Neue grüne Wirtschaft Hofreiter: "Das darf niemals Gesetz werden!"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Klimakrise erfordert einen radikalen Wandel der deutschen Wirtschaft. Die Grünen legen jetzt einen Plan für diese Zukunft vor – in der deutsche Autos noch eine wichtige Rolle spielen.
Auf ihrem Parteitag wollten die Grünen vor allem über Wirtschaft sprechen. Dann gingen Millionen für mehr Klimaschutz auf die Straße, die Regierung legte ein Klimapaket vor, Wissenschaftler kritisierten es. Sie sagten: Der Plan der Regierung reicht nicht.
Reicht der Plan der Grünen? Haben sie überhaupt einen? Diese Fragen drängten sich auf. Auf dem Parteitag an diesem Wochenende in Bielefeld beraten sie über einen Antrag, der das Bild einer grünen Marktwirtschaft zeichnen soll. Wie also stellen sich die Grünen die Zukunft vor, in der Deutschland seine Treibhausgasemissionen drastisch senkt und dabei seinen Wohlstand mehrt?
Anton Hofreiter, 49, ist einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Landwirtschafts- und Verkehrspolitiker. Ohne Autos wird es nicht gehen müssen, sagt er. Aber Zölle könnten nötig werden – vor allem wegen einer aufstrebenden Wirtschaft.
Herr Hofreiter, im Leitantrag des Parteitags zu Wirtschaft und Klimaschutz heißt es: "Jede Generation hat ihre Aufgabe. Einen nachhaltigen und gerechten Wohlstand zu schaffen, ist unsere". Sie haben keine Angst vor dem Pathos?
Anton Hofreiter: Wir erleben ein Massenaussterben und eine beschleunigte Klimakrise, wir müssen unsere Lebensgrundlagen retten und zwar jetzt. Das ist eine sehr große Aufgabe. Dazu ist es nötig, unsere Marktwirtschaft zu modernisieren und zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft umzubauen.
Man erwartet von den Grünen Antworten: Ist dieser Leitantrag der grüne Masterplan?
Dieser Antrag ist nur ein Teil, aber ein ganz entscheidender Teil, um das zu tun, was notwendig ist. Um diese riesige Aufgabe zu bewältigen, darf man kein Instrument auslassen, keines, das wäre ideologisch und falsch. Man braucht Regulierungen wie das feste Ende des fossilen Verbrennungsmotors, Preissignale wie den CO2-Preis und Anreize wie unsere Gründungszuschüsse für Startups.
Wie sicher sind Sie, dass ihre Lösung funktioniert?
Keiner kann behaupten, für alles die optimale Lösung zu haben. Auch wir nicht. Entscheidend ist, dass man mit allen nötigen Maßnahmen jetzt anfängt und dass man dialogbereit ist. Man kann nicht alles immer weiter verschleppen, wie die Regierung es macht, dann wird es ganz sicher nie funktionieren. Fehler passieren, das ist in Ordnung, man muss sie aber rechtzeitig korrigieren. Wir sind zuversichtlich, dass wir mit unseren Vorschlägen das Pariser Klimaabkommen einhalten können, wenn wir heute damit anfangen.
Parteitags-Rede im Video: Habeck wirbt für "Green New Deal"
Was heißt das, dialogbereit zu bleiben?
Wir sind im intensiven Austausch mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Unternehmen. Mit der IG Metall hatten wir zum Beispiel Diskussionen darüber, wie die Transformation der Autoindustrie zu schaffen ist. Es stimmt ja, dass man die Leute mitnehmen muss. Das macht man aber eben nicht, indem man die Notwendigkeit eines Umbruchs leugnet. Wir brauchen stattdessen ein Qualifizierungs-Kurzarbeitergeld und vernünftige Mitbestimmung.
Gerade kritisiert ein ungewöhnliches Bündnis aus Gewerkschaften, Windbranche und Bund der Industrie die Regierung für die geplante Abstandsregel: 1.000 Meter zu einer Siedlung ab fünf Häusern.
Das darf niemals Gesetz werden! Das wäre die Zerstörung einer Schlüsselbranche der sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Der Windkraftausbau ist auf etwa ein Zehntel des Stands vor zwei Jahren eingebrochen, die Windkraftbranche hatte auf das Klimapaket gehofft und die Zähne zusammengebissen. Jetzt geht es nicht mehr, einer der größten Firmen hat angekündigt, 3.000 Stellen zu streichen. Es ist ohnehin nicht sinnvoll, Abstände bundesweit zu regeln, weil Bundesländer sehr unterschiedlich dicht besiedelt sind.
Es bleibt aber doch ein Akzeptanzproblem. Viele Menschen wollen in ihrer Umgebung kein Windrad.
Eine Umfrage zeigt, dass Menschen, die Windräder in ihrer Nähe haben, mehrheitlich der Windkraft aufgeschlossener gegenüberstehen. Es macht außerdem einen großen Unterschied, ob Anlagen von einem Investor oder von Gemeinden und Bürgerenergiegenossenschaften gebaut werden - dann profitiert man vor Ort.
Müssten sich die entlassenen Arbeiter einfach mal gelbe Westen anziehen und auf die Straße gehen?
Das müssen sie selbst entscheiden. Und grüne Westen würden dann wohl besser passen. Wichtig ist, dass allen klar wird, welche Folgen das Leiden der Windkraftbranche auch für andere Branchen hat. Das Elektroauto macht nur Sinn, wenn wir ausreichend sauberen Strom haben. Viele Stahlproduzenten sagen, die Zukunft für Deutschland ist CO2-freier Stahl, da sind sie wettbewerbsfähig, während konventioneller Stahl aus China immer billiger sein wird. Dafür brauchen wir aber grünen Wasserstoff und dafür grünen Strom. Wer die erneuerbaren Energien abwürgt, lässt das Herz des Klimaschutzes und zugleich das Herz der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovationskraft in Deutschland stillstehen.
Wie groß stellen Sie sich die Rolle von Autoindustrie, Chemie und Maschinenbau in Ihrer neuen sozial-ökologischen Marktwirtschaft vor? Kann das Autoland Deutschland wirklich einfach das E-Auto-Land werden?
Das Auto verschwindet erstmal nicht. Momentan werden in Deutschland 80 Prozent der gefahrenen Personenkilometer im Auto zurückgelegt, weltweit fahren immer mehr Menschen Auto, deshalb ist es essentiell, dass Deutschland künftig vorn dabei ist, abgasfreie Autos zu produzieren. Wenn wir das klug umsetzen, würde das auch unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.
Viele der Automobil-Zulieferer wird man trotzdem nicht mehr brauchen.
Es wird möglich sein, viele Arbeitsplätze zu retten – dafür braucht es Weiterbildung und Umschulungen. Ohne das wird es nicht gehen. Wir sollten über regionale Transformationsbündnisse nachdenken, zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und der regionalen Politik, um die Umbrüche zu gestalten und den Übergang zu schaffen. Die Bundesagentur für Arbeit könnte auch daran beteiligt sein.
Wie schnell könnte man in Deutschland eigentlich ein Eisenbahnnetz aufbauen, das eine echte Alternative zum Auto darstellt?
Das wird viele Jahre dauern. Aber man muss jetzt beginnen, sonst bekommt man es nie hin. Die Bahn hat 70 Jahre ohne echte Investitionen hinter sich. Zum Teil sind Kriegsschäden und Lücken durch Reparationsleistungen im Schienennetz noch nicht beseitigt.
Die Infrastruktur ist gerade in ländlichen Regionen ein Problem. Fehlt es wirklich an Geld oder nicht eher an Baufirmen und Handwerkern?
Das größte Problem ist der wilde Zickzackkurs der Regierung. Die Unternehmen konnten nicht langfristig planen und haben deshalb nicht die nötigen Kapazitäten aufgebaut. Ständig die Gesetze zu ändern, ist die beste Methode, eine Branche kaputt zu machen. Wir brauchen langfristige, planbare Investitionen, dafür muss das Dogma der schwarzen Null weg. Und es braucht auch mehr Personal für Planung und Genehmigung.
Für Planbarkeit soll ein CO2-Preis für Verkehr und Wärme sorgen. Sie schlagen als Einstieg 40 Euro vor – wesentlich mehr als die Regierung, aber weniger als viele Wissenschaftler. Ist das nicht ein Offenbarungseid für die Grünen?
Nein, der Einstiegspreis ist sehr nah an der Wissenschaft. Außerdem ist es nur der Einstiegspreis, der dann ansteigt. Und es ist ja nicht die einzige Maßnahme, sondern eine von vielen.
Das Argument würden Sie der Regierung nie durchgehen lassen.
Da ist aber eindeutig, dass deren geplante 10 Euro gar nichts bringen und ihr Anstiegspfad mehr als peinlich ist. Das Konzept von Union und SPD ist rechtlich unsicher und obendrein sozial ungerecht. Wir wollen dagegen einen Preis, der von Beginn an wirkt und rechtssicher ist, und alles an die Menschen zurückzahlen, weil das sozial gerecht ist.
Warum dann nicht gleich mit einem höheren CO2-Preis einsteigen, wenn Sie das Geld ohnehin komplett zurückzahlen wollen?
Auch wenn man alles zurückzahlt, trifft es ja nicht alle gleich. Und die Leute müssen auch eine Chance haben, sich anzupassen.
Wenn man eine Wirtschaft umfassend umbaut, dürfte sie verletzlich sein. Muss man sie vor dem Wettbewerb schützen?
Eine sozial-ökologische Wirtschaft wird nicht funktionieren, wenn es international nicht fair zugeht. Es macht keinen Sinn, unsere Stahlindustrie CO2-frei zu machen, wenn schmutziger Stahl aus China unkontrolliert zu uns kommt. Davon hat das Weltklima nichts. Wir unterstützen die Überlegungen der EU-Kommission, Maßnahmen gegen Dumping auszubauen. Auch Klimaschutzzölle halten wir für sinnvoll.
Zölle worauf und woran bemessen?
Wir würden die Klimazölle auf Grundstoffprodukte wie Stahl oder chemische Produkte beschränken, da lässt sich der CO2-Ausstoß durch die Herstellung ganz gut berechnen. Bei komplexen Produkten wie einem fertigen Handy ist das nicht so einfach.
Das wäre eine andere Herangehensweise an Handel, eine dezidiert politische, oder?
Auch die heutige unregulierte Globalisierung ist politisch. Politisch in dem Sinne, dass soziale und ökologische Standards durch den internationalen Wettbewerb massiv unter Druck gesetzt werden. Notwendig ist ein ganz anderer Ansatz, um soziale und Klimaabkommen mit ökonomischen Interessen zu verbinden. Viele Unternehmen haben Nachteile, wenn sie sich an vereinbarte Klima- oder Arbeitsstandards halten. Wer sich ans Recht hält, ist gerade der Dumme. Deshalb sagen wir: Das Pariser Klimaabkommen muss verpflichtender Bestandteil von Handelsabkommen werden. Handelspartner würden dann Vorteile des Abkommens verlieren, wenn sie sich nicht an das Klimaabkommen halten. Genauso wollen wir Menschenrechtsstandards und internationale Arbeitsstandards mit Handelsabkommen verknüpfen.
Es entstünde die kleinste Freihandelszone der Welt – fast kein Staat erfüllt das Paris-Ziel.
Vielleicht gäbe es dann aber ein unmittelbares ökonomisches Interesse, das mehr Staaten zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens bewegen könnte. Sie müssten sich dann an den verpflichtenden Berichten messen lassen. Unterschrieben haben das Pariser Abkommen ja fast alle. Man könnte noch weitergehen: Es wäre mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar, den Import von Produkten zu verbieten, die aus gerodeten Gebieten etwa in Brasilien stammen. So könnte man jedes Abkommen spezifizieren.
Da bräuchte man Bündnispartner.
Emmanuel Macron hat genau das für das Mercosur-Abkommen und ein Abkommen mit Neuseeland vorgeschlagen. Man findet Verbündete, wenn man sie will. Die deutsche Bundesregierung blockiert leider, sie behauptet, Handel und Klima seien unterschiedliche Paar Stiefel. Deutschland ist längst nicht mehr Vorreiter.
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Die Union will gerade die Unternehmenssteuern senken - die bremsten Unternehmen aus. Sehen Sie auch Handlungsbedarf?
Zu hohe Unternehmenssteuern kann ich wirklich nicht als Problem ausmachen. Die deutschen Unternehmen machen hohe Gewinne, investieren aber zu wenig. Sie legen also Geld zurück. Die Unternehmen kämpfen mit ganz anderen Dingen: Unsere Infrastruktur ist marode, deshalb verliert Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit. Dazu kommen der Fachkräftemangel, und die staatskapitalistische Dumpingkonkurrenz aus China. Der chinesische Bahnriese CRRC kann derzeit jeden Konkurrenten einfach plattmachen. Deshalb brauchen wir Anti-Dumping-Regeln.
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