Merkel-Interview heizt Spekulationen an Wechselt die Bundeskanzlerin bald nach Brüssel?
In einem Interview hat die Kanzlerin sich zu verschiedenen großen politischen Themen geäußert: Darin erklärte sie ihr Verhältnis zum französischen Präsidenten – und sagte, warum sie sich Sorgen um Europa macht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eineinhalb Wochen vor der Europawahl angekündigt, sich mit noch größerem Einsatz als bisher für die Zukunft Europas einzusetzen. "Viele machen sich Sorgen um Europa, auch ich", sagte Merkel der "Süddeutschen Zeitung" (SZ).
"Daraus entsteht bei mir ein noch einmal gesteigertes Gefühl der Verantwortung, mich gemeinsam mit anderen um das Schicksal dieses Europas zu kümmern." Zugleich beschwor Merkel ihr gutes Verhältnis zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron – trotz offensichtlicher Differenzen. Den Vorwurf, sie sei in der Europapolitik eine Bremserin, wies sie zurück.
Merkel könnte für ein EU-Amt kandidieren
Merkel dürfte mit ihren Interview-Äußerungen Spekulationen über einen möglichen Wechsel nach Europa im Falle einer vorgezogenen Neuwahl in Deutschland Schwung geben. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte im April deutlich gemacht, dass er es für denkbar hält, dass Merkel nach ihrer Zeit als Kanzlerin eine Rolle auf europäischer Ebene übernimmt.
In den Spekulationen wird Merkel meist als mögliche Nachfolgerin von EU-Ratspräsident Donald Tusk ins Spiel gebracht – auf dem Posten könnte sie als Vermittlerin ihre große Erfahrung einbringen.
"Deutschland ist kein Koloss"
"Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Angela Merkel in der Versenkung verschwindet", sagte er damals der Funke Mediengruppe. "Sie ist nicht nur eine Respektperson, sondern ein liebenswertes Gesamtkunstwerk." Mit Blick auf ein mögliches EU-Amt fügte er hinzu: "Hochqualifiziert wäre sie."
Die Kanzlerin äußerte sich in dem SZ-Interview zudem zur Rolle Deutschlands in Europa und sagte: "Deutschland ist kein Koloss. In Europa hat jedes Land eine Stimme. Wir setzen uns für mehr Konvergenz ein, also für die Angleichung der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse."
"Ein Zeichen des Vertrauens"
Zudem hat Merkel Meinungsverschiedenheiten mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eingeräumt, sieht ihr Verhältnis zu ihm aber unbelastet. "Gewiss, wir ringen miteinander. Es gibt Mentalitätsunterschiede zwischen uns sowie Unterschiede im Rollenverständnis", sagte Merkel in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Das sei schon mit früheren Präsidenten so gewesen. Trotzdem stimmten Deutschland und Frankreich "in den großen Linien natürlich" überein und fänden stets Kompromisse.
"So leisten wir viel für Europa, auch heute", sagte die Kanzlerin. Als Beispiel nannte sie "enorme Fortschritte" in der Verteidigungspolitik. "Wir haben beschlossen, zusammen ein Kampfflugzeug und einen Panzer zu entwickeln", sagte Merkel. Es sei "ein großes gegenseitiges Kompliment und ein Zeichen des Vertrauens, wenn man sich in der Verteidigungspolitik stärker aufeinander verlässt".
Die Kanzlerin verwies zudem auf Unterschiede in den Ämtern und politischen Kulturen: "Ich bin die Bundeskanzlerin einer Koalitionsregierung und dem Parlament viel stärker verpflichtet als der französische Präsident, der die Nationalversammlung überhaupt nicht betreten darf."
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Zudem wurde die Kanzlerin in dem Interview auf den wachsenden Populismus in Europa angesprochen. Darauf antwortete Merkel: "Dies ist tatsächlich eine Zeit, in der wir für unsere Prinzipien und fundamentalen Werte kämpfen müssen. Es entscheidet sich im Kreis der Staats- und Regierungschefs, wie weit man den Populismus treiben will – oder ob am Ende doch der Wille zur gemeinsamen Verantwortung vorhanden ist."
- Nachrichtenagentur AFP
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