Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Nur eine Zahl entscheidet die ganze Wahl
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
auch wenn Sie es angesichts der eher unspektakulären vergangenen Wochen vielleicht nicht glauben mögen: Wir erleben die spannendste Bundestagswahl seit Langem. Welche Koalition regiert? Wer wird Kanzler? Es ist alles offen.
Wenn Sie mehr über die Ausgangslage der Parteien vor dem Finale wissen wollen, empfehle ich Ihnen die neue Ausgabe unseres Podcast-Spezials. Im Gespräch mit meinen Kollegen Florian Harms und Annika Leister geht es unter anderem um die Frage, ob die SPD noch ins Straucheln gerät und die Union auf eine Trendwende hoffen kann. Hören Sie doch mal rein:
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Nächste Woche Sonntag haben wir dann endlich Gewissheit. Zumindest über das Ergebnis. Die Dynamik, die sich ab dem späten Nachmittag des 26. September entfaltet, lässt sich derzeit nur erahnen. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass zwei Fragen entscheidend sein werden:
- Wie bewertet die Union ihr Ergebnis?
- Wie groß ist der Abstand zwischen CDU/CSU und SPD?
Beides mag trivial klingen, ist aber gar nicht so leicht zu beantworten. Nehmen wir einmal an, das Ergebnis wäre ungefähr so, wie es einige Umfragen derzeit nahelegen: Die Union kommt bei 20 Prozent heraus, die SPD bei 25 Prozent.
Dann ist klar, dass CDU und CSU ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erleiden. An dieser historischen Niederlage gibt es nichts schönzureden. Der Vorsprung zur SPD ist so deutlich, dass Olaf Scholz wahrscheinlich unwidersprochen beanspruchen kann, die nächste Regierung zu führen.
Armin Laschet überlebt die Nacht, vermutlich bereits den Wahlabend, politisch nicht. Schließlich ist nach dem Debakel viel von Aufbruch und Erneuerung die Rede – und die Union, die sich eigentlich als natürliche Regierungspartei der Bundesrepublik betrachtet, geht freiwillig in die Opposition.
Falls ihr dieser Schritt schwerfallen sollte, kommen die Grünen zur Hilfe, indem sie rasch erklären, nicht mit dem deutlichen Wahlverlierer zu regieren. Ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP scheidet damit aus. Die Liberalen lassen sich in der Folge auf Verhandlungen für eine Ampelkoalition gemeinsam mit SPD und Grünen ein.
So weit, so wahrscheinlich. Zumindest, wenn es klare Verhältnisse gibt.
Komplizierter wird es, wenn die SPD zwar bei 25 Prozent landet, die Union aber bei 23 Prozent. Dann kommt es auf die Dynamik des Wahlabends an.
Theoretisch können CDU und CSU proklamieren: Klar, kein schönes Ergebnis, aber gegenüber den Umfragen vor ein paar Wochen ein beachtlicher Erfolg. Der größte Haken an dieser Interpretation ist, dass den ganzen Abend die Balken mit den Gewinnen und Verlusten gegenüber der Wahl vor vier Jahren zu sehen sind. Bei der SPD steht zwar kein riesiges, aber immerhin ordentliches Plus von fast fünf Prozentpunkten, bei der Union dagegen ein gigantisches Minus von zehn Prozentpunkten.
Ob Armin Laschet mit rund 23 Prozent doch noch die Chance hat, Kanzler zu werden, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Ob sich in der CDU und vor allem zwischen CDU und CSU der Selbsterhaltungstrieb gegenüber der zuletzt dann doch arg verbreiteten Neigung zur Selbstzerstörung durchsetzt. Und ob in der Öffentlichkeit die Erzählung "Besser als zuletzt befürchtet" gegenüber "Viel schlimmer als beim letzten Mal" dominiert.
Triumphiert der (Zweck-)Optimismus, bleibt die Chance auf eine Jamaika-Koalition bestehen. Aber natürlich ist auch ein Ampelbündnis denkbar. Wahrscheinlich wird auch hier viel von der Positionierung der Grünen abhängen. Und natürlich der FDP.
Die alles entscheidende Zahl, ob sich die Dinge hinziehen oder rasch regeln, heißt deshalb vermutlich: 5.
Trennen SPD und Union fünf Prozentpunkte oder mehr, wird Olaf Scholz wahrscheinlich Kanzler. Ist der Abstand (deutlich) geringer, hat Armin Laschet noch eine Chance. Oder, abhängig von der unionsinternen Entwicklung, sein Nachfolger als CDU-Chef. Oder, wer weiß: Markus Söder.
Sie sehen: Nach dem nächsten Sonntag ist nicht alles möglich, aber viel. In diesem Sinne ein schönes Wochenende!
Ihr
Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell
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Mit Material von dpa.
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