretisches Lied über die Covid-Pandemie, von dem sich die Partei schnellstens zu distanzieren versuchte. In diesem Jahr reiste er auf Staatskosten nach Russland und ließ sich dort medienwirksam im russischen Staatsfernsehen mit "Sputnik V" impfen. Kurz vor der Wahl machte er Wahlwerbung mit dem von Rechten gefeierten Kabarettisten Uwe Steimle.
Durch all die kleinen und großen Diskussionen um seine Person machte sich Dehm auch in seiner Partei nicht beliebter. Als es um die Besetzung der niedersächsischen Landesliste für die Bundestagswahl ging, landete er nur noch auf Platz 5, der von Beginn an kein zwangsläufiges Mandat versprach. Damit verpasste er den Wiedereinzug – ein enormer politischer Rückschlag für Dehm, der einst stellvertretender Vorsitzender der PDS war und Landesvorsitzender der Linken in Niedersachsen. Da half auch die prominente Fürsprache der ihrerseits in Ungnade gefallenen Sahra Wagenknecht nicht mehr.
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Ein "eigenständiger Kopf" sei er, ein "provokanter Redner", lobte Wagenknecht. Sie habe ihn "sehr schätzen gelernt" und sie "hoffe sehr", dass sie auch in der neuen Fraktion gemeinsam mit ihm arbeiten könne. Das verhinderte nun der Absturz der Linken in der Wählergunst – vielleicht war es absehbar. Wagenknechts Wahlwerbung für Dehm wurde bei YouTube nur 449 Mal aufgerufen, ein zweites Video ebenfalls nur etwas mehr als 1.000 Mal.
Wer trotz all seiner Skandale übrigens trotzdem noch nie von Dehm gehört hat, hat zumindest vermutlich mal eines seiner Lieder gehört: Für die Klaus-Lage-Band schrieb er in den Achtzigerjahren die Songs "Tausend Mal berührt (Zoom!)" und den Schimanski Titeltrack "Faust auf Faust". Allein von seinen Tantiemen muss der Liedermacher, der früher unter dem Namen "Lerryn" auftrat, nun allerdings nicht leben: Nach vielen Jahren im deutschen Bundestag steht ihm eine Altersversorgung in Höhe von mehreren Tausend Euro zu. Mit seinen Musikproduktionen hat er Medienberichten zufolge allerdings bereits Millionen verdient.
- Eigene RecherchenBiermann, Wolf: "Ein ehrenwerter Mann"Spiegel: "Ein lustiger Clown - oder ein böser?"asd