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Experte zu Nuklear-Debatte: "Deutsche Atomwaffen wären friedenswahrend"


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Politologe zur Nuklear-Debatte
"Deutsche Atomwaffen wären friedenswahrend"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 16.02.2024Lesedauer: 7 Min.
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Quelle: Björn Trotzki via www.imago-images.de
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Donald Trump hat mit einer Nato-Aussage in Europa für Entsetzen gesorgt und eine Debatte um EU-Atomwaffen entfacht. Der Politologe Christian Hacke geht einen Schritt weiter – und warnt: Deutschland dürfe sich keine Illusionen machen.

Eine Wahlkampfäußerung von Donald Trump hat gereicht – und Europa denkt über eigene Atomwaffen nach. Der frühere US-Präsident hatte bei einem Auftritt am Wochenende behauptet, er habe dem "Präsidenten eines großen Landes" einmal gesagt, die USA würden Nato-Staaten nicht beschützen, solange diese nicht genug für ihre Verteidigung zahlen. Er würde Russland "sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen".

Die SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Katarina Barley, brachte daraufhin eigene EU-Atomwaffen ins Spiel – und entfachte damit eine Debatte, die nun die Regierung spaltet. Während Finanzminister Christian Lindner (FDP) sich für eine solche Debatte ausspricht, lehnen Verteidigungsminister Boris Pistorius und Kanzler Olaf Scholz (beide SPD) diese ab.

Dem deutschen Politikwissenschaftler Christian Hacke geht das nicht weit genug: Er fordert deutsche Atomwaffen. Im t-online-Interview erklärt er die Nachteile eines europäischen Nuklearschirms, woher die Atom-Angst der Deutschen kommt – und erinnert an einen Bundeskanzler, der schon früh für deutsche Kernwaffen kämpfte.

t-online: Herr Hacke, seit Donald Trump die Nato-Beistandspflicht infrage gestellt hat, diskutiert Deutschland über europäische Atomwaffen. Würde ein europäischer Atomschirm Deutschland sicherer oder unsicherer machen?

Christian Hacke: Ganz klar unsicherer. Wir sprechen seit 70 Jahren über eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik. Die Wahrheit ist: Europa ist weit davon entfernt, seine Sicherheit selbst zu garantieren. Ich vertraue lieber auf die Wasserpistolen meiner Enkelkinder als auf die Phantome, die seit Jahrzehnten in europäischen Hauptstädten diskutiert werden. Das gilt für konventionelle Streitkräfte, wie der Wunschtraum von einer europäischen Armee, wie für das Nukleare.

Es gibt mehrere Varianten, wie ein europäischer Atomschirm über Deutschland aussehen könnte. Überzeugt Sie da gar nichts?

Nein. Das sind totgerittene Pferde. Fangen wir mit der Idee an, dass die Briten oder die Franzosen uns mit ihren Kernwaffen schützen sollen. Das ist illusorisch, schon alleine deswegen, weil etwa die Franzosen mit 300 Sprengköpfen viel zu wenig Abschreckungspotenzial besitzen. Jetzt hat Macron die Hand ausgestreckt und kann sich vorstellen, Deutschland zu beteiligen. Frankreich will aber nur seine nationale Abschreckungsfähigkeit mit unserer Hilfe erhöhen.

Wer gibt uns die Garantie, dass die Franzosen uns im Ernstfall schützen werden, vor allem mit Le Pen an der Macht? Denken Sie, die Briten würden ihre eigene Sicherheit für Deutschland aufs Spiel setzen, wenn sie es nicht mal in der EU ausgehalten haben? Wir wären in Europa als nukleare Fremdenlegionäre schlecht beraten.

Und die Idee europäischer Atomwaffen, bei denen Europa gemeinsam die Verantwortung trägt?

Die eine Idee ist ja, dass man von einem wirklich geeinten Europa ausgeht, mit einem europäischen Präsidenten, einem starken Parlament und so weiter, wo die Verantwortung über die Nuklearwaffen bei den EU-Institutionen liegt. Das ist komplett weltfremd und nur für einige akademische Zirkel interessant. Die andere Idee stammt von Herfried Münkler, der vorschlägt, dass die Macht über den roten Knopf in den europäischen Hauptstädten rotiert. Das scheitert ebenfalls an der Realität, weil die Staaten Europas längst nicht so weit sind, ihre nationale Sicherheit in die Hände anderer zu legen. Daher gibt es nur einen Ausweg.

Und der wäre?

Wir müssen eine eigene atomare Abschreckungsfähigkeit entwickeln. Deutsche Atomwaffen wären friedenswahrend. Das wusste schon der erste deutsche Kanzler der jungen Bundesrepublik, Konrad Adenauer.

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(Quelle: Horst Galuschka via www.imago-images.de)

Zur Person

Christian Hacke war Professor für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr Hamburg und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind jüngere deutsche Geschichte, deutsche Innen- und Außenpolitik, amerikanische Politik und Geschichte sowie die transatlantischen Beziehungen. Er veröffentlichte u. a. die Bücher "Zur Weltmacht verdammt" (1997) und "Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland: Von Konrad Adenauer bis Gerhard Schröder" (2003).

Wie lautete damals Adenauers Argument für deutsche Atomwaffen?

Es ging einerseits darum, auf Augenhöhe mit den anderen europäischen Ländern zu sein, um Machtpolitik also. Entscheidender war aber seine Skepsis gegenüber den Amerikanern, dass die im Falle eines Angriffs der Sowjetunion Deutschland mit ihren Atomwaffen verteidigen und sich damit selbst in Gefahr bringen würden. Die USA waren damals protektionistisch und isolationistisch, das US-Engagement in der Welt begrenzt. Eine politische Tradition, die bei den "America First"-Republikanern unter Donald Trump ein Revival erlebt. Insofern lässt sich die Situation mit damals vergleichen: Auch heute muss man wieder Zweifel haben, ob Amerika uns beschützen wird.

Deutsche Atomwaffen wären ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag 1968. Wäre das nicht eine eklatante Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrags?

Es gilt nicht nur "Pacta sunt servanda", Verträge sind einzuhalten, sondern auch: "Rebus sic stantibus", Verträge müssen neu bewertet werden, wenn sich die Umstände ändern. Ich habe schon vor sechs Jahren in einem Beitrag diese Debatte angestoßen, wurde aber damals mit Häme überzogen. Jetzt haben wir zwei Neuerungen: Donald Trump könnte Präsident werden, und den Ukraine-Krieg, wo Russland regelmäßig andere Staaten mit seinem nuklearen Arsenal erpresst.

Deutschland ist die größte Wirtschaftsmacht in Europa und will nun auch eine der stärksten konventionellen Armeen des Kontinents aufbauen. Würde eine deutsche Atombombe nicht zwangsläufig zu Zwist mit unseren engsten Partnern wie zum Beispiel Frankreich führen?

Wir sind seit der Trump-Äußerung in Europa wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Daher sollten wir mit klarem Verstand die Dinge betrachten. Wenn es keine souveräne europäische Sicherheit geben kann und auch keine Nukleargarantie der Amerikaner mehr, dann sind wir blank. Ohne nuklearen Schutz sind wir militärisch gefährdet, und was noch schlimmer ist: politisch erpressbar.

Auch ein Willy Brandt wusste: Die Voraussetzung dafür, in einer Krise erfolgreich mit einem Gegner zu verhandeln, ist militärische Stärke, vielleicht sogar Überlegenheit. Sonst muss man sich dem Gegner unterwerfen. Nuklearwaffen sind nicht nur eine militärische Waffe, sondern vor allem eine politische. Zu Adenauer-Zeiten waren übrigens die USA und Frankreich aufgeschlossen gegenüber der Idee einer deutschen Atombombe. Wir müssen die Sorgen unserer europäischen Verbündeten ernst nehmen, aber sie dürfen nicht zulasten unserer eigenen Sicherheit gehen.

Die öffentliche Meinung ist in der Frage tief gespalten. Fast die Hälfte der Deutschen lehnt eigene oder europäische Atomwaffen ab.

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Das liegt an der tief verankerten deutschen Aversion gegen militärische Macht aufgrund unserer Geschichte. Vor allem die Ablehnung gegen das Nukleare hat eine lange Tradition in Deutschland. Es gibt hierzulande eine Art Anti-Nuklear-Theologie, die eine schon fast religiöse Komponente hat. Wir reden uns ein, wir könnten eine schöne Welt ohne Kernwaffen haben.

Ist das so verwerflich? Viele Menschen haben schlicht Angst vor einem Nuklearkrieg.

Eine atomwaffenfreie Welt ist als idealistischer Wunsch selbstverständlich nachvollziehbar. Aber die Realität sieht anders aus: Kernwaffen schützen uns vor militärischer Aggression und politischer Erpressung durch gegnerische Staaten. Im Kalten Krieg waren sie der Garant dafür gewesen, dass uns ein Dritter Weltkrieg erspart bliebe.

Frankreich investiert pro Jahr rund fünf Milliarden in seine Nuklearstreitkräfte, die USA sogar rund 50. Kann sich die schon konventionell schlecht ausgestattete Bundeswehr überhaupt Atomwaffen leisten?

Wenn wir die Notwendigkeit erkennen, wie wichtig Atomwaffen für unsere nationale Sicherheit sind, würden wir keine Sekunde darüber nachdenken, ob wir uns das leisten könnten. Leider haben wir die besonders ausgeprägte Fähigkeit in Deutschland, unangenehme Realitäten einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Frei nach Heinrich Heine: Wir stehen am liebsten mit beiden Beinen fest in den Wolken.

Aber sind wir denn schon an dem Punkt, bei dem wir eine Abkehr vom US-Atomschirm diskutieren sollten? Donald Trump redet viel, wenn der Tag lang ist. Umgesetzt hat er selbst in seiner Amtszeit wenig.

Diskutieren, ja, aber wir sollten noch warten. Ihre Einwände zu den Kosten und der Skepsis der Europäer gegenüber deutschen Atombomben spielen natürlich schon eine Rolle. Daher schlage ich einen Zwei-Stufen-Plan vor: Auf Stufe 1 sollten wir alles dafür tun, die Amerikaner umzustimmen. Der US-Nuklearschirm hat Priorität, selbst wenn er im Moment wacklig ist. Wir müssen diplomatisch geschickt mit einem möglichen Präsidenten Trump umgehen und ihn ernst nehmen. Er hatte in dem Punkt ja Recht: Deutschland hat jahrelang zu wenig für seine Sicherheit getan.

Wann käme Stufe 2?

Zuerst müssten wir, wie gesagt, Amerika signalisieren, dass wir alles dafür tun, unsere nationale Verteidigungsfähigkeit und auch die der Nato zu stärken. Aber: Wenn ein möglicher Präsident Trump, der bekanntermaßen unberechenbar ist, trotz unserer Bemühungen die Nato links liegen lassen sollte, müssen wir ernsthaft über eine eigene atomare Abschreckung nachdenken.

Aber nach welchem Maßstab messen wir, ob Trump die Nato schwächt? Eine Äußerung, ein Tweet oder müssen das konkrete Schritte sein wie ein formeller Nato-Austritt?

Die nukleare Abschreckung ist primär eine psychologische. Der Effekt, den der Atomschirm erzeugt, betrifft vor allem den Gegner. Konkret: Putin muss glauben, dass Donald Trump und die USA nuklear reagieren würden, sollte der Kremlchef eskalieren. Je mehr ein Präsident Trump in öffentlichen Äußerungen die Nato anzweifelt, desto eher wird Putin glauben, dass die USA Europa alleine lassen. Da können noch genauso viele Kernwaffen in deutschen Silos liegen wie vorher: Der US-Atomschirm würde seine Wirkung verlieren.

Trumps Republikaner blockieren seit Monaten ein wichtiges Hilfspaket für die Ukraine. Der Munitionsmangel der ukrainischen Armee ist so groß, dass die russischen Invasionstruppen gerade die Oberhand gewinnen. Ist das ein Vorbote dessen, dass Trump auch seine Verbündeten bei der Nato im Stich lassen könnte?

Ich denke, ja. Die Lage in der Ukraine sollte uns in höchste Alarmstufe versetzen. Es zeigt, dass Trump eben nicht nur zu brachialer Rhetorik neigt, um seine Anhänger zu laben. Er setzt um, was er androht. Wir wissen, dass Trump schon vor vier Jahren die Nato verlassen wollte, aber von seinen Beratern zurückgehalten wurde. Damals soll er gesagt haben, die Nato sei "tot". Wir sollten uns keine Illusionen machen, dass alles schon irgendwie gut ausgehen wird. Unsere nationale Sicherheit steht auf dem Spiel.

Herr Hacke, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Christian Hacke
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