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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Innenministerin Nancy Faeser "Da gerät etwas ins Rutschen"
Droht beim G7-Gipfel am Wochenende Chaos, Frau Faeser? Die Bundesinnenministerin spricht über den wachsenden Extremismus, verrohende Sitten – und den schwierigen Weg zum digitalen Personalausweis.
Sieben Staats- und Regierungschefs – und 18.000 Polizisten: Wenn sich am Wochenende die G7 zu ihrem Gipfel auf Schloss Elmau in den bayerischen Alpen treffen, sind die Sicherheitsvorkehrungen gewaltig.
Auch eine Frau, die gar nicht mit am Tisch sitzt, wird dann mitzittern: Nancy Faeser, die Bundesinnenministerin. Denn es ist der erste große internationale Gipfel in Deutschland seit 2017. Und er darf keinesfalls so enden wie in Hamburg: im Chaos. Damals war dort ein gewisser Olaf Scholz Erster Bürgermeister.
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Im Interview mit t-online spricht Nancy Faeser über ihre Erwartungen an den Gipfel in Elmau, aber auch über die Gefahren des Extremismus und Attacken aus Russland. Sie erklärt auch, wann wir den Personalausweis auf dem Handy haben werden – und wie lange sie selbst Bundesinnenministerin bleibt.
t-online: Frau Faeser, woran denken Sie vor dem G7-Gipfel in Elmau an diesem Wochenende – an das Wohlfühlbild von Angela Merkel und Barack Obama vor der Bergkulisse 2015 oder an die Straßenschlachten vom G20-Gipfel in Hamburg 2017?
Nancy Faeser: Als Erstes denke ich an Barack Obama, wie er auf der langen Bank sitzt. Aber wir sind natürlich auf alle Szenarien vorbereitet. Und damit meine ich nicht nur den G20-Gipfel in Hamburg 2017, sondern auch die Krawalle bei der Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt 2015. Deshalb bin ich an diesem Wochenende sicher angespannter als sonst.
Können Sie garantieren, dass sich so etwas wie in Hamburg und Frankfurt nicht wiederholt?
Wichtig ist, dass wir auf alle Eventualitäten vorbereitet sind. Und das sind wir. Ich habe mir davon am Montag ein Bild gemacht. Wir setzen allein 8.000 Kräfte von Bundespolizei und Bundeskriminalamt ein.
Und trotzdem: Was lässt sich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen?
Sowohl der G20-Gipfel in Hamburg als auch die EZB-Eröffnung in Frankfurt fanden inmitten großer Städte statt, die natürlich schwieriger zu kontrollieren sind, weil es überall zu Ausschreitungen kommen kann. Das ist in Elmau völlig anders. Aber natürlich sind wir auf Demonstrationen an diesem Wochenende eingestellt.
Welche Protestgruppen machen Ihnen am meisten Sorgen?
Am meisten Sorgen machen mir ganz klar die Gruppen aus der linksextremistischen Szene. Da haben wir im Vorfeld des Gipfel-Wochenendes bereits vermehrte Aktivitäten registriert.
Nancy Faeser, 51 Jahre, ist seit 1988 Mitglied der SPD. Die Juristin arbeitete zunächst als Anwältin und engagierte sich in der Kommunalpolitik. Seit 2003 saß Faeser im hessischen Landtag, 2014 wurde sie Generalsekretärin der hessischen SPD, seit 2019 ist sie deren Vorsitzende. Olaf Scholz holte sie 2021 als Bundesinnenministerin nach Berlin.
Auch in der SPD gibt es eine Anti-Globalisierungsbewegung. Können Sie die Wut der Demonstranten emotional nachvollziehen?
Streit in der Sache ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Ich habe aber keinerlei Verständnis dafür, dass man Protest mit Gewalt verknüpft. Ich erwarte von allen Demonstranten, dass sie friedlich protestieren, niemanden verletzen und keine Autos oder Geschäfte zerstören.
Ihnen wird immer wieder vorgeworfen, auf dem linken Auge blind zu sein. Können Sie garantieren, dass Sie Linksextremismus genauso konsequent bekämpfen wie Rechtsextremismus und Islamismus?
Ja, das kann ich garantieren. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich bekämpfe alle Formen von Extremismus mit der vollen Härte des Rechtsstaats.
Wie kommt es dann zu diesem Eindruck über Sie?
Manche versuchen diesen Eindruck zu erwecken – mit durchsichtigen Motiven. Klar ist, dass ich sehr hart gegen Rechtsextremismus durchgegriffen habe. Weil es eine Tatsache ist, dass die größte Bedrohung für unsere Demokratie vom Rechtsextremismus ausgeht. Das haben wir an furchtbaren terroristischen Taten in Halle und Hanau oder auch der Mordserie des NSU gesehen. Daraus die Behauptung abzuleiten, dass ich Linksextremismus nicht genauso entschieden bekämpfen würde, ist so falsch wie durchschaubar. Ich bekämpfe alle Feinde der offenen Gesellschaft.
Zeiten der Krise sind Zeiten des Extremismus, heißt es. Spüren das die Sicherheitsbehörden schon?
Es ist auffällig, dass die gewalttätigen Proteste sowohl im linken als auch im rechten Spektrum zugenommen haben. Wie auch das Aufsuchen und Bedrohen von Menschen, die anders denken. Das ist völlig inakzeptabel und muss frühzeitig unterbunden werden.
Vor dem Landgericht Kaiserslautern hat gerade die Hauptverhandlung gegen zwei Jagdwilderer begonnen, von denen einer zwei Polizisten erschossen hat. Muss beim Schutz von Polizisten nachgebessert werden, oder ist das am Ende schrecklicherweise ein unvermeidbares Berufsrisiko?
Dieser schreckliche Fall zeigt, wie gefährlich dieser Beruf sein kann und weshalb wir echte Wertschätzung dafür brauchen. Man kann den Schutz immer noch erhöhen. Aber auf einen solchen Angriff bei einer Routinekontrolle wie in diesem Fall kann man kaum vorbereitet sein. Das ist eine widerwärtige Tat. Aber mir macht noch etwas anderes Sorgen.
Was?
Dass Gewalt gegen Menschen, die für uns alle da sind, Alltag wird. Wir sehen das, wenn zum Beispiel Gerichtsvollzieher mit Waffen bedroht werden. Da gerät etwas ins Rutschen.
Ende Juli verhandelt der Bundesgerichtshof die Revision im Mordfall Walter Lübcke. Inwieweit war die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten für Sie eine Zäsur?
Das hat mich zutiefst schockiert. Ich kannte Dr. Walter Lübcke persönlich sehr gut. Und es war eine Zäsur: der erste Mord an einem aktiven Politiker seit langer Zeit, begangen durch einen Neonazi. Und sehr deutlich wurde eben auch, dass aus Verbalattacken ein brutaler Mord wurde. Das verändert etwas. Auch deshalb bin ich beim Kampf gegen Hass und Hetze so engagiert.
Der jüngste AfD-Parteitag hat für einen weiteren Rechtsruck der AfD gesorgt. Wie gefährlich ist der wachsende Einfluss von Björn Höcke?
Ich halte die Entwicklung für sehr gefährlich. Nicht ohne Grund hat das Kölner Verwaltungsgericht bestätigt, dass der Verfassungsschutz die AfD zu Recht als Beobachtungsobjekt einstuft.
Höckes Landesverband in Thüringen ist für den Verfassungsschutz "gesichert rechtsextremistisch". Bundesweit ist die AfD bislang aber nur ein Verdachtsfall. Muss sich angesichts des wachsenden Einflusses von Höcke nicht auch die Einstufung auf Bundesebene ändern?
Dafür gibt es objektive Kriterien des Verfassungsschutzes, das ist aus sehr guten Gründen keine politische Entscheidung. Im Zweifel wird dies in unserem Rechtsstaat gerichtlich überprüft.
Wird Desinformation aus Russland in Zeiten des Ukraine-Krieges vermehrt zum Problem?
Ja, Putins Krieg ist auch ein Krieg der Lügen und Propaganda. Wir achten sehr genau darauf, dass diese Lügen bei uns in Deutschland nicht verfangen. Dieser Konflikt darf nicht in unserer Gesellschaft ausgetragen werden.
Was ist Ihre Antwort auf die Desinformation?
Wir setzen den Lügen Fakten entgegen. Wenn zum Beispiel behauptet wird, es gebe massenhafte Übergriffe auf Russen in Deutschland, dann widersprechen wir sehr deutlich. Denn das ist falsch. Wir haben eine Taskforce der Bundesregierung gegründet. So betreiben wir konsequent Aufklärung gegen Desinformation.
Gegen die wachsende Gefahr durch Cyberangriffe wollen Sie demnächst eine Cyberstrategie vorstellen. Wie stark wird der Fokus darauf liegen, russische Cyberangriffe zu unterbinden?
Das wird ein Schwerpunkt sein. Zum einen müssen wir unsere kritische Infrastruktur stärken. Das heißt konkret, dass die Netze des Bundes widerstandsfähiger werden müssen, um nicht angreifbar zu sein. Zum Zweiten müssen wir bestimmen, wer die Verantwortung für die Abwehr der Cyberangriffe hat. Wir sind uns mit den Ländern einig, dass der Bund hier die zentrale Rolle einnehmen muss. Dafür muss das Grundgesetz geändert werden.
Wie viel Geld ist dafür nötig?
Wir müssen hier massiv investieren. Aber ich werfe öffentlich nicht einfach einen Betrag in den Raum, sondern spreche darüber zuerst mit dem Bundesfinanzminister.
Aber das Geld ist tatsächlich da?
Die Sicherheit unserer Systeme und unserer Infrastruktur hat oberste Priorität. Das sieht auch Christian Lindner so.
Der Finanzminister will im kommenden Jahr unbedingt wieder die Schuldenbremse einhalten. Ist das angesichts der Ausgabenwünsche aus allen Ressorts realistisch?
Die Einhaltung der Schuldenbremse ist im Koalitionsvertrag verankert. Gleichzeitig stellt sich dringender denn je die Frage, wie wir die Menschen entlasten können, die die Inflation nun besonders hart trifft. Dass weitere Entlastungen notwendig sein werden, liegt ja auf der Hand.
Die Cybersicherheit spielt auch bei der Energieversorgung eine große Rolle. Der russische Geheimdienst FSB soll sich über Jahre Zugriff auch auf die Steuerungssoftware von Kraftwerken und Energieunternehmen in Deutschland verschafft haben. Wie bedroht ist die deutsche Energieinfrastruktur durch Russland?
Die Cybersicherheit ist im Bereich der kritischen Infrastruktur besonders entscheidend. Deshalb haben wir alle Schutzmaßnahmen seit Kriegsbeginn in der Ukraine so stark hochgefahren und das Know-how im Nationalen Cyberabwehrzentrum gebündelt. Wir sehen bei der Energieversorgung und Krankenhäusern sehr empfindliche Bereiche für solche Angriffe.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat immer wieder vor ausländischen Direktinvestitionen im Bereich kritischer Infrastrukturen gewarnt. Warum hat das nie zu entsprechenden Konsequenzen bei den russischen Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 geführt?
Das müssen Sie meine Vorgänger fragen. Die Energie- und auch die Innenpolitik wurde bis vor einem halben Jahr über viele Jahre von CDU und CSU verantwortet. Die SPD stellt sich ihrer Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte. Dass es jetzt auch die Parteien tun, die 16 Jahre die Kanzlerin gestellt haben, ist überfällig.
Hat der Verfassungsschutz explizit vor den Pipelines und der Abhängigkeit von Russland gewarnt?
Entscheidend ist: Die zu große Abhängigkeit von Russland war falsch. Deshalb arbeiten wir so stark daran, dies zu ändern.
Ihr Ministerium ist neben vielen anderen Themen auch für die Digitalisierung der Verwaltung zuständig. Auf diesem Gebiet gibt es in Deutschland geradezu eine Räterepublik: Blicken Sie zwischen Digitalrat, IT-Rat und IT-Planungsrat eigentlich durch?
Da kann ich Sie beruhigen: Ja. Aber mir sind vor allem zwei Fragen wichtig: Wo stehen wir eigentlich? Und wie können wir den Digitalisierungsprozess beschleunigen?
Und?
Diesen Staat mit seinen 40.000 Behörden, 11.000 Kommunen, 400 Landkreisen, 16 Ländern zu digitalisieren, ist ein riesiger Prozess.
Das ist allerdings keine neue Erkenntnis.
Aber eine entscheidende. Außerdem sind wir bei vielen Themen darauf angewiesen, dass Länder oder Kommunen mitziehen. Auch sind die deutschen Anforderungen an den Datenschutz manchmal nicht ganz einfach. Und noch wichtiger: Wenn man eine volle Datensouveränität möchte, also die Daten nicht an Konzerne abgeben will, muss man eigene Systeme entwickeln. Und das dauert.
Ist es überhaupt sinnvoll, eigene deutsche Lösungen zu basteln, wenn es sie woanders schon zigfach gibt?
Nein, natürlich nicht, daher soll in jedem Projekt geprüft werden, ob man auf Bestehendes zurückgreifen kann. Genau solche Fragen diskutieren wir gerade.
Wie zufrieden sind Sie denn mit dem Stand der Digitalisierung in der Verwaltung?
Es gibt Erfolge. Auf Germany4Ukraine.de können Geflüchtete aus der Ukraine bei vielen Ausländerbehörden online eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Bafög, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss oder Führerschein kann man digital beantragen. Es gibt den digitalen Bauantrag. Aber alles leider noch nicht in der Fläche. Und klar ist auch: Wir kommen insgesamt nicht schnell genug voran. Wo wir zum Beispiel schnellere Fortschritte brauchen, ist bei der digitalen Identität. Das ist die Grundlage für viele digitale Verwaltungsleistungen.
Wann gibt es den Personalausweis auf dem Handy?
Wir arbeiten daran, dass das schnell passiert.
Und schnell heißt 2025, also zum Ende der Legislaturperiode?
Nein. Das schaffen wir deutlich früher.
Apropos früher als 2025: In Hessen wird nächstes Jahr ein neuer Landtag gewählt. Seit 1945 wird Ihre Heimat von Männern regiert. Wäre es nicht einmal Zeit für eine Frau?
In allen verantwortungsvollen Positionen sind Frauen gefragt – zum Glück, endlich! Das war im Bundesinnenministerium ja auch so. Hier gibt es mit mir jetzt erstmals eine Frau an der Spitze.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht konnte sich zuletzt bei uns im Interview gut vorstellen, dass Sie in Hessen Ministerpräsidentin werden. Können wir sicher sein, dass Sie bis zum Ende der Legislatur Innenministerin bleiben?
Meine volle Kraft gilt dem Amt der Bundesinnenministerin. Ich habe umfangreiche Herausforderungen, von der Cybersicherheit bis zur Bekämpfung jeglicher Form von Extremismus.
Aber das sagt ja nichts über Ihre volle Kraft in der Zukunft aus.
Ich habe überhaupt keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Und ich bin mit Leib und Seele Bundesinnenministerin.
Dann stellen wir noch eine letzte Frage: Hält die Ampelkoalition bis zum Ende der Wahlperiode?
Natürlich.
Frau Ministerin, vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Nancy Faeser im Bundesministerium des Innern und für Heimat in Berlin