Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Was die neue deutsche Sprache über uns verrät
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
heute vertrete ich wieder Florian Harms und kommentiere für Sie die Themen des Tages:
WAS WAR?
Noch nie zuvor hat sich die deutsche Sprache in so kurzer Zeit so stark verändert. Seit Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland, also seit nunmehr einem Jahr, haben mehr als 1.200 neue Wörter und Begriffe ihren Weg in die deutsche Sprache gefunden. Sie haben richtig gelesen: 1.200! Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache dokumentiert seit März vergangenen Jahres, welche Neologismen rund um das Coronavirus im Deutschen entstanden sind und wie diese verdammte Seuche eigentlich unsere Sprache beeinflusst und verändert.
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Kleine Kostprobe gefällig? Wie wäre es mit "Abstrichzentrum", "Alltagsmaske" oder "Beherbergungsverbot"? Oder "Coronaprämie" und "Coronarebellen"? Schimpfwörter wie "Covidiot" fehlen auch nicht. Es gibt "Distanzunterricht" und "Drive-in-Tests". Beherrschen Sie die perfekte "Hust-und-Nies-Etikette" und ärgern sich über "Impfdrängler"? Können Sie den "Inzidenzwert" erklären und führen Sie auch ein "Kontakttagebuch"?
Sind Sie der "Lockerungsdebatten" auch so müde? Rollen Sie die Augen über "Maskenmuffel", "Nasenpimmel", "Quarantänebrecher" und "Querdenker"? Sind Sie Experte im "Social Distancing" und meiden Sie damit "Superspreader" um jeden Preis?
Das ist nur ein kleiner Teil der vielen Begriffe aus dem Neologismenwörterbuch, das natürlich stetig wächst, je länger die Pandemie und der gesellschaftliche Umgang damit dauern. Die komplette Liste inklusive Erklärungen zu jedem einzelnen Wort finden Sie hier. Vielleicht zeigt diese große Anzahl an neuen Vokabeln ja auch, worin die Deutschen bis jetzt am besten und fleißigsten waren in dieser Pandemie: Worte finden, Dinge konkret benennen, Komposita (also aneinandergereihte Wörter, die sich zu einem neuen Wort zusammenfügen) bis zum Gehtnichtmehr verknüpfen. Nicht umsonst wird von Ausländern die deutsche Sprache als schwierig, aber durchaus effektiv beschrieben. Im Englischen gibt es sogar den scherzhaften Ausdruck "Is there a German word for..." ("Gibt es ein deutsches Wort für..."), wenn wieder einmal etwas benannt werden soll, was kaum zu beschreiben ist. Ja, es gibt für fast alles ein deutsches Wort. Mindestens.
Ansonsten kriegen wir Deutschen ja leider gerade nicht wirklich viel auf die Reihe. Das mit dem Impfen klappt nicht so wie geplant, das Lockdownchen ist irgendwie nix Halbes und nix Ganzes, Homeschooling hat vielfach mit Lernen nichts mehr zu tun, die Wirtschaft schreit nach Öffnungen und die Menschen sind entweder mordsunvernünftig oder gehen ein vor Einsamkeit. Aber immerhin: Wir haben die Wörter, um auszudrücken, wie schlimm alles ist. Apropos: Sind Sie auch gerade so pandemüde?
Seit Montag ist Shoppen wieder möglich! Okay, nur in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Und nur gegen einen Termin und mit genügend Abstand und Lüften zwischen den Kunden. Das ist das sogenannte "Termin-Shopping" (schon wieder so ein schönes neues Corona-Wort), und für so manche Menschen muss es sich fast schon anfühlen, als seien sie Promis, denen ein kompletter Laden ganz allein zur Verfügung steht. Mein Kollege Mauritius Kloft, ohnehin vor Ort im Homeoffice, hat sich angeschaut, wie das Konzept angenommen wird – und mit Kundinnen und Geschäftsinhaberinnen gesprochen.
WAS STEHT AN?
It's the final Lockdown? Nein. Morgen beraten Bund und Länder wieder darüber, wie es in Sachen Corona weitergehen soll – doch schon jetzt scheint es laut Medienberichten zumindest bei einem Thema Einigkeit zu geben: Frau Merkel und die Länderchefs wollen den jetzigen Lockdown noch bis Ende März verlängern. Generell wird es bei der Videoschalte um drei große Themen gehen: Öffnungsstrategie, Impfstrategie, Teststrategie.
Doch der Lockerungsdruck ist groß, zumindest bei einigen Teilnehmern. Ab wann wieder gelockert werden kann, wird eine der großen Fragen bei der Videokonferenz sein. Bundesweit lag die Sieben-Tage-Inzidenz gestern noch bei 66 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche – ziemlich weit weg von den ursprünglich für Lockerungen angedachten 35. Doch auch diese Zahl soll wieder auf dem Prüfstand stehen: Es ist bereits die Rede von ersten Öffnungsschritten bei einer Inzidenz von 70. Na, ob das gut gehen kann? Wir sind hier schließlich inmitten einer todbringenden Pandemie und nicht auf dem Wochenmarkt, wo man um Inzidenzzahlen feilschen kann.
Drei Antigen-Schnelltests haben jetzt eine Sonderzulassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und dürfen künftig zu Hause genutzt werden. Zuerst herrschte Verwirrung darüber, wo und ab wann man solche Tests kaufen kann, doch jetzt gibt es erste Antworten. Meine Kollegin Sandra Simonsen hat für Sie zusammengefasst, wo Sie die Tests jetzt bestellen oder schon bald vor Ort kaufen können.
Heute wird Michail Gorbatschow stolze 90 Jahre alt. Die Deutschen sind "Gorbi" bis heute dankbar, weil es ohne seine Öffnungspolitik keine Einheit gegeben hätte. Doch in seiner Heimat Russland wird der ehemalige sowjetische Präsident verschmäht. Warum das so ist, hat uns der Schriftsteller Wladimir Kaminer aufgeschrieben, der in Russland geboren wurde.
WAS LESEN?
In Deutschland haben bisher knapp 6 Millionen Menschen die Erstimpfung erhalten – in Großbritannien sind es schon mehr als 20 Millionen. Entscheidend für die erfolgreiche Impfstrategie ist Kate Bingham, Biochemikerin und Risikokapitalunternehmerin. Sie hat schon Mitte letzten Jahres für das Vereinigte Königreich Massen an Impfdosen gesichert, indem sie tat, was die EU anscheinend nicht kann: Sie hat schnell gehandelt, viel gewagt – und viel gewonnen. Mein Kollege Stefan Rook hat die "Impf-Zarin" porträtiert.
In Deutschland kommen die Corona-Impfungen nur schleppend voran. Insbesondere der Impfstoff von Astrazeneca stößt bei vielen Menschen auf Skepsis, Tausende von Dosen bleiben ungenutzt. Politiker und Wissenschaftler fordern nun, die Impfstrategie erneut anzupassen. Welche konkreten Wege könnte Deutschland gehen? Meine Kollegin Melanie Weiner stellt Ihnen vier Möglichkeiten vor.
Dem deutschen Amateurfußball droht durch die Corona-Pandemie der Kollaps. Die Klubs ab den viertklassigen Regionalligen ächzen unter kostspieligen Hygienekonzepten, der Spielbetrieb liegt vielerorts völlig brach. In der Regionalliga Nord hat es den Hamburger Traditionsverein Altona 93 besonders hart getroffen. Mein Kollege Dominik Sliskovic hat mit Trainer Andreas Bergmann gesprochen – der sich mit einem verzweifelten Appell an die Verantwortlichen wendet.
WAS AMÜSIERT MICH?
Falls Sie mit einer ganz besonderen Maske Ihr Umfeld in den Wahnsinn treiben wollen, probieren Sie es doch mit dieser hier. Der Aufdruck erzeugt nämlich die Illusion, Sie würden die Maske UNTER Mund und Nase tragen. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich sie schrecklich oder schrecklich kreativ finde.
Zum Schluss möchte ich eine kleine Auflösung des Rätsels aus dem Tagesanbruch vom Montag geben, an dem sich ehrlicherweise sehr viele den Kopf zerbrochen haben:
Wer sollte das bitte sein? Ich wusste es zunächst auch nicht, dabei ist die Antwort gar nicht so schwer. Schauen Sie mal:
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag und ein hoffentlich gesundes Jahr! Denn dies ist mein vorerst letzter Tagesanbruch für eine ganze Weile: Ich gehe in Kürze in Mutterschutz und Elternzeit. Über gute Gedanken für die anstehende Geburt würde ich mich natürlich sehr freuen.
Morgen schreibt dann wieder wie gewohnt Florian Harms für Sie. Alles Gute!
Ihre
Anna Aridzanjan
Senior Redakteurin Audience Development
Twitter: @textautomat
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.
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