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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Grüne sagen Nein Damit hatte er nicht gerechnet

Eigentlich galt das Schuldenpaket, auf das sich Union und SPD geeinigt hatten, als sichere Sache. Bloß hat Friedrich Merz dabei die Grünen vergessen. Die könnten jetzt alles platzen lassen.
Es ist schon nach fünf vor 12 Uhr, als es im Bundestag zur Eskalation kommt. Die Grünen treten vor die Presse, es ist das ganz große Aufgebot: die Parteichefs Franziska Brantner und Felix Banaszak, die Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge. Mit der Kuppel des Reichstags im Rücken wollen sie Friedrich Merz die Botschaft übermitteln, die aus ihrer Sicht bei ihm noch immer nicht angekommen ist. Sie lautet: So nicht, Herr Merz.
Die Grünen wollen dem Milliardenpaket von Union und SPD nicht zustimmen. Zumindest diesem Milliardenpaket nicht. Union und SPD, so sagt es Katharina Dröge, wollten sich eine "Schatzkiste" anlegen, um teure Wahlgeschenke zu verteilen. Die beiden Koalitionäre in spe könnten sich zwar vornehmen, was sie wollten, die Grünen seien nicht Teil der Regierung. "Wenn sie aber unsere Zustimmung haben wollen für eine Grundgesetzänderung, dann messen wir das an den Fragen, die wir für richtig halten."
Es ist ein deutliches Nein, ein neuer Ton für die Grünen. Eine grundsätzliche Absage aber ist es nicht, das geht im Eifer der Eilmeldungen anfangs etwas unter. Die Grünen wollen endlich substanzielle Zugeständnisse. Nur wenn es die nicht gibt, dann sind sie sehr bereit, alles platzen zu lassen – das wollen sie mit diesem Auftritt ein für alle Mal klar machen.
Kompromisse mit den Grünen? Das hatte Merz sich anders gedacht
Die Union hat sich das eigentlich anders vorgestellt. Als am Montag nach der Bundestagswahl klar wird, dass künftig ohne AfD und Linke keine Zweidrittelmehrheit mehr möglich ist, sagt Friedrich Merz, dass bis zum 25. März auch der "alte" Bundestag noch Entscheidungen treffen könne. Gemeint ist die Idee, dass man über mögliche Vorschläge, wie eine Ausnahme von der Schuldenbremse oder ein Sondervermögen, noch vor der neuen Regierungsbildung abstimmen lässt. Denn mit SPD und Grünen hat Merz im alten Bundestag die notwendige Zweidrittelmehrheit. Und beide sind offen dafür.
Nur will die Union sich in der Frage zunächst mal mit der SPD, also dem künftigen Koalitionspartner, einig werden. Eine 19-köpfige Gesprächsrunde verhandelt also binnen weniger Tage ein Sondierungspapier. Darin einigt man sich, Verteidigungsausgaben, die ein Prozent der Wirtschaftsleistung überschreiten, von der Schuldenbremse auszunehmen. Außerdem soll ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Infrastruktur eingerichtet werden. Am Mittwoch tritt man mit dem Ergebnis vor die Presse – ohne die Grünen. Die werden in der Kompromissfindung zunächst außen vor gelassen.
Denn in der Union ist man überzeugt: Die werden schon mitmachen. Weil, Schulden und Grüne – was soll da nicht zusammenpassen? Erst recht, wenn es nicht nur Geld für die Bundeswehr, sondern auch noch für die Infrastruktur, Schulen und Kitas gibt.
Nur sehen die Grünen das etwas anders. "Wir stehen nicht zur Verfügung für einen politischen Stil", sagt Parteichef Felix Banaszak, "der wiederholt darauf setzt, gemeinsam etwas zu vereinbaren, es im Nachgang denen vorzulegen, die man braucht, um es umzusetzen – und dann zu sagen: Die Grünen müssen ja am Ende sowieso zustimmen." Man werde sich, so sagt er es, nicht "erpressen" lassen, etwas "Falschem" zuzustimmen.
Jetzt könnte der erste große Wurf von Merz scheitern, noch bevor er Kanzler ist. Denn wenn er seine Schuldenpakete durchbringen will, braucht er die Grünen. Sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat. Ist das noch zu retten?
Bloß keine Panik: Linnemann hofft noch auf schnelle Einigung
Am Montagmittag versucht der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann möglichst gelassen zu bleiben. Als Journalisten in der Pressekonferenz mehrfach nachfragen, ob die Sache mit den Grünen nicht blöd gelaufen sei, sagt Linnemann bloß, er erwarte nach wie vor "konstruktive Gespräche". Er selbst finde es "völlig legitim", dass die Grünen ihre Vorstellungen einbringen wollten. Man werde sich noch heute zu Gesprächen treffen, um einen gemeinsamen Weg zu finden. "Die Voraussetzungen sind meines Erachtens gegeben", so der CDU-Generalsekretär. Heißt übersetzt: Alles keine Überraschung. Das wird schon noch. Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.
Doch bei den Grünen ist man nicht euphorisch, sondern wütend. "Wir haben in den letzten Tagen gelernt, dass insbesondere Friedrich Merz in der Lage ist, den Menschen in diesem Land nicht nur einmal, sondern zweimal nicht die Wahrheit zu sagen", sagt Fraktionschefin Katharina Dröge vor der Reichstagskuppel gleich zu Beginn.
Erst habe Merz sein Wahlkampfversprechen, keine Kredite für Investitionen zu brauchen, "mit einem beachtlichen Maße an Unverfrorenheit" direkt nach der Wahl wieder eingesammelt, sagt Dröge. Jetzt wolle er ein Sondervermögen Infrastruktur einrichten, das "Infrastruktur" nur im Namen trage und eigentlich Steuersenkungen, Pendlerpauschale, Agrardiesel, und eine Soli-Reform finanzieren solle. Und eben keine "zusätzlichen" Investitionen, wie es nötig sei.
Der Ärger der Grünen staut sich schon seit Tagen auf. Darüber, dass man über das Milliardenpaket nur pflichtschuldig informiert wurde, und das auch noch erst kurz vor der Pressekonferenz. Darüber, dass Union und SPD anschließend in mehreren Gesprächsrunden mit den Grünen gar keine Bereitschaft gezeigt hätten, überhaupt wirklich zu verhandeln über die Vorschläge. Und natürlich darüber, dass sich Markus Söder und die CSU auch nach Ende des Wahlkampfs nicht zurückhalten können mit ihren Grünen-Beschimpfungen.
In der Sache wollen die Grünen eigentlich eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse. Das machen sie auch an diesem Montag noch mal deutlich. Sie halten es durchaus für möglich, dass die Linke im neuen Bundestag so etwas mitträgt. Und deshalb fordern sie Union und SPD noch einmal dazu auf, mit der Linken darüber zu sprechen. Sie halten das für die sauberere und ehrlichere Lösung als immer wieder neue Sondervermögen, also Schuldentöpfe aufzulegen.
Allerdings haben sie im Wahlkampf mit einem Schuldentopf geworben, dem Deutschlandfonds. Der sollte zwar mit einer Reform der Schuldenbremse verknüpft und stetig aufgeladen werden statt nur einmal mit 500 Milliarden Euro für zehn Jahre, so wie es Union und SPD vorschwebt.
Grüne kritisieren eigentlich vor allem etwas anderes
Die Grünen kritisieren aber vor allem etwas anderes: dass nämlich nicht klar geregelt sei, dass das Sondervermögen für "zusätzliche" Investitionen gedacht sei. Sie halten es für einen "Verschiebebahnhof". Eine Kritik, der auch einige Ökonomen zustimmen. Und die Grünen wollen verbindlich festgeschrieben wissen, dass auch Investitionen in Klimaschutz mit dem Geld finanziert werden können.
Auch geht den Grünen die Reform der Schuldenbremse für Verteidigung nicht weit genug. Die Grünen wollen, dass das Geld auch für Cyberabwehr, für die Nachrichtendienste und für den Zivilschutz verwendet werden kann. Nur Panzer und Raketen, argumentieren sie, das werde der sicherheitspolitischen Realität in der Welt nicht gerecht. Um sich im Zweifel nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Dringlichkeit der Lage nicht zu erkennen, wollen sie nun auch einen eigenen Antrag in den Bundestag einbringen.
Am späten Montagnachmittag wollen sich Union und Grüne nun noch einmal zusammensetzen, um über mögliche Kompromisse zu sprechen. Mit Blick auf die Forderungen der Grünen heißt es aus der Union, man sei optimistisch, dass man sich zumindest bei einem Teil einigen könne. Merz' großer Wurf könnte am Ende also doch noch klappen. Fraglich bleibt nur, ob man es sich nicht hätte leichter machen können, indem man die Grünen früher eingebunden hätte.
- Eigene Recherche