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Das Blackout-Syndrom: Am Morgen danach


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Das Blackout-Syndrom
Am Morgen danach

Ein Kommentar von Martin Eiermann, The European

Aktualisiert am 03.01.2012Lesedauer: 3 Min.
Das Blackout-SyndromVergrößern des Bildes
Das Blackout-Syndrom (Quelle: Daniel Craig)
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Der Kopf brummt, aus den Hosen hat man es auch nicht mehr geschafft. War wieder eine schwere Nacht, merkt man beim Aufwachen. Solange es immerhin das eigene Bett ist. An das Wie und Was kann man sich nicht mehr wirklich erinnern; irgendwann am frühen Nachmittag werden die ersten Anekdoten per SMS eintrudeln. Ein klassischer Fall von Blackout.

Das Verführerische daran: Man kann jede Dummheit gelassen mit Hilfe der Amnesie wegleugnen oder zumindest auf die verminderte Zurechnungsfähigkeit verweisen. Mit dem zunehmenden Pegel steigt auch die Bereitschaft der anderen, zu verzeihen. Der Alkohol sei schuld gewesen, hat Mel Gibson daher auch bekannt, nachdem er eine Straßenstreife in Kalifornien mit üblen antisemitischen Äußerungen angegangen hatte; er dächte ja sonst ganz anders.

Umweltschonend ins Mittelalter

Dieser Freibrief zur Verantwortungslosigkeit prädestiniert den Blackout als Verteidigungswaffe im Arsenal der versierten (man könnte auch sagen: skrupellosen) Politik. 2011 gab es genügend Beispiele dafür:

Blackout, das war das Totschlagargument, mit dem deutsche Energieversorger gegen den Atomausstieg mobil zu machen versuchten. Das Stromnetz werde zusammenbrechen, wenn Brunsbüttel und Co. vom Netz gingen, wurde uns lauthals verkündet. Da half es auch wenig, dass die Bundesnetzagentur den Hiobsbotschaften mit Entwarnungen entgegentrat. Dunkle Zimmer, kalte Heizungen, schlechte Stimmung. Die Energiewende schien Deutschland flugs ins Mittelalter zurückzuversetzen. Passiert ist: Nichts.

Blackout, das ist auch der offensichtliche Geisteszustand derjenigen im Finanzsektor, die jetzt munter auf den Status quo pochen und dabei offensichtlich vergessen haben, dass es genau dieser Status quo war, der uns unter anderem eine Hypothekenblase und toxische Wertanleihen hinterließ. "Es ist schon bizarr, davon zu sprechen, dass die Wall Street jetzt unter der Finanzkrise zu leiden habe", analysierte der US-Journalist Ira Glass schon 2009. "Wall Street hat sich diese Krise selber zuzuschreiben."

Blackout, das ist die rhetorische Strategie des Ex-Verteidigungsministers. Statt zu vieler Drinks waren es zu viele Datenträger, auf denen er sein Informationssammelsurium ablegte und dann leider den Überblick über eigene Gedanken und fremde Inspirationen verlor. Dieser Blackout war wohl besonders schwer - anders ist es kaum zu erklären, dass auch nach sechs Monaten Ausnüchterungszeit in Übersee immer noch kein Rest an Schuldgefühlen zu finden zu sein scheint. Der Mann sollte es einmal bei den Anonymen Abschreibern versuchen; Therapie kann Wunder wirken.

Therapie kann Wunder wirken

Und Blackout ist auch (und zwar ganz offensichtlich) der Grund hinter der Implosion von Rick Perrys Präsidentschaftskandidatur in den USA. Fünfzig Sekunden, ein verlegenes "Oops", das wars. Was dabei leicht unter den Tisch fällt, ist die ebenso offensichtliche Tatsache, dass Herr Perry noch nie besonders qualifiziert für das höchste Amt im Staate zu sein schien. Was ist ein größeres Armutszeugnis für die republikanische Partei: der realitätsferne 9-9-9 Steuerplan eines Herman Cain oder die homophobe Brachialrhetorik von Rick Perry? Man weiß es nicht so genau, und will es auch gar nicht so genau wissen.

Darf man sich etwas wünschen für 2012? Dann das hier: Politiker, die zu den eigenen Fehlern stehen und bereit sind, dafür die Konsequenzen zu tragen. Ehrliche Politik, die weder den tagtäglichen Untergang aufgrund der Vorschläge des politischen Gegners herbeiredet noch an der Wahlurne Luftschlösser baut. Wer keine neuen Schulden machen will, muss nun einmal mehr einnehmen oder weniger ausgeben. Auch Herr Schäuble ist kein Goldesel. Und, so ganz allgemein, die Bekenntnis zur Verantwortung: Zwar ist nicht jeder unbedingt seines Glückes Schmied, aber jeder kann sein Handeln so ausrichten, dass es Gutes schafft und Schlechtes verhindert. Es wäre ein Jahr ohne Blackouts.

Martin Eiermann ist als Leitender Redakteur Mitglied der Chefredaktion von The European und verantwortlicher Redakteur der englischsprachigen Seite. Eiermann studierte von 2006 bis 2010 neuere Geschichte und politische Philosophie an der Harvard University. Seit Herbst 2011 lebt er in London und studiert an der London School of Economics and Political Science.

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