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Olaf Scholz: "Wenn die SPD deutlich über 20% bekommt, kann ich Kanzler werden"


Interview
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Olaf Scholz
"Wer Kanzlerkandidat der Union wird, ist mir herzlich egal"


Aktualisiert am 26.09.2020Lesedauer: 8 Min.
Olaf ScholzVergrößern des Bildes
Kanzler statt Vizekanzler? Olaf Scholz wünscht sich skandinavische Verhältnisse. (Quelle: Marco Urban)

Als Bundesfinanzminister kämpft er mit mehr als 300 Milliarden Euro neuen Schulden gegen die Folgen der Corona-Krise. Und als Kanzlerkandidat? Da steht Olaf Scholz wegen der Skandale um Wirecard und die Warburg-Bank in der Kritik.

Herr Scholz, bevor die SPD Sie zum Kanzlerkandidaten ausgerufen hat, lag die SPD in Umfragen bei maximal 15 Prozent. Nun erreicht sie ein bis zwei Prozentpunkte mehr. Ist das schon der ganze Scholz-Effekt?

Erstmal ist es gut, dass wir etwas zugelegt haben. Es geht aber nicht um einen kurzfristigen Effekt. Wir haben den Kanzlerkandidaten früh bestimmt, damit wir ausreichend Zeit haben, mit den Wählerinnen und Wählern darüber zu diskutieren, was für die Zukunft Deutschlands wichtig ist.

Was würden Sie darauf wetten, dass die SPD bei der Bundestagswahl in einem Jahr vor den Grünen liegt?

Ich habe gesagt: Ich will gewinnen – und als sozialdemokratischer Kanzler die Regierung anführen.

Das heißt: 22 Prozent plus x?

Mit einem Wahlergebnis von deutlich über 20 Prozent stellen sozialdemokratische Parteien in Skandinavien im Augenblick den Regierungschef – in diese Lage wollen wir auch kommen.

Wieviel wetten Sie denn darauf, dass Sie tatsächlich Kanzler werden?

Ich wette nie – aber ich bin ein zuversichtlicher Mensch.

Politiker von SPD, Grünen und Linken diskutieren derzeit wieder über ein Linksbündnis. Schließen Sie eine Koalition mit der Linkspartei auf Bundesebene aus?

Bei der nächsten Bundestagswahl wird vieles anders sein als sonst: Es wird niemand kandidieren, der schon Kanzlerin oder Kanzler ist, allerdings tritt der Vizekanzler an. Es wird viele Parteien geben, die es in den Bundestag schaffen. Die Partei, die die stärkste Fraktion stellt, wird nicht mehr so stark sein wie das vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. Daraus erwächst unsere Chance. Klar ist: Es gibt kein taktisches Wählen. Man muss die Partei wählen, von der man möchte, dass sie den Kanzler stellt. Und alle weiteren Fragen stellen sich dann.

Das war allerdings keine Antwort auf die Frage.

Das war meine Antwort auf die Frage.

Mit welchem Kanzlerkandidaten der Union rechnen Sie denn?

Das weiß ich nicht. Es ist mir auch herzlich egal.

Das glauben wir Ihnen nicht. Friedrich Merz als konservative Reizfigur wäre doch für die SPD perfekt.

Ich nehme es, wie es kommt. Das dürfen Sie mir ruhig glauben.

Ende des vergangenen Jahres wollten Sie SPD-Chef werden – und sind gescheitert. Nun sind Sie der wichtigste Vertreter der Partei. Schon irgendwie komisch, oder?

Die SPD agiert so geschlossen wie lange nicht. Mit unserer Geschlossenheit wollen wir die Bürger überzeugen. Als Kanzlerkandidat fühle ich mich gestützt von allen Teilen meiner Partei.

Das richtige Personal ist im Wahlkampf wichtig, die richtigen Themen aber auch. Was wird denn die große inhaltliche Debatte im nächsten Jahr?

Natürlich wird die gegenwärtige Krise ein Schwerpunkt sein und damit verbunden die Frage, was nach Corona kommt. Bleiben uns unser leistungsfähiges Gemeinwesen, ein gut ausgebauter Sozialstaat und ein funktionierendes Gesundheitswesen auch nach der Krise erhalten – oder wird das alles zurückgebaut? Die SPD will Gemeinwesen und Sozialstaat für die Zukunft sichern.

Und jenseits von Corona?

Da sehe ich drei Themen: Respekt, Zukunft, Europa.

Fangen wir mit Respekt an. Worum geht es Ihnen genau?

Viele Bürgerinnen und Bürger spüren, dass unsere Gesellschaft auseinanderläuft. Ich will das ändern und setze mich für eine Gesellschaft ein, die sich im gegenseitigen Respekt begegnet. Da geht es auch um gute und sichere Arbeitsplätze, etwa für die Corona-Helden, die das Gefühl haben, dass samstags für sie applaudiert wird, von Montag bis Freitag sich aber niemand für sie interessiert. Das wird anders sein, wenn ich Kanzler werde. Und es geht um etwas Grundsätzliches: Niemand sollte sich für etwas Besseres halten als die anderen.

Aber Arroganz kann man doch nicht staatlich verbieten.

Das nicht, aber als Kanzler möchte ich dafür sorgen, dass die Gesellschaft die Leistungen der Angestellten und Arbeiter bei der Müllabfuhr genauso wertschätzt wie die der Theaterdirektorin – und die Leistung einer Handwerkerin genauso wie die von einem jungen Mann in einer Werbeagentur.

Verstehen wir. Und wie sieht Ihr Zukunftsmodell aus?

Da geht es vor allem um die Modernisierung unserer Volkswirtschaft. In diesem Jahrzehnt müssen wir die technologischen Weichen dafür stellen, dass es auch in 20 Jahren noch wettbewerbsfähige mittelständische und große Unternehmen und gute Arbeitsplätze gibt. Und auch, wenn wir im Kampf gegen den Klimawandel nach 200 Jahren Industrialisierung, die auf fossiler Energie beruhte, im Jahr 2050 CO2-neutral wirtschaften wollen, geht das nur mit einem echten technologischen Sprung. Dass er aus Deutschland heraus organisiert wird, ist die zentrale Zukunftsfrage unseres Landes.

Das klingt jetzt aber eher nach "Mehr Deutschland" als nach "Mehr Europa".

Gar nicht. In einer Welt, die immer unfriedlicher wird, brauchen wir eine starke Europäische Union. In wenigen Jahrzehnten wird es viele einflussreiche Nationen auf dieser Welt mit dann zehn Milliarden Bewohnern geben – nicht nur die USA und China, sondern auch Länder in Asien, Südamerika und Afrika. Wenn wir dann all das, was uns als europäische Demokratien verbindet, sichern wollen, wird das nur gemeinsam gelingen.

Hört sich plausibel an. Aber bekommen wir das alles nicht auch bei anderen Parteien?

Nein.

Die Union ist nicht gegen mehr Respekt für die Corona-Helden. Die Grünen wollen auch mehr Klimaschutz. Der neue FDP-Generalsekretär sagt, der Staat könne vieles besser als der Privatsektor.

Dreimal nein. Es geht um die grundsätzlichen Unterschiede in den politischen Konzepten: Wer eine Respektgesellschaft will, mit Anerkennung als Motor für den Zusammenhalt, der muss schon sozialdemokratisch wählen.

Mit Ausnahme von vier Jahren regiert die SPD seit 1998 im Bund mit. Warum entdecken Sie die Themen erst jetzt?

Alle drei Themen ergeben sich aus unserer Tradition.

Umso mehr hätten Sie diese doch früher adressieren müssen.

Haben wir. Was neu ist: In einer Gesellschaft, die so durchlässig geworden ist wie unsere, wollen wir uns nicht schulterzuckend damit abfinden, wenn einige sagen, dass sie sich mit Studium oder höherem Einkommen als etwas Besseres fühlen und daraus ableiten, dass sie auf die anderen weniger Rücksicht nehmen müssen. Unsere Gesellschaft funktioniert nur, wenn wir zusammenhalten – das hat uns Corona nochmal bewiesen.

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Wieso profitiert die SPD eigentlich so wenig davon, dass die Bundesregierung das Land vergleichsweise erfolgreich durch die Krise steuert?

Immerhin wird allseits anerkannt, dass die SPD sehr gute Arbeit leistet und große Verbesserungen erzielt hat. Nun müssen wir überzeugen, weil wir als Partei eine klare Perspektive für die Zukunft haben und der SPD-Kandidat der richtige Kanzler für die anbrechende Zeit ist.

Allerdings stehen Sie als Kanzlerkandidat unter Druck: Sie leben von dem Image, immer alles ordentlich und gewissenhaft zu machen. Jetzt drohen Ihnen in Berlin und Ihrer alten Heimat Hamburg gleich zwei Untersuchungsausschüsse: einer zum Pleiteunternehmen Wirecard, einer zur Privatbank Warburg. Fürchten Sie nicht, dass Sie Kratzer abbekommen?

Nein. Tatsächlich bin ich über den Untersuchungsausschuss zu Wirecard froh. Denn ich merke schon jetzt, wie mächtige Interessenverbände versuchen, jede Reform zu verhindern. Wir brauchen eine Kontrolle mit mehr Biss und Veränderungen bei den Wirtschaftsprüfern. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen immer wieder von den gleichen Firmen geprüft wird. Es kann auch nicht bei der heutigen engen Verquickung von Prüfung und Beratung bleiben.

Deshalb wollen Sie das Beratungs- vom Prüfungsgeschäft trennen. Ist es nicht scheinheilig, die großen Anbieter nun zu kritisieren, wenn der Bund in den vergangenen Jahren Aufträge in Höhe von 400 Millionen Euro an sie vergeben hat?

Die Aufträge des Bundes werden nach sehr präzisen und transparenten Kriterien vergeben. Das Problem ist doch nicht die schiere Existenz von Wirtschaftsprüfungsunternehmen. Das Problem ist, dass es nur wenige große Spieler gibt, die in der Lage sind, solche großen Aufträge auszuführen.

Sie kritisieren vor allem die Wirtschaftsprüfer. Die Finanzaufsicht BaFin hat allerdings auch eine zweifelhafte Rolle gespielt. Statt den Vorwürfen gegen Wirecard nachzugehen, haben die Beamten dort lieber Journalisten angezeigt.

Es ist nicht glücklich, dass dieser Eindruck entstanden ist. Tatsächlich hat die BaFin 2019 die dafür zuständige Bilanzpolizei DPR auf das Unternehmen angesetzt, damit die den Vorwürfen nachgeht. Jetzt geht es darum, den rechtlichen Rahmen dafür zu schaffen, dass die Finanzaufsicht gestärkt wird. Die Behörde muss schnell forensische Prüfungen bei Unternehmen durchführen können.

Und bei der BaFin selbst muss sich nichts ändern? Immerhin haben Mitarbeiter mit der Wirecard-Aktie spekuliert.

Ich bin fest entschlossen, den rechtlichen Rahmen für Eigengeschäfte für Beschäftigte der BaFin zu verändern.

Verändern heißt verschärfen?

Ja, es wird striktere Regeln geben. Das muss es auch.

Hat Robert Habeck Sie inzwischen eigentlich mal gefragt, was die BaFin macht? Er scheint das immer noch nicht genau zu wissen.

Hat er nicht.

Sollte er es tun?

Ich habe ein persönlich gutes Verhältnis zu ihm. Ich bin auch gern bereit, die Tätigkeit der BaFin zu erläutern. Aber ich finde, man soll sich nicht zu viel Spaß auf Kosten anderer Leute erlauben. Das ist nicht mein Stil.

In Hamburg, wo Sie lange Erster Bürgermeister waren, gibt es auch Ärger für Sie. Im Zuge des sogenannten Cum-Ex-Skandals haben die Finanzbehörden der Warburg-Bank 47 Millionen Euro Steuerrückzahlungen erlassen …

… Sie sagen es: Die Steuerbehörden – und eben nicht der Senat – treffen die Entscheidungen.

Trotzdem: Hamburg ist eine SPD-regierte Stadt. Und ausgerechnet dort werden einer Bank für Reiche Steuern erlassen. Finden Sie das glücklich?

Die Entscheidungen der Finanzämter in Hamburg sind eigenständig und erfolgen nach Beurteilung der rechtlichen Kriterien und nicht nach irgendetwas anderem. Die entscheidende Frage, die an mich zu stellen ist, lautet: Gab es eine politische Einflussnahme?

Und Ihre Antwort lautet vermutlich: nein.

Genau. Das sage übrigens nicht nur ich, sondern auch das Hamburger Finanzamt, die Hamburger Finanzbehörde und mein Nachfolger Peter Tschentscher. Deshalb bin ich sicher: Auch ein Ausschuss wird zu keinem anderen Ergebnis kommen.

Als Sie Erster Bürgermeister waren, haben Sie sich allerdings mehrfach mit dem Mitinhaber der Warburg-Bank Christian Olearius getroffen, obwohl gegen ihn und das Institut Ermittlungen liefen.

Ich habe ihn mehrfach getroffen. Doch bekanntlich habe ich keinerlei Einfluss auf das Verfahren genommen.

Wir wollen auf einen anderen Punkt hinaus: Sie haben gesagt, Sie könnten sich an Details der Gespräche nicht erinnern. Sind Erinnerungslücken nicht ein ziemlich schwaches Verteidigungsargument?

Diese ganze Angelegenheit liegt viele Jahre zurück und ich führe ständig Gespräche – da kann ich Jahre später doch keine Erinnerung daran haben.

Als Kanzler führt man aber doch noch mehr Gespräche als ein Erster Bürgermeister in Hamburg. Und da sollte man sich doch auch erinnern können.

Wichtig ist doch, dass man seinen Prinzipien immer treu bleibt – und das bin ich.

Wir wollen mit einer kleinen privaten Umfrage schließen: Im Vorfeld des Gesprächs haben wir mehrere Bürger gefragt, die nichts mit dem politischen Berlin zu tun haben: "Welche Frage habt ihr an Olaf Scholz?" Und wir haben dabei in recht leere Gesichter geguckt. Warum kommt so wenig von dem, was Sie und Ihre Ministerkollegen tun, bei den Menschen an?

Ich bin mir nicht sicher, ob das generell so zutrifft, denn ich mache im Augenblick ganz andere Erfahrungen. Darf ich?

Bitte.

Ich erlebe ein neues, sogar gestiegenes Vertrauen in die politisch Verantwortlichen in Deutschland. Nicht nur in die Regierungen im Bund, sondern auch in Ländern, Städten und Gemeinden. Ich merke das, wenn die Leute mich ansprechen: Sie sind gerade in der aktuellen Corona-Krise sehr dankbar dafür, dass sie in Deutschland leben und ganz ordentlich regiert werden.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Vizekanzler Olaf Scholz am 21. September
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