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Koalitionsvertrag fertig: Politikwechsel von Merz und Klingbeil?


Schwarz-Rote Koalition
Ist das jetzt der Politikwechsel?


Aktualisiert am 10.04.2025Lesedauer: 5 Min.
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Weißer Rauch: Union und SPD stellen am Nachmittag in Berlin ihre Ergebnisse vor. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)
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Der schwarz-rote Koalitionsvertrag liegt vor, er soll das Land "umfassend erneuern". Halten Merz und Klingbeil, was sie versprechen – und was kommt jetzt auf Deutschland zu?

Friedrich Merz lässt es noch einen Moment auf sich wirken. Seine Augen wandern durch die große Halle des Paul-Löbe-Hauses, in der sich so viele Menschen versammelt haben, wie schon lange nicht mehr. Grund dafür: Am Vormittag haben sich CDU, CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Parteivorsitzenden wollen die Ergebnisse nun in einer Pressekonferenz gemeinsam vorstellen.

Für die Parteispitzen ist es ein Aufatmen nach wochenlangen Verhandlungen und einer langen Liste von Knackpunkten. Merz weiß, wie groß der Druck war und ist. Auch von den eigenen Leuten. Nach plötzlichen Rekordschulden und einem für einige enttäuschendem Sondierungspapier hatten viele Christdemokraten darauf gepocht, der Koalitionsvertrag müsse nun eine klare "Unions-Handschrift" tragen. Sonst drohe der Politikwechsel auf der Strecke zu bleiben.

Aber Merz entscheidet sich an diesem Mittwoch für eine andere Botschaft. Er will zeigen, dass Kompromiss nicht so schlecht sein muss. Von dem Koalitionsvertrag gehe ein "starkes und klares Signal" aus, betont er deshalb in seinem Statement noch einmal. Die Mitte sei in der Lage, "die Probleme des Landes zu lösen", so der CDU-Chef. Dabei gehe es vor allem um das gute Vertrauensverhältnis zwischen den Regierungsparteien. Reicht das, um zufriedenzustellen?

Unter Druck: Ist das jetzt der Politikwechsel?

Während die Stimmung bei der CDU kurz vor der Vorstellung der Ergebnisse angespannt ist, ist sie bei den Sozialdemokraten durchwachsen – aber in der Tendenz positiv. Denn trotz ihrer historischen Wahlschlappe bei der Bundestagswahl hatte die SPD-Spitze bislang robust verhandelt. Ob Reform der Schuldenbremse oder das 500-Milliarden-Paket für Infrastruktur und Bildung: Die Genossen um Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil nutzten das Momentum nach der Wahl geschickt, um zwei Kernprojekte des SPD-Wahlkampfes durchzusetzen.

Die SPD galt zeitweise schon so sehr als klare Verhandlungs-Gewinnerin, dass selbst überzeugte Merz-Gegner in der SPD davon sprachen, der Union nun auch mal ein paar Erfolge zu gönnen. Viele ahnten dabei im Vorfeld, in welchen Bereichen die Genossen wohl Zugeständnisse werden machen müssen: bei Migration und Wirtschaft.

Aber haben sie das überhaupt? Wer hat sich am Ende durchgesetzt?

Was sagen die eigenen Leute?

Tatsächlich atmet der Koalitionsvertrag den Geist des Kompromisses. Beide Seiten mussten kleinere Zugeständnisse machen. Das räumten die Parteispitzen auf der Pressekonferenz entsprechend unumwunden ein. SPD-Chef Lars Klingbeil etwa nannte es eine Notwendigkeit, dass man sich von "liebgewonnenen Projekten verabschiedet" und "Gewissheiten hinterfragt". Ein Wink an die Parteimitglieder, sich hinter ihrer Führung einzureihen.

Aber was ist mit den größeren Knackpunkten? Auf den ersten Blick konnte sich hier in manchen Bereichen die Union mehr durchsetzen, in anderen die SPD. Wie sehr miteinander gerungen wurde, wird besonders beim Thema Migration und Integration sichtbar. Etwa konnte sich die Union bei der Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten durchsetzen und die sogenannte "Turboeinbürgerung" der Ampel abschaffen. Außerdem ist nun sowohl von "Begrenzung" als auch von "Steuerung" der irregulären Migration die Rede. Nicht zuletzt kommen pauschale Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Außengrenzen. Ein revolutionärer Schritt, wenngleich die SPD ihn mit dem Zusatz "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" etwas aufweichen konnte.

Ob und wie sehr die Zuwanderung mit den verhandelten Kompromissen jedoch langfristig begrenzt wird, bleibt offen. Denn gerade bei den Zurückweisungen ist nach wie vor unklar, inwiefern sie einer Klage standhalten würden. Am Ende ist die Frage also auch, was genau man unter der "Migrationswende" versteht und welche Rolle ein symbolischer Teil hier hat.

Bei Steuern und Finanzen sieht es nochmal anders aus: Das 500 Milliarden Euro schwere Infrastrukturpaket und die Reform der Schuldenbremse sind tatsächlich "Gamechanger": Sie geben der Koalition finanzpolitische Hebel in die Hand, die kaum eine Vorgängerregierung hatte. Doch die Mittel sind gebunden: für zusätzliche Investitionen in Infrastruktur, Klima und Verteidigung. Freiräume im Haushalt schaffen sie nicht.

Ein Ministerium mehr statt Staatsverschlankung

Und bei der Sanierung der Staatsfinanzen bleibt die Revolution aus, Schwarz-Rot plant hier maximal ein Reförmchen: Zwar konnte die Union höhere Steuern für Reiche und Spitzenverdiener verhindern, wie es die SPD forderte. Doch eine echte "Priorisierung" der Staatsausgaben fällt aus: Größere Einsparungen sind offenbar nicht geplant, das Rentenniveau wird auf 48 Prozent stabilisiert, eine dringend notwendige Strukturreform der Sozialversicherungen verschoben. Statt schmerzhafter Einschnitte wird es bei manchen Projekten einen "Finanzierungsvorbehalt" geben. Heißt: Der Streit um bestimmte Haushaltsposten wird auf später verschoben.

Auch beim Bürokratieabbau konnte sich die Union nicht entscheidend durchsetzen: Vor der Wahl versprach Merz, den Staatsapparat zu verschlanken und kündigte nun an, das Personal in den Ministerien in den nächsten vier Jahren um acht Prozent zu reduzieren. Zugleich schafft Schwarz-Rot mit dem Digitalministerium ein weiteres Ministerium und kommt auf insgesamt 17 Ressorts. Selbst die viel gescholtene Ampel kam mit 16 aus. Pikant: Von den 17 gehen allein sieben Ministerien an die SPD, trotz ihres 16-Prozent-Ergebnisses bei der Wahl. Ein klarer Verhandlungserfolg für die Genossen.

Was sagen die Parteien zu dem Koalitionspapier?

Am Ende zeigten sich sowohl die CDU- als auch die SPD-Spitze nach der Pressekonferenz am Mittwoch zufrieden. CDU-Generalsekretär Linnemann sprach von einem "wichtigen Signal". Man habe gute Erfolge erzielt, besonders in den Bereichen Wirtschaft und Migration. Nun gehe es darum, "ins Machen zu kommen". Denn der Vertrag sei erstmal nur ein Papier.

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sagte t-online zudem: "Wir bringen 500 Milliarden Euro auf den Weg für moderne Infrastruktur, senken Energiekosten für Unternehmen, sorgen für Tempo bei Planungen und Fachkräfteeinwanderung – und wir geben klare Impulse für Investitionen 'Made in Germany'." Miersch nannte das Finanzpaket eine Antwort auf Trumps "wirtschaftspolitische Irrfahrt", die "Wohlstand, Arbeitsplätze und Aufschwung" sichere.

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Auch in den Fraktionen zeigen sich die meisten zufrieden. Wobei einige in der CDU mit einem Augenzwinkern hinzufügen, man habe ja "mit dem Schlimmsten gerechnet". Dafür könne sich das Ergebnis nun sehen lassen.

Politikwechsel oder Ampel 2.0?

Bleibt die Frage: Ist das der "Politikwechsel", den die Union im Wahlkampf den Bürgern versprochen hatte? Das wird auf den ersten Blick in den Koalitionsvertrag nicht klar. So verspricht Schwarz-Rot zwar einige Neuerungen, etwa bei der Belebung der Konjunktur, der Migration, bei der inneren wie äußeren Sicherheit. Doch Skepsis ist angebracht: Ob die Verschärfungen in der Asylpolitik tatsächlich die Zuwanderung begrenzen, ist offen. Schien Merz vor der Wahl aufs Ganze gehen zu wollen, will er sich jetzt zunächst mit den EU-Nachbarn abstimmen. Gespräche, die, wie Merz auf der Pressekonferenz versicherte, bereits liefen.

Auch beim Bürokratieabbau und der Reform der Staatsfinanzen geht die Koalition eher kleine Schritte, statt den großen Wurf zu wagen. Vor allem die Tatsache, dass Merz und Klingbeil zahlreiche Projekte unter Finanzierungsvorbehalt stellen, deutet darauf hin, dass die Koalition längst nicht alle Konflikte ausräumen konnte. Mit anderen Worten: Schwarz-Rot startet mit einer selbst auferlegten Hypothek, die sie später einholen könnte. Denn es waren ungeklärte Finanzfragen, die bereits die Vorgängerregierung zu Fall brachten, von der man sich so gerne distanzieren würde. Merz und Klingbeil täten gut daran, die Streitpunkte schnell zu klären, wenn ihnen das Schicksal der Ampel erspart bleiben soll.

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