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Europa gegen Russland: Wie kann man Putin aufhalten? | Interview


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Aufrüsten gegen Putin?
"Es darf keine europäischen Atomwaffen geben"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier

02.02.2024Lesedauer: 5 Min.
Wladimir Putin: Russlands Präsident verfolgt ein großes Ziel, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Ist Europa ausreichend vorbereitet? (Quelle: Pavel Bednyakov/reuters)
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Erst will Wladimir Putin die Ukraine – und dann noch mehr? Schweden und Finnland rüsten sich gegen die Gefahr aus Russland. Kann Deutschland daraus etwas lernen?

Jeder müsse sich "auf einen Krieg vorbereiten". Dazu rief die schwedische Regierung kürzlich ihre Bevölkerung auf. Das skandinavische Land hat die Wehrpflicht wieder eingeführt und wartet darauf, bald Mitglied der Nato zu werden. Finnland ist dem Verteidigungsbündnis im vergangenen Jahr beigetreten.

Nehmen diese Länder die Gefahr ernster, die Europa durch Russlands Präsidenten Wladimir Putin und sein Regime droht, als Deutschland? Kann die deutsche Politik von Schweden und Finnland lernen? Und was müsste konkret passieren?

Merle Spellerberg, Sicherheitspolitikerin der Grünen im Bundestag, hat in Schweden und Finnland mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft gesprochen. Im Interview mit t-online spricht sie über ihre Erkenntnisse.

t-online: Frau Spellerberg, sind Sie nach Ihrer Reise nach Finnland und Schweden besorgter oder hoffnungsvoller, was die sicherheitspolitische Lage Europas angeht?

Merle Spellerberg: Keines von beiden. Was sehr deutlich geworden ist: Die Risikobewertung in der breiteren Gesellschaft ist eine andere. Die Menschen sind sich schon sehr viel länger bewusst über die Gefahren. Deshalb ist auch die Politik gedanklich weiter. Ich bin unter anderem mit der Frage angereist: Für wie wahrscheinlich halten sie einen weiteren Angriff Russlands?

Und was war die Antwort?

Interessanterweise lautete sie in beiden Ländern: Es geht gar nicht um die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs. Es reicht aus, dass die Möglichkeit besteht. Allein deswegen müssen wir vorbereitet sein.

Auf was genau?

Natürlich auf einen klassischen militärischen Angriff wie gegen die Ukraine. Aber eben auch auf hybride Angriffe, die es jetzt schon gibt. Da bringen Panzer und Munition nichts. Das fängt bei Cyberangriffen und Desinformation an, geht über Angriffe auf Pipelines bis hin zu dem Versuch, Druck aufzubauen, indem Wladimir Putin Geflüchtete gezielt an die Landesgrenzen schleust, wie offensichtlich zuletzt über Belarus nach Polen.

Und die Vorbereitung auf verschiedene Angriffe funktioniert in Schweden und Finnland besser?

Sie haben einen Vorsprung. Schon nach Putins Besetzung der Krim 2014 hat Schweden das Sicherheitskonzept des Landes neu gedacht, dort spricht man von "Totaler Verteidigung". Das Verteidigungsministerium ist nicht nur für das Militärische zuständig, sondern auch für Zivilschutz. Bei uns liegt das im Bundesinnenministerium und zum Teil bei den Ländern. Das macht es oft komplizierter.

Zentralisierung birgt aber die Gefahr, dass sich alle anderen zurücklehnen.

Ja, es ist dort aber mehr, eher ein ganzheitlicher Ansatz. Es beschäftigt sich trotzdem jede Kommune mit Sicherheitsaspekten. Und es gibt zentrale Behörden, die sie dabei unterstützen.

Zum Beispiel?

Schweden hat ihre Psychological Defence Agency wiederbelebt, die sich mit Desinformation aus dem Ausland beschäftigt. Sie hilft den Sozialbehörden und anderen dabei, Fake News zu kontern. Es kursiert dort etwa die Falschnachricht, Schweden würde speziell muslimische Kinder aus ihren Familien reißen. Das stimmt nicht und wird wahrscheinlich aus dem Iran gestreut. Dem etwas entgegenzusetzen, ist wichtig für das Vertrauen in den Staat. Ein solcher Ansprechpartner für Kommunen wäre in Deutschland auch hilfreich.

Das klingt erst mal sehr weit weg von der akuten militärischen Bedrohung.

Russland setzt auch stark auf Desinformation, um Demokratien zu destabilisieren. Aber wir müssen auch aufpassen, dass wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und uns wieder nur auf die eine Gefahr vorbereiten, die vor der Tür steht: Putin.

Was dann?

Wir müssen auf alle Bedrohungen vorbereitet sein: Verteidigungskriege, internationale Kriseneinsätze, Klimakrise, hybride Angriffe. Die Ampelregierung hat das mit der Nationalen Sicherheitsstrategie in ein Konzept gefasst. Aber es muss jetzt auch Realität werden. Daran hapert es bei uns noch.


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Es darf keine europäischen Atomwaffen geben. Das würde zu einem gefährlichen nuklearen Wettlauf führen.


Merle Spellerberg


Was hilft gegen hybride Angriffe? Wenn Putin zum Beispiel Geflüchtete an die europäischen Grenzen schickt?

Ein wichtiger Rat des Europäischen Zentrums gegen hybride Bedrohungen in Finnland war: mehr Gelassenheit.

Das müssen Sie erklären.

Hybride Attacken sollen Druck auf die Demokratien aufbauen. Dieser Druck soll dazu führen, dass die Politik in den Ländern irgendwann selbst Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte anzweifelt, aussetzt, beschädigt. Die Demokratie soll sich selbst abschaffen. Das bedeutet für die Antwort darauf, um bei dem Beispiel zu bleiben: Hätte die europäische Politik nicht so ein riesiges Problem mit Geflüchteten, wäre es nicht so leicht für Putin gewesen, die EU damit zu erpressen.

Hat Sie Ihre Reise neu darüber nachdenken lassen, ob es europäische Atomwaffen braucht, wie es jetzt einige fordern?

Nein, ich bleibe dabei: Es darf keine europäischen Atomwaffen geben. Das würde zu einem gefährlichen nuklearen Wettlauf führen. Denn es würde schnell die Debatte starten, inwieweit das aktuelle Arsenal an Atomwaffen Frankreichs oder Großbritanniens dafür ausreichen würde. Deutschland und viele andere sind zudem Mitglieder des Nukleraren Nichtverbreitungsvertrags. Das bedeutet, alle Staaten, die noch keine Atomwaffe haben und unterschrieben haben, dürfen auch keine bekommen. Dabei muss es bleiben.

Und was setzen wir Putin dann entgegen?

Wir müssen langfristig auch daran arbeiten, dass es wieder eine funktionierende Rüstungskontrollarchitektur gibt. Das ist mit Putin gerade nicht möglich, aber das muss das Ziel bleiben. Und kurzfristig hat die Nato ja viel mehr Abschreckung zu bieten als die atomare.

Das heißt?

Abschreckung durch konventionelle Waffen. In Deutschland sorgen wir mit dem Sondervermögen dafür, dass die Bundeswehr verteidigungsfähig wird. In vielen anderen Staaten laufen ähnliche Prozesse. Und wir müssen natürlich die Ukraine weiter energisch unterstützen.


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Wir haben ja schon heute nicht genügend Stuben, um alle Soldatinnen und Soldaten in Kasernen unterzubringen.


Merle Spellerberg


Die schwedische Regierung hat ihrer Bevölkerung kürzlich gesagt, jeder müsse sich "auf einen Krieg vorbereiten". War das ein großes Thema dort?

Mein Eindruck ist: Die Überraschung war nicht sonderlich groß, weil das Bewusstsein für die Bedrohung eben schon länger da ist.

Bei uns war die Aufregung groß, als Verteidigungsminister Boris Pistorius davon gesprochen hat, die Bundeswehr müsse "kriegstüchtig" werden. Warum läuft die Diskussion dort so anders?

Schwer zu sagen. Die Lehren aus der deutschen Geschichte spielen natürlich eine Rolle in der Diskussion. Zugleich konnten sich sowohl Schweden als auch Finnland eben bisher nicht auf den Schutz durch die Nato verlassen. Sie mussten ihre Verteidigung selbst organisieren.

Schweden hat 2017 die Wehrpflicht reaktiviert. Der damalige Verteidigungsminister sagt, spätestens seit der Krim-Annexion 2014 sei ihnen bewusst geworden, dass man die Streitkräfte massiv aufrüsten müsse. Sollte Deutschland dem Beispiel folgen?

Ich halte das für eine Scheindebatte. Es würde viel Geld und Zeit kosten, die Strukturen für eine Wehrpflicht wieder aufzubauen. Wir haben ja schon heute nicht genügend Stuben, um alle Soldatinnen und Soldaten in Kasernen unterzubringen.

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Und stattdessen?

Sinnvoller und wichtiger ist, die Bundeswehr attraktiver für die Menschen zu machen, die wir haben und halten wollen. Dafür braucht es endlich Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Das Bild vom Soldaten, dessen Hausfrau daheim das Kind hütet, entspricht einfach nicht mehr der Realität.

Frau Spellerberg, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Merle Spellerberg in Berlin
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