Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Ellwangen 2.0 Deutsche Täter, nicht so schlimm?
Als Flüchtlinge in Ellwangen die Polizei angingen, verurteilte der Innenminister
Als vor einigen Tagen Flüchtlinge im baden-württembergischen Ellwangen die Polizei an einer Abschiebung hinderten, als sie Berichten zufolge ein Polizeiauto umringten und mit den Händen auf den Wagen schlugen, sagte Innenminister Horst Seehofer: "Das ist ein Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung."
Jetzt, da an Christi Himmelfahrt Menschen im niedersächsischen Ganderkesee randalierten und die Polizei bepöbelten, mit Flaschen bewarfen und die Heckscheibe eines Polizeiautos zerstörten, sagte Innenminister Horst Seehofer: nichts. „Bundesminister Seehofer wird keine Stellungnahme im Sinne ihrer Anfrage abgeben“, teilt die Pressestelle des Ministeriums knapp mit.
Dabei ähneln sich die Informationen, die zum Zeitpunkt der Anfragen an das Ministerium bekannt waren, frappierend. In beiden Fällen ergab sich das Bild: Die Polizei hatte sich offenbar einer größeren Gruppe gegenüber gesehen, die vor allem aus Männern bestand. Die offenbar ablehnend bis aggressiv auf die Polizei reagiert hatte. In beiden Fällen hatte sie offenbar die Polizei bei ihrer Arbeit behindert.
Doch die Reaktion fiel extrem unterschiedlich aus.
Seehofers Zitat wurde zur Eilmeldung
Ellwangen wurde zum großen Thema in allen Medien. Seehofers Zitat mit dem "Schlag ins Gesicht" schickten Redaktionen als Eilmeldung auf die Smartphones der Leser, auch t-online.de. Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und der Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) sagten, man dulde "keine rechtsfreien Räume". Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (CSU) sagte gar, der Rechtsstaat sei in Gefahr.
Über Ganderkesee berichteten am Abend nach dem Vorfall gerade einmal einige Regionalmedien, einige Twitter-Nutzer, auch Journalisten, wiesen auf die Diskrepanz in den Reaktionen hin. In überregionalen Medien spielt es bisher keine Rolle. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius kritisierte die Angriffe auf die Polizei, ohne den Fall zu überhöhen.
Das war die richtige Reaktion.
Und sie macht deutlich, wie überzogen und grell die Wortmeldungen nach dem Vorfall in Ellwangen waren.
Der Rechtsstaat war nicht in Gefahr
Die Polizei muss ihre Arbeit machen können, ohne Frage. Wenn sie angegriffen wird, müssen Justiz und Ermittlungsbehörden dagegen vorgehen. Aber einzelne Angriffe bei einzelnen Einsätzen bringen nicht den Rechtsstaat ins Wanken. Das schaffen nur staatliche Organe, die sich nicht ans Recht halten.
Dass das nach Ellwangen trotzdem behauptet wurde, zeigt, wie sehr die Diskussion über Flüchtlinge Maß und Ziel verloren hat. Es zeigt, wie leicht sich Politiker und Journalisten bei bestimmten Themen treiben lassen: Zu groß ist die Angst, der Vertuschung verdächtigt zu werden; zu groß das vermutete und reale Interesse der Leser; zu erfolgreich ist die AfD damit, durch Empörung den Medien Themen aufzuzwingen; zu willig die Union, durch Härte gegenüber Flüchtlingen die eigene Position als rechte Hausmacht zu behaupten.
Ohne, dass ein einzelner dafür verantwortlich ist, wirkt ein Netz von Beobachtern und Akteuren, die auf Reaktionen reagieren und Reaktionen im Voraus annehmen. Auch darauf reagieren sie. Wenn genügend reagieren, begründet das neue Reaktionen. So geht es fort. Auch wenn einige CSU-Spitzenpolitiker durch bemerkenswerte Eskalationsbereitschaft auffallen, gibt es in solchen Fällen meist keine einzelnen Verursacher, sondern ein Wirkungsnetz.
Was nichts am Befund ändert, dass sich ein solches Netz nicht zu allen Anlässen in gleicher Weise herausbildet.
Ähnliches wird nicht ähnlich behandelt
Offensichtlich spielt es eine Rolle, wer die Polizei behindert und was der Anlass für deren Einsatz ist. Man weiß wenig über den Fall in Ganderkesee, so wie man anfangs wenig über den Vorfall in Ellwangen wusste. Die zuständige Polizei gibt derzeit keine weiteren Informationen heraus. Aber erste Videos zeigen vor allem weiße Menschen; das Schlagwort "Männertagsparty" klingt urdeutsch. Greifen der Vermutung nach weiße Deutsche die Polizei an, löst das weniger Reaktionen aus, als wenn es schwarze afrikanische Flüchtlinge tun.
So wie ein Anschlag mit einem Auto Menschen weniger stark aufwühlt, wenn der Täter Jens heißt, weiß, deutsch und kein Islamist ist. Wie in Münster.
Die beiden so ähnlichen Fälle Ellwangen und Ganderkesee machen das abermals anschaulich und greifbar.
Man kann diese Diskrepanz rassistisch nennen und würde damit nicht falsch liegen; das heißt aber nicht, dass nur Rassisten Ähnliches unterschiedlich behandeln, wahrnehmen oder diskutieren. Oder dass das immer mit böser Absicht geschieht. Oder auch nur bewusst.
Es heißt aber, dass bestimmte Prozesse unterschiedlich verlaufen, je nachdem, wer handelt; dass Argumente, die vermeintlich neutral und allgemeingültig sind, viel mehr mit dem Kontext zu tun haben, als es scheint.