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Tagesanbruch: Terror in Halle – die Wahrheit ist nicht medienwirksam


Meinung
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Was heute wichtig ist
Die Wahrheit ist nicht medienwirksam

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 11.10.2019Lesedauer: 5 Min.
Nach dem Angriff in Halle/Saale: Seehofer während der Pressekonferenz.Vergrößern des Bildes
Nach dem Angriff in Halle/Saale: Seehofer während der Pressekonferenz. (Quelle: Hendrik Schmidt/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages. Heute in Stellvertretung für Florian Harms:

WAS WAR?

In diesen Stunden fällt es mir persönlich schwer, die politische Debatte über die Konsequenzen des Anschlags von Halle zu führen. Aber es tut gut zu sehen, dass in dieser dunklen Stunde die ganze Republik zusammensteht und sagt: "Nie wieder!"

Weil unser menschlicher Verstand immerzu versucht, die Welt in Kategorien einzuordnen, die sich begreifen lassen, debattieren wir. Um zu verstehen, hilft es aber kaum, die Tat in Halle einzuordnen: Links, rechts, islamistisch. Egal wie so eine Tat motiviert ist, sie bleibt für den gesunden Menschenverstand unbegreiflich.

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Die Teilnehmer der Pressekonferenz, die gestern in Halle abgehalten wurde, wurden somit auch deutlich: Der Rechtsstaat werde sich mit allen verfügbaren Mitteln wehren. Auch geistige Brandstifter müssten bekämpft werden, sagten Innenminister Horst Seehofer, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und sein Innenminister Holger Stahlknecht. Es ging um mehr als das übliche "Konsequenzen ziehen" nach einem schlimmen Vorfall. Das konnte man allen Beteiligten ansehen (hier in gesamter Länge).

Der Staat wachte spätestens nach dem Mord an Walter Lübcke auf. Erst vor zwei Monaten recherchierten Kollegen, dass das Bundeskriminalamt 440 Stellen in zehn Referaten zur Bekämpfung des Rechtsterrorismus aufbauen will. Geplant ist zudem eine "Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität", auch Aktivitäten im Internet sollen enger beobachtet werden. Es wird also geplant.

Bis der Rechtsstaat handlungsfähig gegen den rechten Terror ist, wird es allerdings noch dauern. Die Gefahr von rechts wird so schnell nicht kleiner werden. Der Verfassungsschutz kennt in Deutschland etwa 24.000 Rechtsextremisten, etwa 12.500 davon sind gewaltbereit. Dazu kommen etwa 19.000 sogenannte Reichsbürger (davon gelten 950 als rechtsextrem). Politiker täten gut daran auch zu sagen: Es braucht Geduld. Der Rechtsstaat ist langsamer als die Extremisten. Der Umbau von Strukturen, das Schulen von Strafverfolgern, das Finden wirksamer Mittel, es ist ein mühsamer Prozess. Oft erklären Politiker solche Zusammenhänge zu wenig. Der Grund ist einfach: Solche Wahrheiten sind nicht medienwirksam, und sie erhöhen die Umfragewerte nicht.

Zudem: Die Strafverfolger können nur die Symptome bekämpfen, niemals die Krankheit selbst: extremistisches Gedankengut. Dazu braucht es uns, die Zivilgesellschaft. Da wurde vor wenigen Wochen ein pikantes Detail bekannt. Das Familienministerium will das Demokratieförderprogramm "Demokratie leben" massiv umstrukturieren. Damit werden bundesweit Projekte gefördert, die Rechtsextremismus bekämpfen und demokratische Strukturen stärken. Von mehr als 1.000 eingereichten Projekten sollen kommendes Jahr nur 100 gefördert werden. Die Mittel sollen bis 2024 von 115 Millionen Euro auf 40 Millionen sinken. Gestern dann die Nachricht: Zumindest im nächsten Jahr soll nun doch nicht gekürzt werden. Danach? Das ist ungewiss.

Der Hintergrund: Der Bund darf Demokratieförderung rein rechtlich nur zeitlich befristet finanzieren. Es fehlt seit Jahren ein Gesetz, das eine dauerhafte Finanzierung ermöglicht. Die Union hatte es erst im vergangenen Jahr aus dem Koalitionsvertrag herausverhandelt. Es ist dringend an der Zeit für ein solches Gesetz.


WAS STEHT AN?

Fragt man die Buchmacher, ist die Sache schon ausgemacht. Der wohl wichtigste Preis des Jahres geht demnach heute Vormittag an ein 16-jähriges Mädchen, das in der Lage war, weltweit Millionen Menschen zu mobilisieren – indem sie sich in Stockholm mit einem Pappschild vor das Rathaus setzte. Jeden Freitag.

Da aber neben Greta Thunberg mehr als 300 Menschen nominiert sind, ist das Rennen um den Friedensnobelpreis noch völlig offen. Die Wettbüros haben als Konkurrenten für Greta Thunberg drei Namen ausgemacht.

Die sollten wir uns merken, selbst wenn Sie heute leer ausgehen sollten: Da wäre zum Beispiel die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern. Sie hat, nach ihrem Regierungsantritt im Jahr 2017, die Wirtschaftspolitik ihres Landes komplett umgestellt. Die Budgets der Ministerien orientieren sich nun nicht mehr am ökonomischen Wachstum, sondern am Wohlbefinden der Bevölkerung. Das sogenannte "Wellbeing Budget" ist inzwischen weltweit Vorbild für andere Regierungen. Bekannt wurde Ardern auch, als sie nach den Anschlägen von Christchurch innerhalb von nur einem Monat das Parlament dazu brachte, halbautomatische Waffen zu verbieten.

Hierzulande völlig unbekannt ist Abiy Ahmed. Der äthopische Premierminister schloss gleich nach seinem Amtsantritt im April 2018 Frieden mit dem Erzfeind Eritrea, das Ende eines langen und blutigen Konfliktes. Er entließ zudem viele politische Gefangene und besetzte die Hälfte der Ministerposten mit Frauen. In einer einzigartigen Aktion organisierte er ein radikales Aufforstungsprogramm. An nur einem einzigen Tag wurden im Juli landesweit 350 Millionen Bäume gepflanzt – Weltrekord.

Der vierte Favorit: Raoni Metuktire. Er ist Häuptling der Kayapo in Brasilien. Seit Jahrzehnten kämpft der 89-Jährige für den Erhalt des Regenwaldes, zusammen mit prominenten Unterstützern wie etwa Sting. Dank Metuktire entstand in Brasilien eines der weltweit größten Regenwald-Reservate.

Verdient hätten den Friedensnobelpreis alle. Ein Preis, der einen Einzelnen hervorhebt, ist zwar medienwirksam. Aber es ist vermessen zu glauben, dass eine einzige Person den Weltfrieden maßgeblich voranbringen kann. Greta Thunberg würde das vermutlich nicht für sich in Anspruch nehmen.


WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an den österreichischen Schriftsteller Peter Handke. Dabei hat er das Publikum beschimpft und eine Grabrede für Slobodan Milosevic gehalten. Gerhard Spörl beschreibt den Alleingänger. Trefflich.


Natürlich schieben wir Menschen gerne in Schubladen. Dann ist unsere Welt einfacher zu verstehen. Insbesondere Prominente leiden darunter, sagt unser Kolumnist Stefan Effenberg. Sportexperte Florian König hat mit ihm darüber (und über seine neue Aufgabe beim KFC Uerdingen) gesprochen. Hörenswert.

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Den Namen Sylvie Goulard wird Ursula von der Leyen so schnell nicht vergessen. Die französische Kandidatin ist gestern im EU-Parlament durchgefallen. Und der französische Präsident Emmanuel Macron gibt von der Leyen die Schuld dafür. Obwohl Goulard einer seiner drei vorgeschlagenen Kandidaten für die EU-Kommission war. Schwer verständlich? Die Kollegen vom Spiegel analysieren das Drama anschaulich.


DIE GUTE NACHRICHT

Die gute Nachricht kommt heute für alle Schweizer. Sie leben künftig nicht mehr in einem Land, dem vorgeworfen wird, eine Steueroase zu sein. Die Züricher Zeitung "NZZ" titelt ganz hochoffiziell: EU streicht Schweiz von der grauen Liste der Steueroasen. Dann kann die Schweiz ja doch langsam mal der EU beitreten.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Ich lache mit ihr. Wirklich. Und Sie werden es nicht glauben: Bei ihrer Rede im Parlament ging es um einen Elefanten, und ein Kamel namens Ali. Aber lachen Sie selbst.

Ich wünsche Ihnen schon mal ein genussreiches Wochenende.

Wenn Sie mögen, morgen erscheint der Tagesanbruch als Audio-Version. Florian Harms und Marc Krüger analysieren im "Tagesanbruch"-Podcast am Wochenende die wichtigsten Themen der Woche. Noch einmal sprechen sie über den Anschlag in Halle. Zudem wird es um die Lage in Nordsyrien gehen, die Rolle der Türkei und die von US-Präsident Donald Trump.

Morgen um 6 Uhr gibt es die neue Folge, aber Sie können schon jetzt den "Tagesanbruch"-Podcast kostenlos abonnieren, wo immer Sie gern hören: Spotify, Google, Apple, Deezer oder Podigee.

Am Montag schreibt dann wieder Florian Harms an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @peterschink

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