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Christian Lindner: Beim Dreikönigstreffen der FDP präsentiert er seinen Joker


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Dreikönigstreffen der FDP
Und dann präsentiert Lindner seinen Joker

Von Tim Kummert, Stuttgart

Aktualisiert am 06.01.2020Lesedauer: 6 Min.
FDP-Chef Christian Lindner: Der Politiker setzt auch auf Protestwähler.Vergrößern des Bildes
FDP-Chef Christian Lindner: Der Politiker setzt auch auf Protestwähler. (Quelle: Sebastian Gollnow/dpa)

Die Liberalen suchen auf dem "Dreikönigstreffen" nach dem richtigen Kurs: Christian Lindner will ehemalige SPD-Wähler für die Partei gewinnen und auch mehr Pluralität. Trotzdem steht er selbst weiter im Mittelpunkt. 2020 könnte die letzte Chance sein, das vor der Bundestagswahl zu ändern.

Direkt vor dem Eingang hängt ein Plakat, auf dem in riesigen Lettern steht: "Als ob es ein Morgen gäbe". Das klingt wie eine pessimistische Warnung an die FDP, die in den Umfragen zwischen 7 und 10 Prozent pendelt. In Wahrheit ist der Spruch jedoch Werbung für eine Inszenierung von Molière im Staatstheater Stuttgart. Direkt nebenan, im Opernhaus der Stadt, findet an diesem Montag eine andere Veranstaltung statt: Das "Dreikönigstreffen" der FDP, jedes Jahr die wichtigste Zusammenkunft für die Partei.

Die Liberalen suchen im Moment nach dem richtigen Kurs: Bei den Landtagswahlen 2019 waren die Ergebnisse allenfalls mäßig, thematisch sticht die Partei kaum heraus, nur die Grünen und die AfD profitieren gegenwärtig von der Schwäche von SPD und CDU. 2020 gibt es wenige Wahlen, neben der Bürgerschaftswahl in Hamburg im Februar wird es nur noch Kommunalwahlen im März in Bayern und im September in Nordrhein-Westfalen geben. Deshalb will die Partei dieses Jahr für sich nutzen, um sich inhaltlich für die Bundestagswahl 2021 zu positionieren – zumindest, wenn die große Koalition solange hält. Der Auftakt dafür ist das Dreikönigstreffen.

Scharfe Rhetorik versus ruhige Töne

Etwa 1.300 Menschen sind gekommen, zu Beginn schallen die Worte "Die Zukunft kann alles. Bleiben wir frei, denken wir groß" aus den Lautsprechern der Oper. Dann eröffnet Michael Theurer, der Fraktionsvorsitzende der FDP in Baden-Württemberg, die Veranstaltung mit ein paar Seitenhieben gegen die SPD-Vorsitzende Esken. Diese lege "die Sensibilität eines Presslufthammers" an den Tag und verhalte sich wie "die Beschwerdestelle der Bundesregierung". Die scharfe Rhetorik Theurers ist kein Zufall. Sie ist das Sprungbrett für seinen Parteichef Lindner, der dies später für einen Rundumschlag gegen die Spitze der Sozialdemokraten nutzen wird.

Anschließend spricht Linda Teuteberg, die Generalsekretärin. Und deren Auftritt lässt erahnen, warum die Partei oft noch wie eine einzige große Bühne für Christian Lindner wirkt. Generalsekretäre sind eigentlich prominente Figuren im politischen Betrieb und sorgen mit schneidigen Sätzen für ein markantes Profil. Sie sind die Scharfmacher ihrer eigenen Partei, doch Linda Teuteberg wirkt eher wie ein politischer Weichspüler. Schon in den letzten Monaten ist sie kaum mit markanten Formulierungen aufgefallen, das änderte sich auch beim Dreikönigstreffen nicht: Teuteberg sprach mit sanfter Stimme davon, "die Glaubwürdigkeit der Demokratie unter Beweis zu stellen" und mahnte – mäßig überraschend als Mitglied einer liberalen Partei – dass die "Freiheit in Gefahr" sei. Teuteberg als Generalsekretärin dürfte keine großartige Hilfe für die Partei auf der Suche nach einem klareren Kurs sein.

Kandidaten vor Ort müssen sich positionieren

Im Jahr 2020 werden es wohl dort, wo Kommunalwahlen stattfinden, die Kandidaten vor Ort sein, die für eine eindeutige Positionierung der Partei sorgen müssen. Eine Idee davon, wie das aussehen könnte, bekommt man, wenn man Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die für das Amt des Oberbürgermeisters in Düsseldorf kandidiert, und Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, die Spitzenkandidatin der FDP für die Hamburger Bürgerschaft, zuhört. Beide wollen 2020 gewählt werden.

Sowohl Strack-Zimmermann als auch von Treuenfels zählen auf der Bühne in Stuttgart ganz konkrete, kommunalpolitische Themen auf, bei denen sie sich positionierten: Von Treuenfels beklagt die mangelnde Kontrolle in Hamburg bei Ausschreitungen um den G20-Gipfel und die Einschränkung der Redefreiheit an der dortigen Universität. Strack-Zimmerman erklärt, was aus ihrer Sicht in Düsseldorf bei den verstopften Straßen falsch läuft, und wie sie selbst sich auf den Asphalt gestellt habe, um für ihre Lösung des Problems zu werben. Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass die Positionierung der Partei sehr klar wirkt.

Graf Lambsdorff: "Die Bundesverteidigungsministerin eiert herum!"

Anschließend spricht Christian Lindner. Es ist 12.30 Uhr, als der Bundesvorsitzende die Bühne betritt. Zu Beginn verweist er auf die neuen Eskalationen im Nahen Osten, und dass es nun auf "Stabilität" ankomme, die sei beim Bundesaußenminister ja wohl kaum zu finden. Lindner holt nach drei Minuten die FDP-Bundestagsabgeordneten Alexander Graf Lambsdorff und den außenpolitischen Sprecher Bijan Djir-Sarai auf die Bühne.

Die beiden dürfen an der Seite Lindners jeder in einem kurzen Statement scharf die aktuelle Politik der Bundesregierung kritisieren und sagen Sätze wie: "Die Bundesverteidigungsministerin eiert herum!" Doch darum geht es eigentlich gar nicht, die Bundesregierung ist der Parteichef vorher selbst schon angegangen. Vielmehr will Christian Lindner mit dem prominenten Auftritt der beiden ein Signal senden: Seht her, ich liefere keine alleinige Show, ich teile mir buchstäblich die Bühne, auch ganz real im Opernhaus. Das geht jedoch recht kurz, nur fünf Minuten bleiben die beiden Abgeordneten oben, bis sie Lindner wieder freundlich auf ihre Plätze schickt.

SPD-Wähler sollen künftig FDP wählen

Dann beginnt er mit dem Umgarnen der klassischen SPD-Klientel und fängt damit an, die Schwächen des Sozialstaats anzuprangern: "Vor genau 10 Jahren habe ich meine erste Rede als FDP-Generalsekretär gehalten (er meint die erste Rede beim Dreikönigstreffen, Anm. d. Red.). Ich habe über eine alleinerziehende Mutter berichtet, die bei Mehrarbeit am Ende des Monats weniger Geld in der Tasche hätte. Daran hat sich in den letzten Jahren nichts geändert". Damit ist die Tonlage gesetzt.

Es geht Lindner jetzt um die SPD, es geht um die breiten Wählerschichten, die künftig alle FDP wählen sollen. Lindner spricht von einem Opel-Mitarbeiter, der in einer Sonntagszeitung zitiert wurde, mit dem Satz, er wähle "aus Protest AfD oder FDP". Damit umreißt er die zweite Gruppe, die nun FDP wählen soll: die Protest-Wähler, vor allem aus der Arbeiterschicht. Lindner kündigt an, kurz vor dem "Tag der Arbeit", am 30. April 2020 "vor die Werktore zu gehen", eine erneute Charmeoffensive in Richtung des ursprünglichen SPD-Wählermilieus.

Passend dazu deutet er ins Publikum und präsentiert "in unserer Mitte", ein neues Parteimitglied: Florian Gerster. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete war auch mal Arbeits- und Sozialminister in Rheinland-Pfalz. Ein besseres Beispiel konnte sich Lindner kaum aussuchen. Die Idee, die Partei auch für Wählerschichten jenseits der liberalen Stammklientel zu öffnen, ist nicht völlig neu. Lindners Parteifreund Johannes Vogel, der Generalsekretär der Partei in Nordrhein-Westfalen, hatte bereits vor dem Treffen signalisiert, dass sich die FDP wieder an größere Schichten wenden und vor allem enttäuschte SPD-Wähler für sich gewinnen solle.

Um das zu untermauern, erklärt Lindner den SPD-Wählern, was die neue Parteispitze aus seiner Sicht für einen Unfug mache: Er wettert gegen den neuen Vorschlag von Norbert Walter-Borjans einer Bodenwertzuwachssteuer, die Menschen belaste, die sich eine Wohnung gekauft haben. Die Neuverschuldung, die Walter-Borjans als Finanzminister in Nordrhein-Westfalen verursacht habe, habe später von einem FDP-Familienminister ausgeglichen werden müssen.

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Antworten auf alle Fragen

Christian Lindner spricht bei der Veranstaltung völlig frei, er ist ein begnadeter Rhetoriker. Wenn man ihm zuhört, glaubt man: Potzblitz, da hat einer Antworten auf alle Fragen, sogar auf die, die noch gar nicht gestellt sind. Doch in seine Reden baut er immer wieder Sätze ein, denen man anmerkt, dass er sie sich vorher zurechtgelegt hat. Einer dieser Sätze ist: "Wer von Schwarz-Grün heute träumt, wird mit Grün-Rot-Rot aufwachen", diesen Satz schleudert er mit viel Verve in der Stimme seinen Zuhörern auch im Stuttgarter Opernhaus entgegen. Lindner wiederholt diesen Satz seit Monaten, wie ein Mantra auf Bühnen und in Interviews. Einer der neueren Sätze von ihm ist: "In den Bäckereien gibt es jetzt Olaf-ToGo.", damit spielt Lindner auf die Bonpflicht in Geschäften an, die ab Anfang Januar 2020 gilt, ein Projekt des Finanzministers Olaf Scholz.

Hinter den eingeübten Sätzen steckt eine Taktik: Der Parteichef weiß, dass viele seiner Zuhörer aus dem Publikum bald auf diverse Neujahrsempfängen sein werden, Dutzende Landtags- und Bundestagsabgeordnete der FDP hören die Rede. Dort werden diese Sätze Verwendung finden, sie sind das rhetorische Besteck des Parteichefs, das er seinen Mitstreitern zur Verfügung stellt. Und die nehmen das schnell auf: Noch während der Rede twittern schon einige Bundestagsabgeordnete die Lindner-Zitate über ihre Accounts. Nur seine Schlussworte "Bleiben wir frei. Ein gutes neues Jahr!" gehen im lauten Applaus der Menge unter.

Wahlkampf von 2017 lässt sich 2021 nicht wiederholen

Beim Dreikönigstreffen strahlte damit wieder vor allem ein einziger parteiinterner König: Christian Lindner. Der weiß, dass ein Bundestagswahlkampf wie 2017, der komplett auf ihn zugeschnitten war, sich 2021 nur schwer wiederholen lässt. Und obwohl der Parteichef stets versichert, dass es neben ihm durchaus prominente Köpfe geben solle, sind mittlerweile über zwei Jahre, in denen die Partei im Bundestag sitzt, vergangen – und trotzdem gibt es abgesehen von Lindner kaum prominente Figuren in der ersten Reihe. Das brauche eben alles Zeit, findet der Parteivorsitzende.

Doch 2020 könnte das letzte Jahr sein, indem sich vor dem danach anstehenden Bundestagswahlkampf noch glaubwürdig weitere prominente Figuren aufbauen lassen. Aus dem Führungszirkel der FDP klagt einer, der sich jedoch nicht namentlich zitieren lassen will: "Unser strukturelles Problem ist, dass beispielsweise die Grünen aktuell auf einem Posten von Lindner vier Leute haben: zwei Fraktionsvorsitzende, zwei Parteivorsitzende, bei uns macht das alles eine Person." Ob Lindner es wirklich ernst meint damit, dass er weitere prominente Figuren neben sich dulde, mit denen er mehr als fünf Minuten Redezeit auf einem Dreikönigstreffen teilt, das werde das Jahr 2020 zeigen.

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