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FDP-Chef Christian Lindner: "Generation Unter-50-Jährigen wird bitteren Preis zahlen"


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FDP-Chef Christian Lindner
"Die Generation der unter 50-Jährigen wird einen bitteren Preis zahlen"

InterviewVon Tim Kummert und Stefan Rook

Aktualisiert am 15.12.2019Lesedauer: 6 Min.
Christian Lindner in der t-online.de-Redaktion: "Union und SPD laufen oft den Grünen nach."Vergrößern des Bildes
Christian Lindner in der t-online.de-Redaktion: "Union und SPD laufen oft den Grünen nach." (Quelle: Urban Zintel für t-online.de)
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Grüne und AfD liegen in der Wählergunst aktuell vor den Liberalen. Im Gespräch erklärt FDP-Chef Christian Lindner, wie die FDP aufholen will und was vor allem die Grünen seiner Ansicht nach falsch machen.

Seit der letzten Bundestagswahl haben CDU und SPD deutliche Einbußen bei der Zustimmung in der Bevölkerung erlitten: Doch von der Krise der Volksparteien profitieren vor allem die Grünen und die AfD, die FDP stagniert in den Umfragen: Die Werte der Partei liegen konstant bei knapp unter zehn Prozent. Der Vorsitzende der Liberalen, Christian Lindner, glaubt trotzdem daran, dass seine Partei in der Mitte künftig viele Menschen für sich begeistern könnte.

Im Interview mit t-online.de erklärt der FDP-Chef, welche Fehler bei der Bewältigung der Klimakrise gemacht werden, wo die Schwachpunkte der großen Koalition liegen – und warum ein Facharbeiter aus der Metallindustrie künftig die FDP wählen sollte.

t-online.de: Herr Lindner, 2017 ließen Sie eine geplante Jamaika-Koalition platzen, weil Sie behaupteten, Sie könnten zu wenig liberale Standpunkte dabei durchsetzen. Nun brauchen Ihre ehemaligen Koalitionspartner Sie gar nicht mehr, eine schwarz-grüne Koalition hätte aktuell auch ohne die FDP eine Mehrheit. Haben Sie sich also verzockt?

Christian Lindner: Es geht nicht um Zocken, sondern um den richtigen Weg für das Land. Und da steht uns ein Wahlkampf mit inhaltlicher Klärung erst noch bevor. Wer von Schwarz-Grün träumt, wird wie in Bremen mit Grün-Rot-Rot aufwachen. In dieser Auseinandersetzung werden wir Freie Demokraten gebraucht.

Wofür?

Die individuelle Freiheit schmilzt wie Eis in der Sonne. Es gibt viele Beispiele dafür: Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ist der Ansicht, man könne nicht mehr frei seine Meinung äußern, ohne schief angeschaut zu werden. In Berlin wird offen über eine Enteignung von Privateigentum gesprochen. Der Staat greift mit Steuern, Subventionen und Verboten immer stärker in das Leben ein.

Die mächtigen Digitalkonzerne können zugleich nach ihrem Gutdünken die Privatheit einschränken. Es braucht eine Kraft, die noch daran glaubt, dass der einzelne Mensch der beste Entscheider ist, wenn es um das eigene Leben geht.

Trotzdem stagniert die selbsternannte Freiheitspartei FDP in den Umfragen zwischen 8 und 9 Prozent.

Ja, wir sind eine stabile Größe. Und ja, manche unterschätzen noch den antiliberalen Trend. Tatsächlich sehe ich auch weiteres Potenzial in der Mitte der Gesellschaft. Nehmen Sie beispielsweise nur den qualifizierten und erfahrenen Facharbeiter in der Metallindustrie: Von einem SPD-Finanzminister wird er mit dem Spitzensteuersatz plus Solidaritätszuschlag belegt.

Er zahlt so viele Steuern und Sozialabgaben, dass das abbezahlte, eigene Haus für viele nur noch ein Traum ist. Dieser Facharbeiter fährt mit seinem Dieselauto über schlechte Straßen, muss seine Kinder auf marode Schulen schicken, ärgert sich über unkontrollierte Migration und sein guter Arbeitsplatz geht womöglich verloren, weil Union und SPD Industriepolitik nach Art der Grünen machen…

….und dieser Facharbeiter soll künftig also die FDP wählen?

Wen sonst? Die Gewerkschaften sagen uns, dass viele ihrer Mitglieder im Moment leider Richtung AfD wegdriften. Diesen Menschen mache ich lieber ein Angebot bei der FDP.

Da müssen Sie ja noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten: Bei den Landtagswahlen im Sommer profitierten von der Krise der CDU und SPD teilweise die Grünen, vor allem aber die AfD – die FDP nicht. Warum?

Wir sind seit zehn Jahren erstmals wieder in ein ostdeutsches Landesparlament eingezogen. Die Grünen haben, wie wir, fünf Abgeordnete im Landtag von Thüringen. Generell haben wir allerdings eine Herausforderung: In den Debatten kommen fast nur noch Eckpositionen vor. Der Klima-Absolutismus der Grünen beispielsweise ist eine Maxime, der diese Partei alles unterordnet.

Und andererseits erleben wir einen Klima-Zynismus bei der AfD, die den Klimawandel praktisch leugnet. Doch meine Vermutung ist: Die schweigende Mehrheit im Land will keine Extreme, sondern einen vernünftigen Weg der Mitte, um die Probleme zu lösen.

International hat die Freiheit keine Hochkonjunktur. Rechtspopulisten erzielen in vielen Ländern gute Wahlergebnisse und deren wichtigste Forderung ist oft: Ländergrenzen dichtmachen.

Das stimmt, das sind vielfältige Angriffe auf die Liberalität. Auch bei uns gibt es mit der AfD eine Partei, die die EU am liebsten zerstören würde. Das kann nicht die Lösung sein. Auf der anderen Seite darf sich auch Europa selbst nicht abschotten. Beim Klima zum Beispiel sehe ich uns auf einem gefährlichen Sonderweg.

Die EU-Flottengrenzwerte bevorteilen einseitig die Elektromobilität gegenüber anderen Alternativen wie Wasserstoff. Länder wie China verabschieden sich gerade wieder von der Fixierung nur auf Elektromobilität und setzen zum Beispiel auf den klimafreundlichen Verbrennungsmotor. Wir zerstören diese Technologie und das entsprechende Know-how gerade. Das wirft uns wirtschaftlich zurück.

Also haben die Grünen einfach das Momentum auf ihrer Seite, weil das Thema Klimakrise gerade so populär ist?

Mich interessieren eigentlich mehr die Sachfragen als die Situation anderer Parteien. Wir sind für Technologieoffenheit und internationale Zusammenarbeit beim Klima, die Grünen für Verbote im nationalen Rahmen. Wir wollen schnell und günstig neue Wohnungen bauen, die Grünen sind gegen Einfamilienhäuser und wollen enteignen. Wir wollen weniger Steuern und Bürokratie, die Grünen mehr Staat.

Für uns ist Bildung die soziale Frage, für die Grünen das bedingungslose Grundeinkommen auch für die, die angebotene Arbeit und Bildungschancen ablehnen. Wir sind ein freies Land, da kann sich jeder entscheiden. Bedauerlich ist nur, dass Union und SPD in der Groko oft den Grünen nachlaufen. Wir nicht.

Was ärgert Sie an der Arbeit der großen Koalition denn?

Viele langfristige Fragen werden nicht angegangen: Der Generationenvertrag wird bei der Grundrente durchkreuzt, die Generation der unter 50-Jährigen wird einen bitteren Preis zahlen. Es ist nicht das Geld von Frau Merkel und Herrn Scholz, das da munter rausgehauen wird. Es ist das Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger.

Und viele von ihnen werden bald merken, dass immer mehr in die Rentenkasse einzahlen und immer weniger rausbekommen. Der Spielraum zur privaten Vorsorge fehlt. Jetzt wird sogar noch das Sparen in Aktien mit einer Steuer belegt, als ob der Kleinanleger in ETF-Fonds die Finanzmärkte destabilisiert hätte. Und bei der Rettung des Klimas wird das Unwirksame mit dem Teuren verbunden, auch das wird sich rächen.

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Haben Sie dafür ein Beispiel?

Es gibt insgesamt zu viele Regulierungen, zu wenige Anreize für die einzelnen Bürger, selbst etwas zu tun. Wir schlagen ein einziges großes Verbot vor – ein CO2-Limit, das entsprechend der Pariser Ziele immer weiter reduziert wird. Für CO2 wird sich dann am Markt ein Preis bilden – damit wird es attraktiv, in klimafreundliche Technologien zu investieren.

Die damalige Generalsekretärin der Partei, Nicola Beer, hat dieses Jahr gesagt, über die Jahrhunderte betrachtet, wäre die Brisanz der Klimakrise nicht so groß. Sie selbst haben mit Ihrem Spruch, Klimaschutz möge man doch den "Profis" überlassen, viel Kritik auf sich gezogen. Wundert es Sie da ernsthaft, dass Sie in den Umfragen nicht zulegen können?

Aus Ihrer Frage spricht Einseitigkeit. Das zeigt sich auch daran, dass Sie in Ihrer Berichterstattung durchgehend das Wort "Klimakrise" verwenden statt wie andere von Klimapolitik zu sprechen...

…jahrzehntelang wurde über den "Klimawandel" gesprochen und die Politik handelte kaum. Die letzten Jahre waren die wärmsten, die je gemessen wurden, der Meeresspiegel steigt ständig. Deshalb sprechen wir von einer Klimakrise.

Außerhalb von Berlin fragen sich viele Menschen, ob es nicht noch andere Themen außer dem Klimathema gibt. Wie werden wir zukünftig unseren Wohlstand behaupten? Wie können die vielen sozialen und ökologischen Ziele finanziert werden? Unsere Position ist ganz klar: Wir sind für Klimarationalismus. Wir wollen die Erderwärmung mit kühlem Kopf statt Panik und mit Technologie statt Ideologie bekämpfen.

Aber Sie sind dabei gegen Verbote?

Ich bin gegen unnötige Verbote. Wir müssen uns auf den Weg des guten Wirtschaftens begeben. Es wurden seit 2005 von der Bundesregierung 300 Milliarden Euro Steuergeld zur Subvention der Energiepolitik verpulvert. Und was ist das Ergebnis? Deutschland hat die höchsten Energiepreise in Europa, die auch von Rentnern und Bafög-Empfängern bezahlt werden müssen. Wir müssen uns jetzt in Ruhe überlegen, mit welchen verschiedenen Wegen wir dieses Problem lösen.

Bleibt dafür noch genug Zeit?

Wir müssen jetzt anfangen, aber nicht morgen fertig sein. Ich schätze Klimaforscher wie Herrn von Storch, der zu Besonnenheit aufruft. Ich plädiere für Vernunft und Augenmaß statt Katastrophenrhetorik. Wenn eine Frau wie die Aktivistin Carola Rackete erklärt, sie wolle die parlamentarische Demokratie durch Ökoräte ersetzen, dann widerspreche ich ihr aufs Schärfste.

Das ist ein Angriff auf unser Gesellschaftsmodell. Selbst die Gemäßigteren dieser Bewegung haben merkwürdige Ideen: wie beispielsweise Luisa Neubauer von Fridays for Future, die ein "Ende des gewinnbasierten Wirtschaftens" fordert. Als ob Länder mit Planwirtschaft wie die DDR, Venezuela oder die Sowjetunion sich sonderlich ökologisch verhalten hätten. Und leider muss man oft Doppelmoral beobachten.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Ich sehe auf Instagram zu oft flammende Appelle für das Klima und Aufrufe zum Klimastreik neben Bildern vom Surfen in Asien. Wir müssen Reden und Handeln zusammen bringen. Jeder Klimaschützer soll ohne schlechtes Gewissen überall auf der Welt surfen können, indem wir die Flugzeuge zukünftig mit synthetischem, klimaneutralem Kerosin betanken. Und das können wir in Afrika oder Südeuropa mit Sonnenenergie produzieren. Wir sollten wieder groß denken.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Christian Lindner
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