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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ministerin in der Kritik Die Mitflüge von Lambrechts Sohn waren kein Einzelfall
Christine Lambrecht nahm ihren Sohn im Regierungshubschrauber mit – seitdem reißen die Vorwürfe nicht ab. Doch auch andere ließen ihre Familien mit der Bundeswehr fliegen, darunter auch Ex-Kanzlerin Merkel.
Die Aufregung um die deutsche Verteidigungsministerin reißt nicht ab: Am Donnerstag forderte der Chef der Opposition im Bundestag, Friedrich Merz (CDU), Bundeskanzler Olaf Scholz solle Christine Lambrecht (beide SPD) entlassen. "Trennen Sie sich von dieser Ministerin so schnell wie möglich", so der Vorsitzende der Unionsfraktion.
Im Fokus der aktuellen Aufregung steht ein Mitflug von Lambrechts Sohn in einem Regierungshubschrauber Mitte April. Doch t-online-Recherchen zeigen: In der Debatte ist einiges schiefgelaufen – und auch wenn derartige Familienmitnahmen durch Bundesminister nicht üblich sind, ist Lambrecht kein Einzelfall.
Reisen rechtlich nicht zu beanstanden
Die Ministerin steht wegen verteidigungspolitischer Fragen schon länger in der Kritik. Zu wenig interessiere sie sich für ihr Ressort, zu wenig wisse sie über die Bundeswehr, lauten die Vorwürfe. Nachdem der "Business Insider" über den Mitflug ihres Sohnes berichtet hatte, ist die Kritik in den vergangenen Wochen jedoch persönlich geworden.
- Christine Lambrecht im t-online-Interview: "Manche Vorwürfe sind so abwegig"
Zunächst wurde suggeriert, Lambrecht habe den 21-Jährigen mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr zu einem Sylt-Urlaub über die Ostertage einfliegen lassen. Erst eine Stellungnahme des Verteidigungsministeriums sorgte für Aufklärung: Die Ministerin und ihr Sohn waren gemeinsam nach Ladelund in Schleswig-Holstein geflogen, wie ein Sprecher gegenüber t-online bestätigte: "Beide saßen zusammen im Luftfahrzeug." Dort besuchte Christine Lambrecht – allerdings ohne ihren Sohn – eine Bundeswehr-Truppe. Erst danach ging es für beide nach Sylt – mit dem Auto.
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Rechtlich war das nicht zu beanstanden – Bundesminister dürfen für dienstliche Termine die Flugbereitschaft anfordern und auf diesen Flügen auch persönliche Begleitpersonen mitreisen lassen, wenn die Kosten dafür getragen werden. Dennoch warf die Opposition ihr "mangelndes Fingerspitzengefühl" vor, wie es der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), formulierte.
Achtmal mitgeflogen – doch nur zweimal mit der Flugbereitschaft
Nach dem Bekanntwerden dieses Mitfluges erfuhr die "Bild"-Zeitung dann vom Justizministerium, an dessen Spitze Christine Lambrecht in der vorherigen Legislaturperiode stand, dass der Flug nach Schleswig-Holstein nicht die erste Reise von der Politikerin war, auf die sie ihren Sohn mitnahm. Auf sieben Auslandsreisen soll er sie begleitet haben: nach Slowenien, Helsinki, Liechtenstein, Lissabon, Luxemburg, Paris und Prag. Auch das war nicht verboten, da die Kosten stets privat beglichen worden seien. Dazu kommt der achte Flug nach Ladelund im April.
Doch der Bericht sorgte erneut für Aufsehen – zumal aus den "Bild"-Angaben teils geschlossen wurde, der Sohn sei siebenmal in Regierungsfliegern gereist. Es folgte weitere Empörung.
- Umfrage: Mehrheit für Rücktritt von Lambrecht
Doch Anfragen von t-online bestätigen: In Maschinen der Bundeswehr-Flugbereitschaft reiste der Sohn von Lambrecht nur zweimal; am 13. April 2022 nach Schleswig-Holstein und am 7. Juni 2021 beim Rückflug aus Luxemburg, als Lambrecht noch Justizministerin war. Das teilte eine Sprecherin des Justizministeriums t-online mit.
Die Erklärung: Die weiteren Auslandsreisen erfolgten per Dienstwagen oder Linienflug – zu diesen waren die Bundesminister nach einer Pannenserie bei der Flugbereitschaft im Jahr 2019 angehalten worden. Ob der Sohn der Ministerin die gleichen Flüge wie Christine Lambrecht genommen habe, sei aber nicht dokumentiert, heißt es aus dem Justizministerium.
Reisen mit Familienmitgliedern kein Einzelfall
Und noch etwas offenbaren die t-online-Recherchen: Die Begleitung von Spitzenpolitikern durch Familienmitglieder kam auch bei anderen Ministern in den vorherigen Legislaturperioden mehrfach vor. Bei den Bundesministerien liegen zu erfolgten Flügen und Mitflügen zwar teilweise nur noch begrenzt Daten vor. Dennoch lässt sich feststellen: Auch weitere Minister und selbst Kanzlerin Merkel haben Familienmitglieder in Maschinen der Flugbereitschaft mitgenommen.
Bereits bekannt war dies beim damaligen Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Das Entwicklungsministerium bestätigte t-online: 13-mal hat seine Ehefrau ihn zu Dienstreisen mit dem Flugzeug begleitet. Davon erfolgten acht Reisen über Linienverbindungen, fünfmal kam die Flugbereitschaft der Bundeswehr zum Einsatz – einmal im Jahr 2018, zweimal 2019 und zweimal 2020. "Sämtliche Rechnungen wurden privat beglichen", so ein Sprecher des Ministeriums. Die Kosten für die Flugbereitschaft seien zu 100 Prozent übernommen worden, die Linienflüge für Müllers Frau seien privat gebucht und bezahlt worden.
Auch Gerd Müller wurde damals heftig für die Mitnahmen seiner Frau kritisiert. Von der Opposition wurde ihm vorgeworfen, er habe dadurch Delegationsplätze für Fachpolitiker blockiert. Mit der Bundestagswahl 2021 zog er sich aus der Bundespolitik zurück. Mittlerweile ist er Generaldirektor der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO).
Merkel reiste mit Ehemann in den Urlaub: "Immer im Dienst"
Regelmäßige Nutzerin der Flugbereitschaft war auch Angela Merkel. Das Büro der Bundeskanzlerin a. D. teilt auf t-online-Anfrage mit, dass zu Terminen der damaligen Kanzlerin keine Familienmitglieder mitgereist seien. In den Urlaub nahm Merkel jedoch ihren Ehemann Joachim Sauer mit.
Für diese Urlaubsreisen nutzten beide auch gemeinsam die Flugbereitschaft, denn: "Die Bundeskanzlerin a. D. war immer im Dienst, Urlaub eingeschlossen", so eine Sprecherin. Sauer seien die Kosten dafür gemäß den Richtlinien in Höhe des Normaltarifs der Lufthansa in Rechnung gestellt worden, und er habe die Beträge beglichen.
Auch das Auswärtige Amt bestätigt Familienmitflüge
Auch aus dem Auswärtigen Amt heißt es auf t-online-Anfrage, es habe in den letzten beiden Legislaturperioden "eine einstellige Zahl an Flügen der Flugbereitschaft gegeben, auf denen jeweils ein Familienmitglied der damaligen Amtsleitung mitgeflogen ist". Es lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die entstandenen Kosten nicht rechtzeitig beglichen worden seien, allerdings sei die Abrechnung ohne Beteiligung des Auswärtigen Amts erfolgt. Die Flugbereitschaft wird vom Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellt und verwaltet, welches auch die Kostenabrechnung übernimmt.
Nach diesen Angaben kämen die Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, heute Bundespräsident, Sigmar Gabriel und Heiko Maas infrage. Das Auswärtige Amt verweist jedoch darauf, dass keine Statistik über mitfliegende Familienmitglieder geführt werde und lehnte die Herausgabe von Details ab.
- Eigene Recherche
- Anfragen bei den Bundesministerien, im Kanzleramt und im Büro der Bundeskanzlerin a. D.