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Energiekrise in Deutschland | Ampelregierung streitet: Atomkraft? Jein danke


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Ampelzoff
Atomkraft? Jein danke


Aktualisiert am 20.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Robert Habeck: Der Stresstest.Vergrößern des Bildes
Robert Habeck: Der Stresstest. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de/imago-images-bilder)

Die Bundesregierung streitet über ein Comeback der Atomkraft. Noch bremsen Grüne und SPD. Doch halten sie das durch?

Christian Lindner ist ein Mann, der sehr überzeugt klingen kann. Eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke, sagte er, sei "politisch nicht vorstellbar" und auch "nicht wünschenswert". Klartext sollte das sein, keinen Raum für Zweifel lassen.

Doch diese Sätze Lindners stammen aus dem März 2011. Damals war er noch Generalsekretär seiner Partei, nicht ihr Chef und schon gar nicht Bundesfinanzminister. Die Welt stand nach der Katastrophe von Fukushima unter Schock. Lindner versuchte, der FDP zusammen mit Parteichef Guido Westerwelle eine Politik zu verpassen, die als "Light-Version" der Grünen bezeichnet wurde: Weg vom Atomstrom.

Heute, gut zehn Jahre später, hat sich die Welt verändert – und Lindners Haltung auch. Wieder gibt es eine Krise, allerdings anderer Art: Durch die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine droht Deutschland ein Engpass in der Energieversorgung. Und Lindner hat die Debatte über eine zumindest zeitweise Rückkehr zur Atomkraft schon vor Wochen persönlich eröffnet.

"Pragmatische Realpolitik" nennt das intern mancher bei den Liberalen. Bei den Grünen glauben sie eher, dass da jemand ein Thema gefunden habe, mit dem die gebeutelte FDP hoffe, endlich bei den Wählern zu punkten. Die Grünen nämlich halten das mit der Atomkraft, genau wie ein Großteil der SPD, für gefährlichen Unsinn.

Auch deshalb blickt mancher in der Ampelkoalition nun noch besorgter auf diesen Donnerstag. Denn dann wird klar, ob Russland nach den Wartungsarbeiten tatsächlich wieder Gas durch Nord Stream1 nach Deutschland schickt. Es wäre zumindest ein erstes Signal, wie groß der Engpass in der Energieversorgung noch werden könnte.

Und damit dürfte es auch der bisherige Höhepunkt in der Atomkraftdebatte werden, da machen sie sich bei Grünen und SPD keine Illusionen. Wenn kein oder nur wenig Gas fließen sollte, dürfte der Druck auf sie weiter steigen. Können sie dann wirklich bei ihrem Nein bleiben?

Debatte mit langer Laufzeit

Als Christian Lindner Anfang Juni die Sätze in der "Bild"-Zeitung platzierte, mit denen er die Atomkraft wieder in die politische Arena zurückbeförderte, glaubten die meisten bei Grünen und SPD noch an einen PR-Gag. Man dürfe sich "einer Debatte nicht verschließen, die überall auf der Welt geführt wird", sagte Lindner damals. In der Regierung aber, zum Beispiel im Koalitionsausschuss, soll er diese Debatte dann kaum geführt haben.

Doch es folgten immer neue Äußerungen von FDP-Politikern mit freundlicher Unterstützung aus der Union. Die Laufzeit der Debatte verlängerte sich, und Anfang dieser Woche verschärfte die FDP den Ton. "Ich rate dringend dazu", sagte Fraktionschef Christian Dürr den Funke-Medien, "die Laufzeiten der Kernkraftwerke für einen befristeten Zeitraum zu verlängern."

Bei Grünen und SPD sind viele inzwischen vor allem genervt. Seit Wochen bemüht man sich darum, ausführlich zu begründen, warum die Atomkraft gegen den Mangel an Gas angeblich gar nicht oder zumindest viel zu wenig helfe. Es sei, sagte Ricarda Lang im Interview mit t-online kürzlich, als wenn "man das Pflaster auf die falsche Stelle klebt".

Einen Strommangel gebe es nicht, Atomkraft könne bei der Kompensation des Gases in der Stromproduktion aus technischen Gründen kaum helfen. So lauten die Argumente der Gegner. Die Laufzeitverlängerung sei teuer, aufwendig und wegen fehlender Sicherheitstests gefährlich. Und sowieso gebe es doch den "gesellschaftlichen Konsens", aus der Atomkraft auszusteigen. Dass jeder zweite Deutsche im Moment eine Laufzeitverlängerung für richtig hält, irritierte da höchstens am Rande.

Noch ein Stresstest

So richtig durchzudringen, das stellen die Gegner selbst fest, scheinen sie mit ihren länglichen Argumentationsketten allerdings nicht. Was es den Befürwortern leicht macht, auf die ideologischen Bedenken der Grünen zu verweisen. Und natürlich prägen die Jahre, in denen ihre Anhänger mit "Atomkraft? Nein danke"-Aufnähern ihre Parkas schmückten, die Grünen nach wie vor in ihrer Haltung.

Dass sie jetzt auch ihr Handeln prägen, das weisen die Grünen jedoch energisch zurück. Wohl auch deshalb hat das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck noch einmal einen Stresstest der Stromversorgung angeordnet. Der erste hatte ergeben, dass es schlicht kein Stromproblem gibt, auch wenn es übel läuft. Nun sollen die Szenarien, mit denen getestet wird, noch einmal düsterer werden.

Auch die Gegner der Atomkraft betonen nun, damit alles noch einmal offen überprüfen zu wollen – und sich den Konsequenzen nicht zu verschließen. Doch ein anderes Ergebnis erwarten die meisten trotzdem nicht. Ohnehin sollen die Schlüsse erst in ein paar Wochen vorliegen.

"Politische Pflicht zum Weiterbetrieb"

Mancher aus der FDP hält es derweil gar nicht für nötig, das Ergebnis abzuwarten. "Sollten die russischen Gasflüsse nach der Wartung von Nord Stream 1 nicht die volle Kapazität erreichen, ist der Weiterbetrieb der drei laufenden Kernkraftwerke keine diskussionswürdige Option mehr, sondern eine politische Pflicht zur Schaffung von Versorgungssicherheit", sagte Michael Kruse, der energiepolitische Sprecher der FDP, zu t-online.

Und Kruse geht noch wesentlich weiter: "In diesem Fall müssen wir auch über das Wiederhochfahren der drei Ende 2021 abgeschalteten Kernkraftwerke sprechen, um den massiven Strom-Mehrbedarf aufgrund sehr vieler privat genutzter Heizlüfter im Winter zu decken."

Bei SPD und Grünen kommt man schon bei Kruses erster Schlussfolgerung nicht mit. "Es ist weder sinnvoll noch verantwortungsvoll, über Stromlücken zu spekulieren, um damit Deutschlands Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie Atom infrage zu stellen", sagte Julia Verlinden, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, zu t-online. Schon der erste Stresstest sei zum Ergebnis gekommen, dass die Versorgungssicherheit mit Strom gewährleistet sei. Jetzt folge ein zweiter, noch schärferer Test. "Deutschlands Weg des Atomausstiegs ist damit aber nicht infrage gestellt."

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Das sieht man bei der SPD genauso. "Ein unterstellter versorgungstechnischer Zusammenhang zwischen Einschränkungen bei Nord Stream 1 und Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken existiert nicht", sagte Nina Scheer, die energiepolitische Sprecherin der SPD, zu t-online. "Sollte weniger Gas nach Europa kommen, brauchen wir andere Gas-Bezugsquellen, Einsparungen, Effizienz und einen Ausbau der Erneuerbaren." Laufzeitverlängerungen verzögerten nur die Energiewende und verteuerten die Energie.

Wirklich Laufzeitverlängerung – oder Streckung?

Und während sich in der FDP mancher nicht nur vorstellen kann, die Laufzeiten um mehrere Jahre zu verlängern, sondern auch abgeschaltete Kraftwerke wieder anzuwerfen, gilt bei den Grünen auf Bundesebene wenn überhaupt nur eine andere Option als irgendwie denkbar.

Zu hoch sind aus grüner Sicht die Hürden, den Atomausstieg tatsächlich für einige Jahre rückabzuwickeln. Denn das würde in jedem Fall bedeuten, so das Argument, neues Personal, neue Brennstäbe, aufwendige Sicherheitstests und Umbauten sowie hohe Kosten für den Staat in Kauf zu nehmen. Denn die Konzerne würden sich all das vermutlich bezahlen lassen.

Wenn es mit der Atomkraft irgendwie weitergehen soll, dann anders. Das Zauberwort lautet: Streckung. Statt die drei verbleibenden Atomkraftwerke Ende dieses Jahres wie geplant vom Netz gehen zu lassen, würden sie noch ein paar Wochen oder Monate länger laufen. Möglicherweise etwas gedrosselt, aber letztlich wohl doch mit dem Effekt, wie es heißt, dass noch etwas mehr Strom aus den Brennstäben herausgepresst werden könnte.

Aber auch darum wird noch gestritten werden. So viel scheint sicher zu sein.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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