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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Finanzaffäre im Arbeitnehmerflügel Bruchlandung eines CDU-Aufsteigers
Mit viel Geld wollte Dennis Radtke den Arbeitnehmerflügel der CDU in NRW neu aufstellen. Auch mit Blick auf Ambitionen in der Bundespolitik. Übrig bleiben unbezahlte Rechnungen und ein drohender Rechtsstreit.
Eigentlich kann sich Dennis Radtke nicht über mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit beklagen. Die "Welt" nannte ihn in einem ausführlichen Porträt vor einigen Monaten den "Anti-Merz" und "Kronprinz der CDU-Linken". Ein anderes Stück schrieb ihm kürzlich zu, das "soziale Gewissen" der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament zu sein. Einig sind sich Beobachter, dass Radtke Ambitionen hat, die über sein Mandat in Brüssel und den Vorsitz der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) in NRW hinausgehen.
Ein kostspieliges Prestigeprojekt
Die Vermutung: Er könne bald auch die Nachfolge von Karl-Josef Laumann als Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels im Bund anstreben. Damit käme er auch persönlich dem nahe, wofür der CDA-Vorstand immer wieder wirbt: mehr Einfluss für den sozialen Flügel auf Programmatik und Strategie der Partei. Doch Radtkes Ambitionen könnten nun zumindest einen Dämpfer erhalten.
Ein umfangreiches und kostspieliges Prestigeprojekt der von ihm geführten CDA in Nordrhein-Westfalen droht laut Informationen von t-online nicht nur zu scheitern, sondern in einem Rechtsstreit um unbezahlte Rechnungen zu enden – und das kurz vor der Landestagung am Wochenende, bei der der Landesvorstand entlastet und neu gewählt werden soll.
Mangelnde Wahrnehmung
Begonnen hatte alles im Oktober vergangenen Jahres, wie aus Dokumenten hervorgeht, die t-online vorliegen. Damals legte eine der CDU nahestehende Politikberatungsfirma "nach intensiven Gesprächen mit Verantwortungsträgern" ein Konzeptpapier für eine strategische Neuaufstellung des CDA NRW vor: Demnach beklage der Landesverband mangelnde Reichweite und Wahrnehmung im politischen Diskurs. Die Öffentlichkeitsarbeit sei zu langsam und unkoordiniert. Es fehle ein einheitliches Kommunikationskonzept, die Basis in den Untergruppierungen sei zu wenig eingebunden.
Zur Lösung der Probleme solle mittelfristig die Organisationsstruktur auf den Prüfstand. Kurzfristig müsse unter anderem die "Design-, Text- und Bildsprache" vereinheitlicht werden. "Umgehend" müsse die professionalisierte Kommunikation bei den zentralen Entscheidungsorganen der CDA NRW angebunden werden.
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Was damit gemeint war, zeigen spätere Dokumente: Künftig sollte die Beratungsfirma die neuen Aufgabenstellungen bündeln und direkt Radtkes Landesvorstand unterstellt sein. Vor allem Radtke selbst galt in der Partei als Treiber und Fürsprecher der Maßnahmen. Im Dezember 2022 kam der Vertrag mit den Beratern zustande. Im März 2023 folgte ein weiteres Strategiepapier.
Was darin vorgezeichnet wird, wirkt auf den ersten Blick nicht eben revolutionär.
Das "Corporate Design" müsse vollständig überarbeitet werden. Bezeichnungen wie "Sozialflügel" und "CDU-Linke" sollten wegfallen, stattdessen sollte die Abkürzung "CDA" leuchtend rot als Marke gestärkt werden. Der Spruch "Soziale Gerechtigkeit im Land" sollte sie künftig begleiten. Digitale Angebote sollten Mitglieder beteiligen, Bezirkskonferenzen "Mitglieder aktivieren". All das sollte dazu beitragen, die CDA NRW "kampagnenfähig" zu machen.
Streit um Rechnungen und Leistungen
Doch fast zeitgleich begannen die Probleme. Eine Vergütungsvereinbarung wurde lange nicht getroffen, eine Budgetierung lange nicht vorgenommen. Erst nach einer Vorstandssitzung im April schien der Fahrplan klar zu sein: Bis zu 100.000 Euro sollte das Zukunftsprojekt laut einer damaligen Aufstellung kosten. Die CDA bestreitet auf Anfrage von t-online allerdings eine verbindliche Budget-Zusage.
Jedenfalls aber, das geht aus einer damaligen Email Radtkes hervor, sollte die Beratungsfirma anschließend die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit übernehmen, die neue Homepage, die Auftritte in den sozialen Medien, das Corporate Design – und dabei direkt dem Landesvorstand unterstehen.
Die Probleme setzten sich fort: Spätestens im Juni entbrannte ein Streit um in Rechnung gestellte Leistungen. Im Juli wies das Beratungsunternehmen den Landesvorsitzenden auf anhaltenden Zahlungsverzug hin. Mahnungen wurden verschickt, sogar ein Mahnbescheid beantragt, dem die CDA ihren Angaben zufolge widersprach.
Zahlungsrückstand: 40.000 Euro
Im September schließlich meldete sich ein von der Consulting-Firma beauftragter Anwalt bei der CDA und forderte Zahlungsrückstände in Höhe von damals mehr als 40.000 Euro ein. Auch die CDA schaltete eine Kanzlei ein, wie sie t-online bestätigte. Offenkundig droht ein Rechtsstreit. Im letzten t-online vorliegenden Schreiben von Ende September ist von Schadensersatzansprüchen des Unternehmens die Rede.
"Die CDA NRW ist ihren Zahlungsverpflichtungen nachgekommen, soweit es sich um beauftragte, erbrachte und korrekt abgerechnete Leistungen handelte", sagte ein Sprecher des Landesverbands auf Anfrage von t-online. Besonderen Anstoß nimmt die CDA den Unterlagen zufolge an einem von einem Drittunternehmen entwickelten Logo, auf das fast die gesamte Summe von 40.000 Euro entfällt.
"Die CDA NRW hat keinen Auftrag zur Erstellung eines neuen Logos in Auftrag gegeben", sagte der Sprecher. Die Zusammenarbeit mit der Agentur sei "aus vielfältigen Gründen" beendet worden, unter anderem "da das Vertrauensverhältnis zu der ausführenden Person nicht mehr gegeben war".
Das Beratungsunternehmen beantwortete Fragen zu seinen Leistungen für die CDA NRW nicht. Spätestens am Wochenende bei der Jahrestagung wird allerdings vermutlich viel zu besprechen sein. Radtke will dann erneut zum Landesvorsitzenden gewählt werden.
- Eigene Recherchen