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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hubertus Heil Wie macht er das?
Der Druck auf Hubertus Heil ist groß. Trotzdem steht der Arbeitsminister kaum im Fokus der Aufmerksamkeit. Wie macht er das?
Hubertus Heil blickt auf seine Armbanduhr. 13.51 Uhr zeigt die gerade an, Mittagszeit. "Ich trinke erst ab 18 Uhr", sagt Heil, schaut auf das frisch gezapfte Bier in seiner Hand, sagt dann: "Oh, es ist 18 Uhr." Und trinkt zwei Schlückchen Lenzkircher Pils. "Lecker. Aber doch etwas zu früh."
Heil hat es Anfang dieser Woche nach Süddeutschland verschlagen. Zwei Tage Sommerreise, fünf Besuche bei Unternehmen in Baden-Württemberg stehen auf dem Programm. Es geht um Photovoltaikanlagen in der Landwirtschaft, um Künstliche Intelligenz und um die Frage, wie sich Angestellte per Weiterbildung an die Arbeitswelt von morgen anpassen.
Das Pils wiederum gibt es im Hofgut Himmelreich, ein Restaurantbetrieb, bekannt aus einer Fernsehsendung mit TV-Koch Tim Mälzer, in dem Menschen mit Behinderungen arbeiten. Heil wirkt locker, entspannt, als sei alles wie immer, was für ihn heißt: alles in bester Ordnung.
Niemand greift ihn hart an
Dabei ist für ihn gerade nicht viel in Ordnung. Hubertus Heil (SPD) ist dieser Tage nicht nur Deutschlands Minister für Arbeit. Er ist vor allem ein Minister mit viel Arbeit. Rente, Bürgergeld, Jobs für Ukrainer, Steuervorteile für Zuwanderer und für Leute, die Überstunden schieben – fast alle innenpolitische Aufregerthemen landen aktuell auch auf seinem Tisch.
Eigentlich müsste er jetzt richtig unter Dampf stehen. Die Opposition müsste ihn heftig angehen und auch aus der eigenen, häufig so streitlustigen Ampelkoalition würde die eine oder andere Spitze nicht überraschen, auch gegen ihn persönlich.
Doch Heil steht nicht unter Dampf. Er steht auch nicht im Fokus. Niemand greift ihn hart an. Er macht weiter sein Ding, ruhig, fast gelassen. Ein Kunststück, um das ihn mancher Kabinettskollege beneiden dürfte.
"Danke für Ihre Zeit" – "Nochmals vielen Dank"
Wie ihm das gelingt, wird auch zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb deutlich. Oberkirch-Nußbach, ein kleines Dorf am Rande der Schnellstraße, erster Termin der Reise. Heil steigt aus dem knallgelben Reisebus. Sakko an, kurz den Kragen richten, dann geht's los.
"Hallo, mein Name ist Hubertus Heil, wie schön Sie zu sehen", begrüßt er die Obstbauern vom Familienbetrieb Vollmer. "Freut mich sehr, toll, dass wir heute bei Ihnen sein dürfen." Heil geht an keiner Hand vorbei, jede, die sich ihm entgegenstreckt, wird geschüttelt. Und jenen, die schüchtern die Arme verschränken, reicht er seine eigene. "Danke für Ihre Zeit", sagt er. "Nochmals vielen Dank."
Nett und zuvorkommend, höflich im Umgang, das sind die meisten Spitzenpolitiker. Alle wissen: Der erste Eindruck zählt, mit nichts punktet es sich so leicht, wie mit einem Lächeln und einem Händedruck.
Ruhe, Gemütlichkeit und Wärme
Heils Freundlichkeit aber ist anders. Er fragt nicht nur "Wie geht's?", er hakt nach, will wissen, wie schnell genau die Solaranlagen Strom produzieren. Und er gibt passende Anekdoten aus seinem eigenen Leben zum besten. Etwa, dass er selbst in einer ländlichen Gegend aufgewachsen ist, dass er die Probleme der Landwirte nicht nur aus Erzählungen kennt, sondern auch aus dem eigenen Erleben.
Ob mit Bier oder ohne: Bei Heil menschelt es. Er spricht stets mit tiefer, gemütlicher Stimme, Menschen in seiner Nähe fühlen sich wohl. Neudeutsch würde man sagen: Er bondet gut mit anderen. So einem kann man schwer böse sein, auch nicht im fernen Berlin.
Wenige Stunden später, ein Sägewerk in Buchenbach nahe Freiburg. Hier könnte es eigentlich unangenehm werden für den Minister: Im Holzwerk Dold soll es um den sogenannten "Jobturbo" für ukrainische Flüchtlinge gehen. Der will bundesweit nämlich nicht so recht zünden. Die Zahl der Beschäftigten steigt zwar, aber sie steigt nur sehr langsam. Gut 190.000 haben einen Job, rund 500.000 im erwerbsfähigen Alter haben noch immer keinen.
Schwieriges Thema "Jobturbo"
Zufrieden ist Heil nicht, das merkt man ihm an, auch wenn er bei Dold drei ukrainische Frauen trifft, die dort Arbeit gefunden haben. Heil fragt den Personalchef, was noch besser werden muss, damit dieser weitere Geflüchtete einstellt. Der antwortet polternd: "Gelinde gesagt: Die wechselnden Zuständigkeiten bei den Behörden sind eine Katastrophe", wird dann im Gespräch mit Heil jedoch schnell ruhiger, milder.
Der Minister wiegt den Kopf, nickt, legt den Zeigefinger an die Lippen, fragt nach, will auch hier Details wissen. Am Ende fasst er zusammen, was er "mit nach Berlin nimmt": Es brauche eine Bündelung der Verantwortung, klar, da müsse man noch mal ran, ganz seine Meinung. Und natürlich: "Vielen Dank für Ihre Eindrücke, das hilft mir sehr."
Auch das ist eine Zutat in seinem Erfolgsrezept. Heil wirkt verbindlich und ehrlich interessiert. Er kann die Stirn gut in Falten legen, um zu signalisieren: Ich verstehe Sie gut, ich kümmere mich. Ob daraus am Ende etwas wird, steht auf einem anderen Blatt – in der konkreten Situation jedoch gewinnt er auf diese Weise.
Heil arbeitet ohne viel Getöse
Und er ist nicht nur interessiert, sondern steht auch gut im Stoff. Keine Firma, die er besucht, bei der er den mitreisenden Journalisten nicht wie ein Reiseleiter erklärt, was genau sie dort erwartet. Er läuft nicht mit, lässt sich nicht führen, er geht selbst vorne weg.
Auch im politischen Berlin gilt der Arbeitsminister als fleißig. Er zieht seine Vorhaben durch, arbeitet den Koalitionsvertrag peu à peu ab. Auch hier: leise, ohne viel Aufsehen und Getöse. Wasserstandsmeldungen spart er sich, verkündet wird erst, was fertig ist.
Und selbst wenn dann eines seiner wichtigsten Projekte zum größten Streitthema der Nation wird, bleibt er ruhig: Mit dem Bürgergeld, dem Nachfolger von Hartz IV, wollten sich Heil und die SPD vom Fluch der Schröder'schen Agenda-Politik befreien. Mehr fördern, weniger fordern, mit Qualifizierung Langzeitarbeitslose in Jobs bringen – das war die Idee.
Doch bei vielen entstand der Eindruck, die soziale Hängematte werde aufgespannt. Längst ist das Bürgergeld damit zum neuen SPD-Fluch geworden. Schon der Name erinnert viele sehr an ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Im Wahlkampf braucht es mehr als Ruhe und Gelassenheit
Heil weist diese Darstellung zwar zurück, genau das sei das Bürgergeld eben nicht. Zugleich aber zeigt er sich flexibel, wenn es ums "Nachsteuern" geht, wie er es nennt, etwa bei Sanktionen für Totalverweigerer oder Schwarzarbeiter. Oder bei längeren Anfahrtszeiten zur Arbeitsstelle, die nun zumutbar sein sollen, für Arbeitslose, die einen Job aufnehmen.
Das Bürgergeld, so erklärt es Heil auch auf seiner Sommerreise, sei ein "lernendes System", Anpassungen seien "vertretbar". Womit er überspielt: Die Korrekturen verändern die Grundidee. Seine Idee.
Doch auch das ist die Methode Heil: Gibt's ein Problem? Kein Problem, das ändern wir einfach. Etwas ist nicht in Ordnung? Oh doch, alles ist in bester Ordnung. Weitermachen, das kriegen wir schon hin.
Bislang hat das gut funktioniert. Von der Kritik an seinen Projekten bleibt an ihm nichts hängen. Noch nicht. Doch auch für Heil dürfte es in den kommenden Monaten ungemütlicher werden: Der Haushaltsdeal muss noch im Parlament verhandelt werden. Und der Wahlkampf naht. Dann braucht es mehr als Ruhe und Gelassenheit.
- Eigene Beobachtungen vor Ort