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Freiheit in der Gesellschaft: "Ich bin gegen Rauch- und Trinkverbote"


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Freiheit in der Gesellschaft
"Ich bin gegen Rauch- und Trinkverbote"

Zeh, Juli

17.09.2010Lesedauer: 8 Min.
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Quelle: David Finck
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Die Autorin Juli Zeh hält im Allgemeinen wenig von Verboten: ob es nun um Tabak, Alkohol oder die Selbstinszenierung im Internet geht. Weshalb sie ihr Haus nicht fotografiert haben möchte, dicke Kinder kein Problem für die Gesellschaft sind und warum direkte Demokratie nicht die Lösung aller Probleme ist, verrät sie Nina Klotz. In ihrem 2009 veröffentlichten Buch "Angriff auf die Freiheit" warnt Juli Zeh gemeinsam mit Ko-Autor Ilija Trojanow vor dem Vordringen des Staates in die Privatsphäre seiner Bürger.

The European: In Ihrem Buch Angriff auf die Freiheit beschreiben und kritisieren Sie Versuche moderner Staaten, ihre Bürger auszuspionieren. In jüngster Vergangenheit wurde aber viel über andere Datensammler diskutiert, nämlich Google. Wie stehen Sie dem gegenüber?

Juli Zeh: Es ist ein großer Unterschied, ob sich eine Institution wie der Staat als Datensammler betätigt oder ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Das ergibt sich schon daraus, dass das Verhältnis zwischen Bürger und Staat ein völlig anderes ist als das zwischen Bürger und Google oder einer anderen Firma. Firmen können natürlich auch sehr mächtig werden, aber der Staat hat ganz andere Kompetenzen: Der Staat verfügt über Justiz, Polizei und diverse andere Einrichtungen. Damit möchte ich keinesfalls sagen, dass Google einen Freibrief verdient. Bestimmte Bestrebungen von denen gehen mir auf den Senkel und ich denke, wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, um auszuhandeln, was wir alles erlauben wollen und was uns zu weit geht.

The European: Was ist zum Beispiel mit Google Street View?

Zeh: Ich finde das unangenehm. Ich reagiere extrem empfindlich, wenn ich das Gefühl habe, irgendjemand rückt mir in irgendeiner Hinsicht zu nah. Ich differenziere nicht zwischen einem technischen Zunaherücken und einem Zunaherücken aus Fleisch und Blut. Wenn sich jemand mit einer Kamera vor mein Haus stellt und es fotografiert, würde ich fragen: Was machen Sie da eigentlich? Spontan hätte ich das Gefühl, dass das nicht in Ordnung und eine Respektlosigkeit mir gegenüber ist. Genau dieses Gefühl, das viele Menschen teilen, empfinde ich auch gegenüber technischen Maßnahmen wie vorbeifahrenden filmenden Autos. Es ist eine Frage der politischen Einstellung, wo man da seine Grenzen zieht. Und ich ziehe meine relativ eng.

The European: Viele Leute machen das ja nicht. Viele stellen freiwillig ihre Familienfotos ins Internet, auf Facebook zum Beispiel.

Zeh: Das darf man nicht in denselben Topf werfen. Seine eigenen Daten zu veröffentlichen ist Teil der persönlichen Freiheit. Das kann jeder machen, wie er will. Wenn ich sage: Ich will nicht, dass fremde Personen mein Haus fotografieren, heißt das noch lange nicht, dass ich selbst mein Haus nicht fotografieren und das Bild ins Netz stellen kann. Es ist eine völlig andere Frage, ob ich das aus freien Stücken tue oder ob das jemand tut, ohne mich zu fragen und wenn ich das selbst nicht will. Grundsätzlich ist es aus meiner Sicht vollkommen in Ordnung und wünschenswert, dass die Menschen sich selbst veröffentlichen, wenn es ihnen Spaß macht. Es wäre dem gesunden Menschenverstand nach nur empfehlenswert, das nicht allzu exzessiv zu tun und nicht ohne zu wissen, dass daraus Nachteile entstehen können. Vielen ist das noch nicht bewusst, aber irgendwann werden sie diese Erfahrung machen. Diese Erfahrung werden sie weitergeben und dann wird sie Teil unseres kollektiven Bewusstseins. So entsteht ganz automatisch eine gewisse Vorsicht. Ich glaube, dass man diese Vorsicht als Kollektiv, als Gesellschaft lernen muss. Und ich bin optimistisch, dass das passiert, ohne dass jemand eingreifen muss.

"Die Menschen sind schließlich nicht blöd"

The European: Aber muss man den Menschen nicht manchmal helfen, sich selbst zu schützen?

Zeh: Ganz selten. Die Menschen sind schließlich nicht blöd. Sie sind allerhöchstens unbedarft. Aber es schadet bestimmt nicht, an Schulen oder Bildungseinrichtungen die Beschäftigung mit Neuen Medien ein wenig auf Vordermann zu bringen. Thematisch befinden sich die Schulen vielfach in der Steinzeit, während viele Kinder in der Hinsicht schon in der Gegenwart bzw. Zukunft angekommen sind. Es ist beispielsweise komisch, wenn eine Schule noch nicht einmal über Computer verfügt. Wie sollen Schüler lernen, sinnvoll das Internet zu benutzen, wenn es in der Schule keinen Internetanschluss gibt?

The European: Seitens der FDP gab es unlängst den Vorschlag, Daten mit einer Art Verfallsdatum zu versehen. Irgendwann verschwinden sie aus den sozialen Netzwerken, aus dem Netz. Was halten Sie davon? Finden Sie das realistisch?

Zeh: Ich weiß nicht, ob das technisch realisierbar ist. Wenn ja, finde ich das erst einmal super. Der Kunde könnte dann sagen: Ich gebe dir meine Daten, nur eben mit einem Verfallsdatum. Das finde ich prima. Ich würde es allerdings nicht verstehen, wenn man das als Zwangsregelung flächendeckend für alle Daten einführen würde. Da wird man sicherlich Zusammenhänge finden, in denen so etwas nicht sinnvoll ist. Wenn ich den Firmen, mit denen ich regelmäßig kooperiere, von meiner Bank bis hin zu meinem Autoversicherer, alle sechs Monate meine Datensätze neu schicken müsste, hätte ich ja nichts anderes mehr zu tun.

"Ich bin gegen Rauch- und Trinkverbote"

The European: Letztes Jahr erschien Ihr Roman Corpus Delicti, in dem Sie von einem Zukunftsstaat im Gesundheitswahn sprechen. Erste Anzeichen sind bereits im Deutschland von heute zu spüren, immer strengere Nichtrauchergesetze, Diskussionen über ein mögliches Alkoholverbot. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Zeh: Ich bin ja schon Gegner des Rauchverbots und auch Gegner von drohenden Alkoholverboten. Bestrebungen in diese Richtung gibt es tatsächlich und sie gehen sogar viel weiter: Von der WHO gibt es bereits Studien, die sich damit beschäftigen, die Gefährlichkeit des Passivtrinkens nachzuweisen. Diese Argumentation läuft in die Richtung, zu behaupten, dass es nicht nur für die Person selbst, die trinkt, schädlich sei, sondern auch für die anderen. Dazu muss man wissen: Unser Freiheitsverständnis folgt fast immer der guten alten Regel, Freiheit gilt nur so weit, bis sie die Freiheit des anderen verletzt. So hat man schon beim Rauchen mit mehr oder weniger glaubwürdigen Studien belegt, dass Passivrauchen eine wahnsinnige Bedrohung für andere sei.

So konnte man dann sagen, dass Rauchen die Freiheit eines Fremden gefährde und nicht nur die eigene Gesundheit. Genauso gibt es jetzt beim Trinken die Bestrebung nachzuweisen, dass alkoholisierter Atem krebserregend sei. Erscheint absurd, aber als die ersten Ideen zum Passivrauchen kamen, erschien das auch absurd. Ich bin der Ansicht, dass wir mit unserem Gesundheitsstreben einige Schritte zu weit gegangen sind. Auch was die Behandlung von Übergewichtigen und so weiter angeht. Überhaupt diese Idee, dass man Menschen selektieren könne nach gesundheitlichen Parametern, stößt mir ziemlich bitter auf.

The European: Sie meinen, dass Übergewichtige an den Pranger gestellt werden, weil sie das Gesundheitswesen vermeintlich so viel kosten? Dass das Gewicht von Schulkindern zum Politikum wird?

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Zeh: Wir müssen uns daran erinnern, dass unsere Gesellschaft die gesündeste, langlebigste und seit Menschengedenken am besten ernährte ist, auch im internationalen Vergleich. Manchmal frage ich mich einfach: Gibt es nichts anderes, worüber wir uns Sorgen machen können? Eigentlich haben wir doch genug Probleme, warum suchen wir uns dann ausgerechnet eines aus, das wirklich schon fast in der Perfektion ist, nämlich unsere Ernährung? Und dann immer dieser Verweis auf ein paar übergewichtige Kinder. Das rangiert irgendwo zwischen geschmacklos und lächerlich.


Dass unser Gesundheitssystem teurer wird, ist ein Fakt, liegt aber nicht daran, dass die Menschen alle dauernd krank sind und sich schlecht ernähren oder zu blöd sind, auf ihre Gesundheit zu achten. Das liegt einzig und allein daran, dass sie älter werden, dass sie zu gesund sind. Wenn wir nicht die Konsequenz ziehen wollen und sagen: Na, dann müssen die Alten halt früher abkratzen, dann gibt’s keine Gesundheitsversorgung mehr ab 80, keine neue Hüfte mehr mit 90 – wenn man das aus guten Gründen nicht will, dann muss die Konsequenz eben lauten: Die Sache wird einfach teurer. Heißt: Wir alle müssen mehr dafür bezahlen. Wenn die Kassenbeiträge steigen, kann man sich nicht hinsetzen und rumjammern, als ginge die Welt unter. Man muss sich überlegen, was man will. Man kann nicht zwei Dinge gleichzeitig machen. In diesem Paradoxon wohnt meiner Meinung nach der gesamte Konflikt, aus dem so absurde Emanationen erwachsen wie Rauchverbot und Übergewichtskontrolle. Weil die Behauptung, dass es im Alter keine Gesundheitsförderung mehr geben solle, glücklicherweise und zu Recht ein Tabu ist, werden auf irgendwelchen Ersatzschlachtfeldern ganz absurde Kämpfe und Diskussionen ausgetragen.


Ich habe das Gefühl, dass sich diese Debatte in die Ecke gefahren hat. Am besten wäre es, reinen Tisch zu machen, die Fakten zu sortieren, auf wirkliche Probleme zu fokussieren und auf die Frage, wozu wir das Geld wirklich gebrauchen. Sonst müssten wir ja auch das Arbeiten verbieten. Denn statistisch gesehen sind die meisten Krankheiten immer noch Herzinfarkte, Schlaganfälle. Die wiederum gehen zu großen Teilen auf Stress, zu viel Arbeit oder Mobbing im Büro zurück. Also müssten wir sagen: Mehr als fünf Stunden Arbeit am Tag sind verboten, genauso wie Rauchen oder irgendetwas anderes.

Es gibt Probleme, die man akzeptieren muss, weil es keine Probleme sind

The European: Was ist Ihr Lösungsansatz für das Dilemma unseres Gesundheitswesens, das unaufhaltsam teurer wird?

Zeh: Es gibt keine einfache Lösung. Es gibt Probleme, die man akzeptieren muss, weil es keine Probleme sind, sondern Folgen von etwas Wünschenswertem. Wir wollten immer unbedingt älter werden. Dazu hat uns niemand gezwungen. Wir möchten das individuell und wir möchten das als Gesellschaft. Wir finden das toll, hundert Jahre alt zu werden. Und wir möchten nur bis 65 arbeiten. Rechnerisch ist doch vollkommen klar, was dann passiert: ein Rentenproblem, ein Gesundheitsproblem! Es wird einfach viel Geld kosten. Das müssen wir aufbringen. Vielleicht müssen wir es woanders sparen und in die Rente und die Gesundheit investieren. Die einzige andere Alternative wäre, dass sich die Gesellschaft spaltet und nur noch die Reichen eine Versorgung bekämen, sodass für die Armen nichts mehr übrig bliebe. Dann stünden wir vor einer eklatanten Verletzung unseres Gerechtigkeitsprinzips, weshalb ich diesen Gedanken nicht favorisiere.


Aber wichtig ist: Es sind weder die Raucher noch die Übergewichtigen die wahrhaft Teuren. Es gibt unzählige Studien, die beweisen, dass Menschen, die ein bisschen mehr auf den Knochen haben, weniger Herzinfarkte bekommen als die ganz mageren, sehr aktiven Typen, die fanatisch Sport treiben. Wichtig ist, zu verstehen, dass Gesundheit etwas rein Individuelles ist, das man nicht kollektiv normieren kann. Man kann nicht sagen: Alle Menschen machen eine Stunde Sport am Tag und bekommen 2000 Kalorien, essen niemals Chips. Es gibt keine allgemeinen Regeln für Gesundheit. Die einzige allgemeine Regel ergibt sich aus dem gesunden Menschenverstand und lautet: Maß halten, und zwar nicht nur beim Essen, sondern auch beim Arbeiten und überhaupt bei allem, was man tut.

The European: Sie engagieren sich nicht nur in Ihren Büchern politisch. Empfinden Sie es manchmal als schwierig, sich als junger Mensch und dazu noch als Kulturschaffende politisch zu betätigen? Oder sehen Sie das als eine Position, aus der heraus Sie viel bewegen können?

Zeh: Ich persönlich empfinde das eher als eine sehr günstige Position. Ich habe das Glück, Meinung äußern zu dürfen, die gehört wird. Überhaupt verbessern sich die Möglichkeiten, sich politisch zu äußern, allein schon durch die Existenz des Internets. Seltsamerweise wird trotzdem dauernd behauptet, es gäbe eigentlich gar keine richtige Demokratie mehr. Da heißt es dann wieder, dass wir direkte Demokratie brauchen und Volksentscheide. Fakt ist aber: Wenn man in der Gemeinde oder Stadt, in der man lebt, zu einer Gemeinderats- oder Stadtratsversammlung geht, wird man feststellen, dass man der einzige Besucher ist. Dabei ist das der Ort, wo Politik anfängt und wo direkte Mitwirkungsmöglichkeiten für jeden existieren. Aber die Menschen nehmen diese Möglichkeiten nicht wahr. Warum direkte Demokratie fordern, wenn noch nicht einmal die repräsentativen Möglichkeiten ausgeschöpft werden?

Die studierte Juristin arbeitet seit vielen Jahren erfolgreich als Schriftstellerin. In ihrem 2009 veröffentlichten Buch "Angriff auf die Freiheit" warnt Juli Zeh gemeinsam mit Ko-Autor Ilija Trojanow vor dem Vordringen des Staates in die Privatsphäre seiner Bürger.

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