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FDP gegen Corona-Lockdown: Wann kippen sie um?


Lindners Kurs in der Corona-Krise
Wie lange hält er das durch?


26.11.2021Lesedauer: 5 Min.
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FDP-Chef Christian Lindner bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages: Hallo, Realpolitik!Vergrößern des Bildes
FDP-Chef Christian Lindner bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages: Hallo, Realpolitik! (Quelle: IMAGO / Stefan Zeitz)

Die FDP will allzu rigide Corona-Maßnahmen verhindern. Doch die vierte Welle wächst und wächst. Nun nimmt der Druck auf die Liberalen zu – auch von den Koalitionspartnern.

Andrew Ullmann klingt ausgeruht, wenn man in diesen Tagen mit ihm spricht. Der 58-jährige Mediziner ist Universitätsprofessor für Infektiologie an der Universität Würzburg, FDP-Bundestagsabgeordneter und war in der vorigen Legislaturperiode Obmann im Gesundheitsausschuss.

Ullmann ist also so etwas wie der Karl Lauterbach seiner Partei. Theoretisch. Praktisch sieht er die Lage weniger dramatisch als sein sozialdemokratischer Kollege.

Am Freitagmorgen sagt Ullmann am Telefon: "Wir in der FDP und in der kommenden Ampelkoalition sind sehr wachsam, beobachten das Geschehen genau und werden handeln, wenn es erforderlich ist." Und dann setzt er hinzu: "Die Länder haben die Werkzeuge in der Hand und müssen jetzt regional agieren. Dort ist ja aufgrund der seit knapp zwei Jahren andauernden Pandemie auch das Wissen da, wie man mit dieser Krise umgeht."

Ullmann fasst damit die Linie seiner Partei zusammen: Jetzt sind erst mal die Bundesländer dran. Vor allem sie sollen die Corona-Krise eindämmen, nicht die neue Ampelregierung, die ja noch gar nicht im Amt ist. So ähnlich äußert sich auch Parteichef Christian Lindner.

Die Liberalen stecken in einer Zwickmühle

Die FDP hat den harten Corona-Kurs von Angela Merkel anfangs mitgetragen, war dann aber rasch auf eine kritische Linie umgeschwenkt. Politiker der Partei wetterten gegen Ausgangsbeschränkungen und waren im Zweifel für weniger statt für mehr Maßnahmen.

Das Problem ist: In wenigen Tagen sind die Liberalen Teil der Ampelregierung. Und die neue Koalition wurde in den vergangenen Tagen von der vierten Welle sehr kalt erwischt. Inzwischen liegt die 7-Tage-Inzidenz deutschlandweit bei mehr als 438, die Intensivbetten sind zu 88 Prozent ausgelastet. "Die Lage ist in einigen Teilen Deutschlands bereits außer Kontrolle geraten", sagte Andreas Schuppert vom Lehrstuhl Computational Biomedicine der RWTH Aachen dem "Spiegel". Teilweise fliegt die Bundeswehr schon Patienten von einem Bundesland ins andere, weil die Mediziner sie nicht mehr behandeln können.

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Was also tun? Die Antwort auf diese Frage ist für die Liberalen schwierig, denn sie stecken in einer Zwickmühle: Einerseits sehen sie die dramatische Lage. Sie wissen, dass die Verantwortung dafür bereits auf sie und ihre Regierungspartner zurollt. Auch deshalb plädieren viele in der FDP schon dafür, dass die Ministerpräsidenten – wo nötig – mit weitergehenden Maßnahmen das Pandemiegeschehen eindämmen. Hauptsache, erst mal bremsen.

Andererseits wollen die Liberalen auch nicht wie politische Umfaller dastehen, die plötzlich doch einen bundesweiten Lockdown durchsetzen müssen. Schließlich hat die FDP bereits in den vergangenen Wochen viele Positionen eingesammelt. Das Mantra von vor wenigen Wochen, es drohe "keine systemische Überlastung des Gesundheitssystems mehr", hat man zuletzt nicht mehr gehört.

Doch die FDP gerät zunehmend in Reibung mit ihren Koalitionspartnern – sowie mit der scheidenden Bundesregierung. Und die Zahlen steigen weiter.

"Hysterisch umlenken" bringe nichts, heißt es

Konstantin Kuhle ist der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Er gilt als eines der größten politischen Talente seiner Partei und sagt: "Die FDP steht auch in Zeiten der Pandemie für Vernunft und Ausgleich." Es müsse auf die "gesellschaftlichen Schäden" weiterer Lockdowns hingewiesen werden. Wie er formulieren das etliche Abgeordnete, wenn man mit ihnen spricht.

In der Partei wird jetzt oft auf das neue Infektionsschutzgesetz hingewiesen, die 3G-Regel am Arbeitsplatz werde noch ihre Wirkung entfalten. Und zudem würden die Menschen ja vorsichtiger werden, heißt es. Man will bei den Liberalen keinen blinden Aktionismus, jetzt schnell umzulenken, bringe erst mal nichts, glaubt mancher.

Die FDP hat also ihre Überzeugungen. Es könnte jedoch noch einen anderen Grund für die eher bremsende Haltung geben: In den sozialen Netzwerken prasselt schon jetzt reichlich Häme auf die Liberalen herein, dass sie sich plötzlich doch für eine Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen erwärmen konnten. Nun also auch noch einen bundesweiten Lockdown verhängen? Bloß nicht, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Die Angst vor der Rache der eigenen Anhänger ist groß.

Nur wird das Ringen um die richtige Corona-Politik zunehmend zur Belastungsprobe für die designierte Ampelregierung. Dabei war es ausgerechnet eine Grüne, die die Debatte um die richtigen Corona-Maßnahmen am Mittwochabend neu entfachte: "Wir haben uns zehn Tage Zeit gegeben", sagte Annalena Baerbock in der ARD, "um zu sehen, sind wir bei den Booster-Impfungen, sind wir bei den Schutzmaßnahmen, Kontakte zu reduzieren, weit genug gekommen."

Olaf Scholz ist gar nicht so weit entfernt von den Liberalen

Das sorgte für Entsetzen, teilweise sogar in den eigenen Reihen: Einfach zehn Tage abwarten und zuschauen, wie sich die Pandemie weiter verbreitet? Denn bei der Frage, ob schärfere Kontaktbeschränkungen in der Corona-Pandemie helfen, gibt es eigentlich kein Erkenntnisproblem. Das ist so, das sagen alle angesehenen Experten, und viele von ihnen sagen auch: Die bisherigen Anstrengungen reichen nicht aus.


Es gibt bei den Grünen auch viele, die das ähnlich sehen. Sie verweisen jetzt auf die FDP, die noch immer nicht in der Corona-Realität angekommen sei und die schärfere Maßnahmen verhindere. Und Olaf Scholz, so die Erzählung, nehme wie schon in den Koalitionsverhandlungen viel Rücksicht auf das Befinden der FDP. Zur Wahrheit gehört dabei, dass auch Olaf Scholz gar keine so strikte Haltung zu Corona vertritt.

"Hier zählt jeder Tag", warnt Merkel bereits

Und auch andere Mächtige in der SPD wollen eigentlich keine so scharfen Maßnahmen mehr. Jetzt, wo doch so viele geimpft sind. Doch der Weg der FDP aus der Opposition in die Regierungsrealität ist eben besonders bei Corona der weiteste in der Ampel.

Die Frage ist nun, wie sich die Pandemie weiter entwickelt: Bricht die Welle irgendwann, ohne dass es zu einem flächendeckenden Lockdown kommt? Kann die Strategie von Christian Lindner und seinen Vertrauten, erst mal zu warten und lediglich mit regionalen Maßnahmen das Geschehen einzudämmen, erfolgreich sein?

In der Fachwelt wachsen daran die Zweifel. "Ohne einen Lockdown werden wir es nicht schaffen,“ sagte Thorsten Lehr, der als Professor für Klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes forscht, dem "Spiegel": Er setzte hinzu: "Und ich glaube, dass wir wirklich auch relativ rigorose Maßnahmen treffen müssen."

Ähnlich sieht das auch die Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Hier zählt jeder Tag", sagte sie am Mittwoch. Und sie forderte im Bezug auf Maßnahmen: "Wir brauchen mehr." Ihr Kanzleramtschef soll laut "Bild"-Zeitung bereits mit einer Ministerpräsidentenkonferenz gedroht haben, die eine Notbremse beschließt – sofern die Ampelkoalition dazu kein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringt.

Der Druck wächst auf die Liberalen. Auf die Frage, ob er denn einen flächendeckenden Lockdown in Deutschland ausschließen könne, sagt Andrew Ullmann: „Ich schließe nichts aus. Aber die Sinnhaftigkeit und Verhältnismäßigkeit eines pauschalen flächendeckenden Lockdowns wurde von Gerichten in Frage gestellt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Gespräche mit FDP-Bundestagsabgeordneten und -Politikern
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