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Christine Lambrecht exklusiv: "Also habe ich gesagt: Stopp!"


Interview
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Christine Lambrecht
"Also habe ich gesagt: Stopp!"

  • Bastian Brauns
InterviewVon Bastian Brauns und Sven Böll

Aktualisiert am 20.05.2022Lesedauer: 11 Min.
Christine Lambrecht: "Ich habe in sehr kurzer Zeit sehr viel umgesetzt."Vergrößern des Bildes
Christine Lambrecht: "Ich habe in sehr kurzer Zeit sehr viel umgesetzt." (Quelle: Armin Durgut/PIXSELL/dpa)

Kein Kabinettsmitglied muss sich so viel Kritik gefallen lassen wie Christine Lambrecht. Im Interview wehrt sich die Verteidigungsministerin gegen die Vorwürfe, spricht über die größten Probleme der Bundeswehr – und erklärt, warum Deutschland der Ukraine mehr hilft als gedacht.

Selbst langjährige Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums finden sich in dem unübersichtlichen Gebäude an der Berliner Stauffenbergstraße nicht zurecht. Es wäre also nichts Besonderes, wenn es Christine Lambrecht ähnlich ginge. Schließlich ist sie nicht einmal ein halbes Jahr im Amt.

Doch die internen Irrwege sind derzeit nicht das größte Problem der Ministerin. IBUK zu sein, also Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, ist bereits in normalen Zeiten nicht gerade ein leichter Job. Rund 260.000 Soldaten unterstehen ihr, dazu ein Ministerium mit 2.500 Mitarbeitern, zig Themen mit zahlreichen Fallstricken. Denn bei der Bundeswehr fehlt es an allen Ecken und Enden an irgendetwas.

Umso ärgerlicher ist es, wenn sich zu all den Eh-schon-da-Problemen noch die eigenen gesellen. Die Ministerin ist inzwischen so unter Druck, dass in Berlin bereits Gerüchte über ihre Ablösung die Runde machten. Doch als Lambrecht überpünktlich zum Interview erscheint, ist nur der Besprechungsraum trostlos. Die 56-Jährige lächelt viel, gibt sich freundlich-verbindlich und beantwortet geduldig die Fragen. Selbst dann, wenn es persönlich wird.

Nach eineinviertel Stunden weist sie allerdings dezent darauf hin, dass sie weitermüsse. Um ironisch zu ergänzen, es sei ja bald 17 Uhr, da dürfe sie eigentlich gar nicht mehr da sein. Sie habe ja über sich lesen müssen, dass sie um 15 Uhr das Haus verlasse. "Tatsächlich wird es heute wohl 22 Uhr", sagt sie.

t-online: Frau Lambrecht, kein Kabinettsmitglied muss sich derzeit so viel Kritik gefallen lassen wie Sie. Was ist Ihre Erklärung dafür?

Christine Lambrecht: Kritik gehört zum politischen Geschäft. Für mich ist entscheidend, dass ich am Ende des Tages in den Spiegel schauen kann.

Und das können Sie noch?

Da kann ich Sie beruhigen. Auch, weil ich die Kritik nicht immer nachvollziehen kann. Was ich nachvollziehen kann ist, dass die Begleitung durch meinen Sohn auf einem Flug bei manchen auf Unverständnis gestoßen ist. Das werde ich künftig anders handhaben und meine Termine anders organisieren. Aber mir bleibt wichtig, dass rechtlich alles korrekt war und alle Regeln eingehalten wurden.


In Artikeln wurde insinuiert, Ihr 21-jähriger Sohn sei ein Muttersöhnchen. Trifft Sie das nicht?

Ich kann mit dem Begriff "Muttersöhnchen" so wenig anfangen wie mit "Rabenmutter". Mein Sohn und ich haben ein sehr gutes Verhältnis. Und ich wünsche jedem, der Kinder hat, dass es so kommt. Es gibt doch kein größeres Kompliment für eine Mutter, als dass der erwachsene Sohn gerne Zeit mit ihr verbringt.

Die Ministerin kennt noch immer nicht die Dienstgrade, sie schirmt sich vom Rest des Hauses ab, fährt lieber in den Urlaub, als Amtskollegen zu treffen – all diese Kritik dringt aus Ihrem Haus nach außen.

Das ist leider so – auch wenn es nicht stimmt.

Aber das heißt doch: Es gibt im Ministerium großen Unmut.

Wenn ich mir anschaue, was über meine Vorgängerinnen geschrieben wurde, habe ich nicht den Eindruck, dass es mit meiner Person zu tun hat. Es gibt leider bei einigen wenigen eine gewisse Unkultur, mit Gerüchten, Klatsch und Flurfunk die Medien zu füttern. Das ist eine ungute Entwicklung, gerade für ein Ministerium, das für Sicherheitspolitik zuständig ist.

Der zentrale Vorwurf lautet, Sie würden sich nicht für Ihren Job interessieren – und sich auch keine besondere Mühe geben, das Desinteresse zu verbergen.

Ich lese diese Vorwürfe natürlich. Manche sind so abwegig, dass ich darüber nicht länger nachdenke.

Der Vorwurf, Sie hätten an den Themen kein Interesse, ist aber nicht ohne.

Ich bin jetzt seit gut fünf Monaten im Amt. Ich habe endlich die Nachfolge für das Kampfflugzeug Tornado geregelt. Das ist bei meinen Vorgängerinnen liegen geblieben. Ich habe durchgesetzt, dass es zur Bewaffnung der Drohnen kommt. Viele waren sehr skeptisch, ob das mit einer sozialdemokratischen Ministerin überhaupt möglich ist. Ich habe dafür gesorgt, dass alle Soldatinnen und Soldaten nicht erst bis 2031 mit persönlicher Schutzausrüstung ausgestattet werden, sondern schon in drei Jahren. Ich habe im Beschaffungswesen entschieden, dass in Zukunft 20 Prozent aller Aufträge aus der Bundeswehr nicht mehr über ein bürokratisches Vergabeverfahren laufen. Das sind nur ein paar Beispiele, die deutlich machen, dass ich in sehr kurzer Zeit sehr viel umgesetzt habe.

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Das klingt jetzt so, als würden Sie Ihren Kritikern Undankbarkeit vorwerfen.

Es geht hier nicht um Dankbarkeit – das ist kein Kriterium in der Politik. Aber ich bekomme vor Ort von den Soldatinnen und Soldaten etwas völlig anderes gespiegelt als von den Medien. Die Bundeswehrangehörigen haben auch ganz andere Probleme. Und Wertschätzung drückt sich für mich vor allem dadurch aus, dass ich dafür sorge, dass die Truppe endlich die richtige Ausrüstung bekommt, die sie für ihre Aufgaben benötigt.

Aber welches Interesse sollte jemand haben, Sie so hart zu kritisieren, wenn Sie so viel machen?

Es ist nicht meine Aufgabe, da nach Motiven zu suchen – ehrlich gesagt fehlt mir dafür auch die Zeit. In der Presse war beispielsweise zu lesen, ich würde um 15 Uhr das Ministerium verlassen. Leider fehlt da die Information, dass ich mich dann zum nächsten Termin aufmache.

Der Kanzler hat Sie im Interview bei uns in Schutz genommen: "Wenn man in drei Jahren auf die Wahlperiode zurückblickt, wird es heißen: 'Sie ist die Verteidigungsministerin, die dafür gesorgt hat, dass die Bundeswehr endlich ordentlich ausgestattet ist'". Waren Sie erleichtert?

Ich weiß, dass der Kanzler meine Arbeit schätzt.

Olaf Scholz meinte das also wirklich ernst?

Olaf Scholz und ich arbeiten seit über 20 Jahren sehr eng zusammen. Wir haben ein sehr vertrauensvolles Verhältnis. Und es ist gut, dass es so etwas in der Politik gibt. Denn es ist sehr selten.

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Dass Sie viel lieber Innenministerin geworden wären, stimmt aber?

Es ist kein Geheimnis, dass ich mich immer für die Rechts- und Innenpolitik interessiert habe. Aber mich hat am Verteidigungsministerium überzeugt, dass ich hier viel bewegen kann. Und ich bin in die Politik gegangen, um etwas zu verändern.

Trotzdem gilt Ihr Ressort als Schlangengrube, in der noch fast jeder Minister erledigt wurde. Hätten Sie das Amt auch angenommen, wenn Sie geahnt hätten, dass es von einem schwierigen Job zum vielleicht wichtigsten im Kabinett wird?

Der Ukraine-Krieg hat die ohnehin nicht kleinen Herausforderungen, vor denen die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium stehen, noch einmal auf ein ganz neues Niveau gehoben. Aber ich bin jemand, der sich gerne neuen Herausforderungen stellt. Ich habe ein tolles Team. In der Bundeswehr arbeiten sehr viele hochqualifizierte und engagierte Menschen. Deshalb: Ja, ich hätte das auch dann gemacht.

Es gibt auch immer wieder Gerüchte, dass Innenministerin Nancy Faeser im nächsten Jahr Spitzenkandidatin der SPD in Hessen wird und Sie dann ins Innenministerium nachrücken.

Ich setze darauf, dass Nancy Faeser nicht nur Spitzenkandidatin wird, sondern auch die erste Ministerpräsidentin in Hessen.

Was die Regelung ihrer Nachfolge in Berlin noch dringender machen würde.

Ich habe die Herausforderung angenommen, die Bundeswehr endlich ordentlich auszustatten. Wir beschließen bald das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für unsere Truppe. Endlich kann das, was über Jahre hinweg liegen geblieben ist und sträflich vernachlässigt wurde, angegangen werden. Diese Aufgabe werde ich auch erfüllen.

Das heißt: Sie schließen aus, dass Sie während der Wahlperiode in ein anderes Ressort wechseln?

Ich habe die Aufgabe der Verteidigungsministerin übernommen. Und wer mich kennt, der weiß, dass ich übernommene Aufgaben auch erfülle.

Wir reden also mit der Verteidigungsministerin, die bis 2025 im Amt sein wird?

Da kann ich mich dem Bundeskanzler nur anschließen. Mein Ziel am Ende der Wahlperiode ist, dass man rückblickend sagen kann: Sie hat dafür gesorgt, dass die Bundeswehr endlich richtig ausgestattet ist.

Was sind die zwei drängendsten Probleme der Bundeswehr?

Es gibt mehr als zwei.

Wir sollten uns bitte trotzdem auf die beiden wichtigsten beschränken.

Das größte Problem ist, dass die Bundeswehr über Jahre hinweg zusammengespart wurde. Hinzu kommen die teilweise viel zu bürokratischen Strukturen.

Fangen wir mit der kaputtgesparten Armee an. Olaf Scholz hat die Union dafür verantwortlich gemacht: "Die schlechte Zeit für die Bundeswehr begann unter Guttenberg, Schäuble und Merkel." Und es sei die SPD gewesen, die für einen Turnaround gesorgt habe. Ist das nicht ein wenig absurd?

Olaf Scholz hat recht. Der Tiefpunkt des Verteidigungsetats wurde unter Verteidigungsminister Guttenberg mit 32 Milliarden Euro erreicht. Heute sind es gut 50 Milliarden Euro, und nun kommt noch das Sondervermögen von 100 Milliarden dazu.

Allerdings war die SPD doch immer gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato.

Wir waren nicht gegen das Zwei-Prozent-Ziel, sondern wir haben immer gesagt, wir bewegen uns auf diese zwei Prozent als Ziel zu – so wie viele Verbündete in der Nato.

Wie äußert sich das jahrelange Spardiktat?

Die Bundeswehr befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Uns fehlt etwa an allen Ecken und Enden Material, zum Beispiel Munition. Wir brauchen endlich eine hochmoderne Armee mit Vollausstattung. Über das Sondervermögen ist das jetzt möglich. Es bringt die Bundeswehr um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte voran.

Die Bundesregierung hat die Abstimmung darüber allerdings vertagt. Fürchten Sie nicht, dass das Projekt scheitert?

Nein, auf keinen Fall. Die Gespräche, die ich mit den Abgeordneten führe, machen mich alle sehr zuversichtlich. Die Unterstützung für die Bundeswehr ist riesig – von der SPD über die FDP und die Grünen bis zur Union.

Warum sollte die Union Ihnen entgegenkommen? Sie ist so selbstbewusst wie lange nicht mehr.

Wer sagt, er stehe hinter der Truppe, muss nun auch Farbe bekennen. Das heißt: Der Bundeswehr endlich das Geld zur Verfügung zu stellen, das sie braucht. Jetzt ist die Möglichkeit, wirklich etwas zu verändern. Und ich erwarte, dass sich alle dieser Verantwortung stellen – quer durch alle Fraktionen.

Gehen Sie und der Kanzler genug auf die Union zu?

Ich finde die Gespräche mit der Union sehr konstruktiv. So sind sich inzwischen alle Beteiligten einig, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht ins Grundgesetz schreiben. Wir wollen zwar alle ein festes Bekenntnis zu dieser Quote, können aber den Haushaltsgesetzgeber nicht über das Grundgesetz binden. Wir finden andere Möglichkeiten.

Die Union wiederum sagt: Die Grünen sind das Problem.

Wir sind als Ampel geschlossen in diesen Verhandlungen. Aber klar ist auch: Niemand kann auf seinen Maximalforderungen beharren, denn wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit.

Die Grünen wollen einen Teil der 100 Milliarden Euro für andere Projekte abzweigen. Was Union und FDP strikt ablehnen – und die SPD überwiegend auch.

Der Kanzler hat klar gesagt, dass das Sondervermögen für die Bundeswehr bestimmt ist. Richtig ist aber auch: Wir haben uns im Koalitionsvertrag auf einen erweiterten Sicherheitsbegriff verständigt. Das heißt: Wir wollen Sicherheit nicht nur militärisch betrachten, sondern auch mit Blick auf Zivilgesellschaft, Cyberraum und die wirtschaftliche Entwicklung. Ich halte das auch alles für wichtig und richtig. Dafür müssen wir Lösungen finden. Und das werden wir auch.

Also werden Bundestag und Bundesrat das Sondervermögen noch vor der Sommerpause verabschieden?

Davon bin ich fest überzeugt.

Wofür sollen die 100 Milliarden konkret eingesetzt werden?

Ich geben Ihnen gerne ein paar Beispiele: Wir brauchen zum Beispiel einen Nachfolger für den Tornado, dringend neue schwere Transporthubschrauber und – nur um unsere Nato-Verpflichtung zu erfüllen – für 20 Milliarden Euro Munition. Und 2,5 Milliarden Euro kostet es, dass alle Soldaten endlich eine moderne Schutzausrüstung bekommen. Und darüber hinaus gibt es etliche weitere Lücken, die wir schließen müssen, wie etwa bei modernen Funkgeräten und Nachtsichtbrillen oder im Bereich Cyber.

Wie lange reichen die 100 Milliarden Euro denn?

Bliebe der Haushalt auf der aktuellen Höhe, würde das Sondervermögen für rund fünf Jahre reichen. Aber der Verteidigungsetat muss weiterwachsen, um dauerhaft das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen.

Geld allein wird aus der Bundeswehr aber keine moderne Truppe machen.

Kein Widerspruch. Wir müssen auch in den Strukturen dringend etwas verändern.

Das Beschaffungswesen der Bundeswehr gilt allerdings als unreformierbar.

Mich hat überrascht, wie tief bei vielen der Anspruch sitzt, alles bis ins letzte Detail perfektionieren zu wollen. Ein Beispiel: Die Bundeswehr wollte den perfekten Rucksack für die Truppe. Dafür wurde acht Jahre geforscht – aber er ist immer noch nicht da. Das kann doch einfach nicht sein. Also habe ich gesagt: Stopp! Einen sehr guten Rucksack muss es bereits auf dem Markt geben. Andere Armeen haben doch auch welche. Also: Wir müssen insgesamt mehr auf das setzen, was es heute bereits auf dem Markt gibt.

Als legendär bürokratisch gilt das Beschaffungsamt in Koblenz. Ist die Lage dort wirklich so hoffnungslos?

Ich stelle mich ausdrücklich vor die viel kritisierten Kolleginnen und Kollegen in Koblenz. Dass sie so vorgehen, wie sie es tun, liegt vor allem an den Regeln, die wir ihnen vorgeben. Da muss sich viel ändern. Darum habe ich zum Beispiel die Unterschwellenvergabeverordnung verändert.

Was verbirgt sich dahinter?

Wir haben bei der Beschaffung die Schwelle für einfache Vergaben ohne langwierige Ausschreibung von 1.000 auf 5.000 Euro angehoben. Das hat zur Folge, dass 20 Prozent der Anschaffungen nun ohne Vergabeverfahren getätigt werden können. Das spart eine Menge Ressourcen. Weitere Veränderungen werden folgen. Dabei schadet es bestimmt nicht, dass nun eine Juristin – und ich bin das mit Leib und Seele – an der Spitze dieses Hauses steht, die auch Vergaberecht kann und es verändern will.

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Klingt nicht so, als wollten Sie eine "Reformkommission Beschaffungswesen" einsetzen.

Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Was aber nicht heißt, dass sich im System nicht eine Menge ändern ließe. Wir müssen effizienter werden. Dazu brauchen wir aber keine teuren externen Berater.

Die Bundeswehr hat auch Nachwuchsprobleme. Wie lässt sich das ändern?

Wir bieten eine spannende Aufgabe, die zudem für unser Gemeinwesen von überragender Bedeutung ist, nämlich die Sicherheit und Freiheit unseres Landes, unserer Demokratie zu verteidigen. Und natürlich gibt es bei uns sichere Arbeitsplätze und eine große Vielfalt an Berufen. Das müssen wir noch stärker herausstellen. Wichtig ist aber auch, dass wir moderne und einsatzbereite Technik haben, um für junge Menschen attraktiv zu sein.

Müsste die Politik – wenn es nicht mehr Bewerber geben sollte – wieder über die Einführung der Wehrpflicht nachdenken?

Die Wiedereinführung der Wehrpflicht würde so viele verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen, dass ich hier große Zweifel habe.

So schlimm?

Man muss sich doch nur fragen, warum die Wehrpflicht ausgesetzt wurde: Es stand ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wegen mangelnder Wehrgerechtigkeit bevor. Schon allein deshalb rate ich dringend von solchen Phantomdebatten ab.

Kommen wir abschließend zum Ukraine-Krieg: Ihr US-Kollege, Verteidigungsminister Lloyd Austin, hat gesagt, Russland solle langfristig so geschwächt werden, dass es keinen Krieg mehr gegen seine Nachbarn führen könne. Sehen Sie das auch so?

Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Durch unsere gemeinsame und sehr konsequente Unterstützung der Ukraine haben wir Putins Pläne durchkreuzt. Seine Armee ist signifikant geschwächt. Es ist jetzt wichtig, dass wir international dafür sorgen, dass die Ukraine nicht nur jetzt mutig kämpfen und sich verteidigen kann, sondern dass sie mittel- und langfristig militärisch so stark ist, dass Russland keine Invasion mehr wagt.

Also sehen Sie es anders als Austin?

Nach zahlreichen Gesprächen mit meinem Kollegen bin ich mir sicher, dass wir den gleichen Blick auf diesen Krieg haben.

Wird Deutschland weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern?

Das machen wir schon. Und ich sehe keinen Grund, warum wir das nicht weiter tun sollten.

Wie viel wert sind unsere Hilfen bis jetzt eigentlich?

Jedes Land berechnet das anders. Wichtig ist, dass wir der Ukraine umfassend helfen und sie jetzt etwa mit dem modernsten Artilleriesystem der Welt ausstatten: der Panzerhaubitze 2000. Außerdem bilden wir ukrainische Soldaten bei uns aus und behandeln verwundete Soldaten in unseren Krankenhäusern. Dazu kommt, dass wir über den Ringtausch die Abgabe von schweren Waffen durch unsere Verbündeten ermöglichen – wie gerade bei Tschechien.

Das heißt: Wir haben Ihrer Meinung nach alles getan, was wir tun konnten?

Wir unterstützen die Ukraine sehr intensiv, sehr abgewogen und werden das auch weiter tun. Wichtig ist aber auch, dass wir alles, was wir tun, mit unseren Verbündeten absprechen und dafür sorgen, dass wir keine Kriegspartei werden. Wir müssen die Ängste und Sorgen der Bevölkerung sehr ernst nehmen.

Tut die Bundesregierung auch sonst mehr, als die Öffentlichkeit erfährt?

Dass wir nicht alles kommunizieren, hat nichts mit mangelnder Transparenz zu tun, sondern mit unserer Sorge um die Sicherheit der Waffentransporte. Wir wollen ja, dass alles, was wir als Hilfe schicken, auch ankommt.

Aber die Amerikaner inszenieren ihre Lieferungen doch auch öffentlich.

Für uns steht im Vordergrund, dass wir sicher liefern können.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Lambrecht.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit der Bundesministerin der Verteidigung, Christine Lambrecht, im Berliner Ministerium
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