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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Markus Söder "Die AfD ist die neue NPD"
CSU-Chef Markus Söder gilt als unangefochten in seiner Partei. Im Interview erklärt er, was er und Horst Seehofer gelernt haben – und was er vom anstehenden CDU-Parteitag erwartet.
Der Weg zu Markus Söder führt über die "Himmelsleiter". So heißt die Treppe ins oberste Geschoss der bayerischen Staatskanzlei. Hier erstrahlt das landestypische Selbstverständnis: Ein goldener Löwe, eine Landesflagge aus schwerem Stoff, Prunk an der Wand; die Aussicht durch die Fenster der Orangerie geht entlang der gelben Fassade der barocken Theatinerkirche – und darüber hinweg.
Diese beeindruckende Kulisse ist das Konferenzzimmer von Markus Söder. Der Ministerpräsident kommt, etwas verspätet, in den Raum und schweigt ein paar Sekunden. Söder genießt es, seine blanke Anwesenheit erst einmal wirken zu lassen, so scheint es.
In einer Zeit, in der vieles in der Weltpolitik ins Wanken gerät, weiß Söder um seine Macht: Er ist Ministerpräsident, Landesvater, Parteichef. Während die CDU nicht aus ihren Personaldebatten herauskommt, die SPD seit Monaten nach Führung sucht, ist Söder die Konstante in der Regierungskoalition.
Im Interview mit t-online.de erklärt er, was er vom CDU-Parteitag erwartet, warum die AfD "die neue NPD" sei und ob es bald zu einem Duell der Union mit den Grünen kommt.
t-online.de: Bei Ihren öffentlichen Auftritten ist Ihr rollendes, fränkisches "R" kaum noch zu hören. Trainieren Sie Ihr Hochdeutsch, damit Sie nicht nur als bayerischer Politiker wahrgenommen werden bei einer Kanzlerkandidatur?
Nein. Im Bierzelt spreche ich mehr Dialekt. Dafür in einer Talkshow zu einem viel größeren Publikum mehr Hochdeutsch. Wobei wir Bayern und Franken unsere Sprachfärbung immer behalten. Ich versuche als Ministerpräsident und Parteivorsitzender mitzuhelfen, dass die Union insgesamt stabil bleibt. In dieser Rolle fühle ich mich gut aufgehoben, und nicht als Kanzlerkandidat.
Die Parteispitze der CDU wirkt aber nicht sonderlich stabil. Bräuchte es nicht eine klare Führung in politisch unruhigen Zeiten?
Zunächst muss man sehen, dass sich die Welt gerade grundlegend verändert: Alte Gewissheiten werden neu sortiert, außenpolitische Freundschaften hinterfragt und man spürt, dass der demokratische Boden durch die AfD ins Wanken geraten ist…
… und in dieser Situation wird in der CDU die Eignung von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer als Kanzlerkandidatin angezweifelt, zudem hat Friedrich Merz wohl immer noch Ambitionen auf den Parteivorsitz.
Es ist normal, dass es auch Fragen nach der Strategie und dem richtigen politischen Personal für die Zukunft gibt. Und dass diese zum richtigen Zeitpunkt geklärt werden müssen und nicht auf offener Bühne am Parteitag.
Was erwarten Sie dann vom CDU-Parteitag an diesem Wochenende?
Ich hoffe, dass keine Personaldebatten geführt werden. Es sollte der CDU in Leipzig vielmehr darum gehen, ein Signal an die Wähler zu senden, dass die Partei eine stabile Kraft ist. Wenn das gelingt, wäre schon viel geschafft, denn eine politische Streittruppe findet keine Akzeptanz.
Horst Seehofer hat sich im Sommer 2018 als eine Art – um Ihren Begriff zu verwenden – persönliche, unionsinterne "Streittruppe" in der Flüchtlingsdebatte aufgeführt. Er wollte unter anderem Flüchtlinge an der Grenze abweisen, um ein Haar wäre deshalb die große Koalition geplatzt.
Der Streit hat uns nichts gebracht.
Aktuell ist es um die CSU im Vergleich dazu erstaunlich ruhig geworden.
Wir haben aus dem Sommer vergangenen Jahres gelernt. Streit innerhalb der Union bringt nichts. Das wird von den Wählern nicht goutiert.
Wird sich so eine Auseinandersetzung wiederholen?
Nein.
Wir sind gespannt. Und zweitens?
Zudem haben wir gelernt, dass es nicht so einfach ist, Wähler von der AfD zurückzugewinnen. Es ist wichtig, die konservative Seite unserer Parteien zu betonen. Das ist die DNA der Union. Doch wer den Fehler macht, sich bei den Populisten anzubiedern, der wird erleben, dass er diese nicht überbieten kann. Viele heutige AfD-Wähler haben sich nicht nur von anderen Parteien abgewandt, sondern grundsätzlich von der Demokratie.
Die dritte Erkenntnis, wie lautete die?
Meine Erkenntnis ist, dass Inhalt und Stil in einer bürgerlichen Partei zusammenpassen müssen. Stabilität ist wichtiger als übertriebenes Eigenprofil. Es geht nicht darum, immer möglichst seine Position durchzuboxen, sondern politisch seriös zu arbeiten.
Der einzige, der aktuell für Unruhe in Ihrer Partei sorgt, ist Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer: Er wollte offenbar mit dubiosen Hinterzimmer-Deals die PKW-Maut durchsetzen. Wie lange wollen Sie ihn eigentlich noch verteidigen?
Ihre Wertung in der Frage teile ich so nicht. Die eigentliche Überraschung bei der Maut war die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs entgegen den Beschlüssen von EU-Kommission, Bundesregierung, Bundestag und des Generalanwalts. Aber damit müssen wir jetzt leben. Ich finde es richtig, dass jetzt bald der Untersuchungsausschuss in Berlin arbeitet, um alle Fragen umfassend zu klären. Andreas Scheuer hat unser vollstes Vertrauen.
In der CDU gibt es einen mal offenen, mal verdeckten Streit um die Parteiführung, die SPD hat aktuell gar keinen Vorsitzenden. Sind Sie nicht beunruhigt, wenn Sie sich Ihre Koalitionspartner anschauen?
Na, so neu ist das alles nicht: Die CDU hat sowohl in der Schlussphase von Helmut Kohl als auch bei Konrad Adenauer den eigenen Kurs hinterfragt. Das ist ganz normal. In der CSU war das ähnlich. Das sind normale innerparteiliche Prozesse. Und zur SPD: Denken Sie mal an Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner – die haben sich auch nichts geschenkt! Dagegen ist der aktuelle Kandidatenwahl-Prozess harmlos. Demokratie lebt nun einmal vom Wechsel und der Hoffnung auf die Zukunft. Manche tun sich schwer damit zu akzeptieren, dass sich die Welt ändert und es ein 'Zurück in die heimeligen 70er-Jahre' nicht geben wird.
AfD und Grüne profitieren von dem Verlust bei Union und SPD. Die AfD spricht mit bürgerlichen Positionen wie denen von Herrn Meuthen konservative Wähler an, hat aber auch Rechtsnationalisten wie Björn Höcke in ihren Reihen. Die Grünen werden dafür vom Bio-Bauern vom bayerischen Land genauso wie vom Hipster in Berlin-Neukölln gewählt. Ist inhaltliche Beliebigkeit das neue Erfolgsrezept für Parteien?
Nun mal langsam. In allen Umfragen liegt die Union klar vorne und in Bayern ist die CSU sogar mit weitem Abstand stärkste Kraft. Volksparteien müssen offen sein für unterschiedliche Gruppen und Milieus. Für alle gilt aber: Menschen wollen Freiheit und Sicherheit bei einer Partei sehen. Wir müssen Kreativität ermöglichen, gleichzeitig aber für eine stabile staatliche Ordnung einstehen.
Aber mit wem wollen Sie denn künftig im Bund als Union koalieren?
Koalitionen mit der SPD sind nicht einfach, aber es lohnt sich nach Lösungen zu suchen. Das braucht Geduld, vor allem wenn die Partner sehr unterschiedlich sind. Deshalb ist es in Bayern am besten, mit einem bürgerlichen Partner zu koalieren. Hier ist das Maß an gemeinsamen Überzeugungen hoch.
Koalieren Sie dann bei der nächsten Wahl mit der AfD?
Auf gar keinen Fall! Die AfD hat sich weit vom demokratischen Spektrum entfernt. Sie ist nicht eine bessere Union und sie ist nicht bürgerlich, sondern die neue NPD. Wenn beim Gedenken an den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im bayerischen Landtag ein AfD-Abgeordneter das Totengedenken bewusst verweigert, ist das unerträglich. Oder wenn selbst etliche AfD-Abgeordnete nicht in der Lage sind, zu unterscheiden, ob ein Text von Björn Höcke oder aus "Mein Kampf" stammt. Hinzu kommt, dass die AfD kein einziges politisches Konzept hat: Das einzige Ziel ist es, Deutschland instabiler zu machen.
Dann bleiben fast nur die Grünen übrig für ein Regierungsbündnis mit der Union.
Nach aktuellen Umfragen wollen 65 Prozent der Grünen-Anhänger eine linke Regierung und 65 Prozent der Unionswähler eher eine bürgerlich-konservative Regierung. Da haben Sie bereits einen ersten Dissens. Die Grünen haben durchaus kluge Leute – aber auf ihrem letzten Parteitag haben sie zwar eine gute Stimmung erzeugt, aber ein rückständiges linkes Programm beschlossen. Das führt weg von der Union. Diese Agenda ist nicht koalitionsfähig.
Dennoch bewundern auch viele Unions-Politiker diese Partei: Dort gibt es keine Personaldebatten, keine größeren inhaltlichen Streitigkeiten. Kann die Union etwas von den Grünen lernen?
Mit den Grünen verbinden manche grundsätzlich ein Wohlgefühl, aber viel Neues finden wir da nicht. Es handelt sich eher um altbekannte Konzepte: höhere Steuern, höhere Energiepreise und neue Schulden. Das hat noch nie funktioniert. Aktuell schwächt sich die deutsche Konjunktur ab, und die Menschen werden sich daher mit ein paar wohlfeilen Sätzen von Robert Habeck kaum gerüstet für die Zukunft sehen. Philosophische Weisheiten allein retten keine Arbeitsplätze.
Aber die Grünen sind schon der Hauptgegner der Union?
Gegenfrage: Wer steht denn wohl im nächsten TV-Duell für die kommende Bundestagswahl dem Kanzlerkandidaten der Union gegenüber?
Klären Sie uns auf.
Na, ich glaube nicht, dass dies Olaf Scholz oder Norbert Walter-Borjans sein wird – bei den aktuellen Umfragewerten der SPD. Wahrscheinlich werden wir eher eine Grüne oder einen Grünen im TV-Studio sehen! Wir als Union wollen aber die klare Nummer eins bei den Wählern sein. Der Führungsanspruch liegt bei der Union. Daher ist es falsch, über Koalitionen zu spekulieren.
Warum?
Die Grünen sind wieder eine reine Verbotspartei geworden. Sie wollen keine neuen Bundesstraßen bauen, erklären das Auto zum Feind oder wollen Ölheizungen sofort verbieten. Es gibt Gegenden in Deutschland, die können derzeit gar nicht anders versorgt werden. Wenn man dort wohnt und die Ölheizung geht kaputt – wie wollen Sie denn dann heizen? Frieren die Menschen dann oder gehen mit der Säge in den Wald und holen Brennholz? Es ist leider Vieles übertrieben. Aber bei solchen Beschlüssen merkt man den ökosozialistischen Flügel der Partei.
Sie sind ja richtig entrüstet.
Ich finde es einfach schade und teilweise weltfremd! Mich stört auch die Doppelmoral: Wir als CSU werden von vielen Grünen auf Bundesebene dafür kritisiert, dass wir bei Windrädern Abstand halten. Dabei fordert beispielsweise der Landesverband der Brandenburger Grünen selbst sogar 1.000 Meter Abstand zum nächsten Windrad. Das ist nicht ehrlich.
Die Regelung mit den 1.000 Metern Abstand sorgt dafür, dass in Bayern kaum noch Windräder gebaut werden können. Und das wiederum kommt bei vielen Menschen in der Bevölkerung gut an, die Windräder nicht direkt vor ihren Dörfern und Städten stehen haben wollen – es freut Sie sicher, dass Sie das gesetzlich durchsetzen konnten?
Wir Bayern können nichts dafür, dass unser Bundesland nicht am Meer liegt. In den Küstenregionen weht einfach wegen der Thermodynamik mehr Wind. Wir sind Sonnenland. Daher setzen wir in Bayern auf den Ausbau der Sonnenenergie. Hier sind wir führend in Deutschland. Wind für die Küste, Sonne für Bayern. Die Energiewende funktioniert im Übrigen nur im Einklang mit der Bevölkerung, nicht gegen sie.
Ihnen ist die Rettung des Klimas aber schon wichtig?
Selbstverständlich. Wir in Bayern haben ehrgeizigere Klimaziele als der Bund. Wir wollen 2040+ klimaneutral sein. Wir sind heute bereits deutlich unter dem Bundesdurchschnitt beim CO2-Verbrauch pro Kopf. Wir pflanzen Bäume, renaturieren Moore und betreiben Gewässerschutz. Aber es braucht auch Innovationen, zum Beispiel beim Auto. Viele bekämpfen die heimische Autoindustrie, die tausende Arbeitsplätze sichert. Wir wollen über Clean Tech moderne saubere Antriebe. Denn Deutschland soll auch in Zukunft Autoland bleiben.
Lösungen bräuchte es auch in der Klimakrise – doch wirklich zugetraut wird der aktuellen Regierung das nicht, das zeigt sich auch an dem großen Protest nach der Verabschiedung Ihres Klimapakets…
Das Klimapaket ist nicht radikal, sondern solide. Durch den Emissionshandel haben wir die echte Chance auf CO2-Reduktion. Das ist auch international kompatibel. Der Emissionshandel ist effektiver als hohe Energiesteuern. Denn die haben wir ja schon. Den CO2-Ausstoß hat das nicht gesenkt.
Sie wollen das Paket wieder auf den Prüfstand stellen?
Natürlich müssen wir in einiger Zeit nachschauen, welche Maßnahmen wirksam waren, und welche nicht. Wichtig ist, dass wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht verlieren. Wir brauchen einen sachlichen Diskurs ohne Polemik, und es soll Schluss sein mit den ideologischen Glaubenskriegen in der Klimadebatte.
Herr Söder, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Markus Söder in München