Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Zapfenstreich in Berlin "Die Debatte lenkt vom eigentlichen Problem ab"
Fackeln, Märsche, Strammstehen: In Berlin wurden die Afghanistan-Veteranen für ihren Einsatz geehrt. Die Bilder vom Zapfenstreich sorgten für Kritik und teilweise Befremdung. Braucht es weiterhin solche Zeremonien?
Am Mittwoch haben Bundestag und Bundesregierung den etwa 90.000 in Afghanistan eingesetzten Männern und Frauen der Bundeswehr für ihren schwierigen Einsatz gedankt. Vor dem Reichstagsgebäude gab es einen Großen Zapfenstreich, das höchste militärische Zeremoniell der deutschen Streitkräfte. Anwesend waren Vertreter der fünf Verfassungsorgane, darunter Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Die Würdigung hat im Netz teilweise Befremdung und Kritik ausgelöst. Eine Reihe von Twitter-Nutzern fühlte sich durch die Szenen an dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erinnert. Andere Nutzer widersprachen – sie erachten den Zapfenstreich als würdevoll und angemessen, mehrere Verteidigungspolitiker reagierten irritiert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage:
Sollte es öfter Paraden der Bundeswehr vor dem Reichstag geben?
Ja, so rückt sie in die Mitte der Gesellschaft.
Lange graue Mäntel, Flecktarnuniformen, Marschmusik – es waren ergreifende, würdevolle Bilder, die die Bundeswehr am Mittwochabend beim Zapfenstreich zum Ende des Afghanistan-Einsatzes bot.
Dass das nicht alle so sehen, mag kaum überraschen in einem Land, das sich ob seiner Historie viel darauf einbildet, sein Militär so gut es geht zu verstecken. Aus der Zeit gefallen sei das Format und überhaupt: Erinnern Uniformierte mit Fackeln nicht an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte?
Mitnichten, im Gegenteil. Paraden, Gelöbnisse, Zapfenstreiche, wie jene am Mittwochabend, sollte es viel öfter geben – und zwar bewusst vor dem Reichstag.
Nirgends sonst lässt sich besser zeigen, dass Deutschland eine Parlamentsarmee hat, die dem Primat der Politik folgt. Keine andere Kulisse symbolisiert besser, wo die Bundeswehr stehen sollte: In der Mitte der Gesellschaft, anerkannt und geachtet statt marginalisiert und totgeschwiegen.
Nicht erst seit dem Aus für die Wehrpflicht vor zehn Jahren gilt: Der Staatsbürger in Uniform muss sichtbarer werden in Deutschland. Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen den Rückhalt in der gesamten Bevölkerung – schon allein deshalb, damit sich das Personal der Bundeswehr aus allen Schichten und sozialen Milieus speist und ihr niemand vorwerfen kann, eher Rechte anzusprechen.
Deutschland braucht mehr.
Keine Frage, die Bundeswehr gehört in die Mitte der Gesellschaft. Egal ob in Afghanistan oder im Ahrtal, seit Jahren leisten Soldatinnen und Soldaten einen wertvollen Beitrag für Deutschland. Und wir gönnen uns noch immer ein ambivalentes Verhältnis zu unserem Militär. Diese Last kippen wir auf die Schultern derer, die unter großem persönlichen Einsatz Dienst für uns alle tun.
Öffentliche Zapfenstreiche und Gelöbnisse sind da ein nettes Symbol, von der Politik gern als Feigenblatt benutzt. Diese aus der Zeit gefallenen Aufmärsche mit Trommeln und Trara passen aber nicht zu einer modernen Armee. Schlimmer noch. Die Debatte um die Paraden lenkt vom eigentlichen Problem ab: Bis heute haben wir nicht definiert, wie eine Armee aussehen muss, die aus unserer Geschichte entwächst, die ihre Lehren aus dem Faschismus des Zweiten Weltkriegs gezogen hat. Kein Wunder, dass Fackeln vor dem Reichstag ein Symbol sind, das bei vielen ein ungutes Bauchgefühl hervorruft.
Deutschland muss seine eigene Geschichte nutzen und sein militärisches Engagement auf eine neue Grundlage stellen. Wir brauchen eine Armee, die dem Frieden und Fortschritt verpflichtet ist, diesen aber auch weltweit mit Waffen verteidigt. Soldatinnen und Soldaten, die stolz sind auf diesen Auftrag. Bürgerinnen und Bürger, die die Einzigartigkeit dieser Armee schätzen. Das ist, was Deutschland braucht. Nicht etwa befremdliche Paraden.
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- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa