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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prozess um Nazi-Parole Dann bringt Höcke einen absurden Vergleich
Umstrittener Prozess mit deutlichem Ausgang: AfD-Mann Björn Höcke ist vom Landgericht Halle verurteilt worden. Viel lernt man aus dem Urteil über die deutsche Vergangenheit – und über Höcke selbst.
Björn Höcke schüttelt den Kopf, leise murmelt er vor sich hin, die Stirn gerunzelt. Mit dem, was Richter Jan Stengel da am Dienstagabend verkündet, ist der in der AfD so mächtige Strippenzieher offensichtlich gar nicht zufrieden. Dabei betont der Richter Höckes Intellekt und seinen Einfluss in der AfD wie in der Öffentlichkeit.
Vor dem Landgericht Halle aber haben diese Attribute an diesem Tag negative Folgen: Höcke wisse sehr genau, was er sage – und seine Worte hätten gesellschaftliche Auswirkungen, urteilt das Gericht. Die SA-Parole "Alles für Deutschland" habe der studierte Historiker und langjährige Geschichtslehrer 2021 in einer Rede in Merseburg nicht wie von ihm behauptet unwissend, sondern mit Vorsatz verwendet, so Stengel.
Die drei Worte kommen Höcke nun teuer zu stehen: 13.000 Euro Strafe muss der AfD-Rechtsaußen zahlen. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, gilt er außerdem als vorbestraft.
Bislang kam es nie zu einer Verurteilung Höckes
Das ist eine Premiere für Höcke: Achtmal wurde seine Immunität bereits aufgehoben und so der Weg frei gemacht für Ermittlungen gegen ihn – unter anderem wegen Betrugs, wegen Volksverhetzung und Verleumdung. Zu einer Verurteilung aber kam es nie. Auch in Halle hatte Höcke mit allen Mitteln dafür gekämpft, das zu verhindern.
Doch Höcke ging es in dem Verfahren nicht nur um sich, sondern um ein Ziel weit über seine Person hinaus. Mit gleich drei Anwälten versuchte er, an dem Paragrafen 86a zu rütteln und so das Tor dafür zu öffnen, dass in Deutschland Verbotenes wieder sagbar wird. Die SA-Parole "Alles für Deutschland" fällt unter diesen Paragrafen, ist aber eher unbekannt und für Höckes Ansinnen deswegen ein geeignetes Beispiel. Bekannter sind andere verbotene NS-Losungen und -Kennzeichen: "Sieg Heil", "Heil Hitler", "Deutschland erwache", Hakenkreuze und SS-Runen.
- Interview mit Grünen-Abgeordnetem Sebastian Striegel: Er zeigte Höcke an
In einem Austausch mit Elon Musk auf der Plattform X machte Höcke vor Prozessstart sein Ziel recht deutlich: "Jeder Patriot in Deutschland" werde als "Nazi diffamiert", beklagte er da mit Blick auf den anstehenden Prozess. Das deutsche Strafgesetzbuch setze der Meinungsfreiheit Grenzen, die es in anderen Ländern nicht gebe. "Sie zielen darauf ab, Deutschland daran zu hindern, sich selbst wiederzufinden."
Überraschungszeuge aus der extrem rechten Szene
Vor Gericht freilich äußerte der mächtige AfD-Politiker solche recht eindeutigen Sätze nicht. Gemeinsam mit seinen Anwälten betonte er stattdessen immer wieder: Unwissend sei er gewesen, "Alles für Deutschland" eine Allerweltsfloskel, die doch wohl jedem unterlaufen könne.
Die Nazis hätten auch "Guten Tag" gesagt, bringt Höcke einen absurden Vergleich und fragt: "Wollen sie das Guten-Tag-Sagen auch verbieten?" Immer wieder hebt die Verteidigung auf eine Frage ab: Wer bitte könne denn schon wissen, dass "Alles für Deutschland" ein strafbarer Spruch sei?
Um diese Aussage zu stützen, laden Höckes Verteidiger am Dienstag überraschend einen Zeugen: Karlheinz Weißmann, Geschichtslehrer, Gründer und ehemaliger Kopf des "Instituts für Staatspolitik" in Schnellroda, das vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" beobachtet wird und großen Einfluss auf Teile der AfD-Funktionäre hat. Höcke wird ihn in seinem Schlusswort später als "gelehrten Mann" bezeichnen.
Was ihn zum Experten mache, fragt Richter Stengel. Er habe zur Symbolik der deutschen Rechten promoviert, sagt Weißmann. Und hebt hervor: Circa 150 Aktenordner zu diesem Thema, 1.500 Buchtitel, einen Wandschrank mit Plakaten und einen weiteren mit anderen Belegen habe er zu Hause.
Höcke: "Nein, ich will das machen!"
Weißmann, mit schwarzer Brille und im schwarzen Anzug, behauptet: "Keine große Präsenz" der Formel "Alles für Deutschland" habe es in der NS-Zeit gegeben – auf Plakaten zum Beispiel sei sie nicht zu sehen gewesen. Und weder im Geschichtsstudium noch im Schulunterricht werde die Parole üblicherweise thematisiert.
Höcke ergreift bei Weißmanns Befragung selbst das Wort. Mit einem "Nein, ich will das machen" weist er seine Anwälte in die Schranken. "Kann ein normaler Mensch wissen, dass das ein Motto der SA gewesen ist?", fragt er. Und Weißmann antwortet: "Ich halte es für extrem unwahrscheinlich."
Ins Schlingern allerdings kommt Weißmann bei gleich mehreren Fragen von Richtern und Staatsanwälten: Ob er nicht von Sammelbildern und Bauchbinden für Zigarettenschachteln mit dem Spruch "Alles für Deutschland" wisse? Oder vom riesigen "Alles für Deutschland"-Slogan, der 1934 über dem NSDAP-Parteitag prangte? Oder von Dolchen, die mit der Gravur "Alles für Deutschland" zur Uniform jedes SA-Mitglieds gehören mussten?
Weißmann verneint meist: Das wisse er nicht oder zumindest nicht genau. Von den Dolchen mit Gravur, die jedes SA-Mitglied erhalten habe, von denen aber wisse er. Die Staatsanwaltschaft hakt nach: Wie groß die SA, die diese Dolche tragen musste, denn gewesen sei? Weißmann druckst erst herum, räumt dann ein: 1934 habe die SA schätzungsweise vier Millionen Mitglieder gezählt.
Mit ihren beharrlichen Nachfragen legen Staatsanwaltschaft und Richter so recht deutlich offen: Die Parole war in der NS-Zeit prominent und präsent – anders als von Höckes Verteidigern behauptet. Es ist kostenloser Geschichtsunterricht für die Öffentlichkeit. Denn Richter Stengel wird später betonen: Auf den Bekanntheitsgrad der Parole komme es beim Strafmaß gar nicht an.
Staatsanwaltschaft attestiert Höcke "Täterwissen"
Entscheidend ist hierfür vielmehr die Frage, ob der ehemalige Geschichtslehrer Höcke vorsätzlich gehandelt hat – also beim Äußern der Parole wusste, dass sie von Hitlers Schlägertruppe verwendet wurde?
Deutlich wird hier Staatsanwalt Benedikt Bernzen in seinem Schlussplädoyer: Höcke verwende immer wieder NS-Vokabular. Als "Volksverderber" habe er zum Beispiel den ehemaligen Minister Sigmar Gabriel bezeichnet – ein Begriff aus Hitlers "Mein Kampf". Auch das Wort "Tatelite" habe Höcke verwendet – die Selbstbeschreibung der SA.
Insgesamt verfüge der AfD-Landeschef über Wissen und einen Sprachschatz, über den sicher nicht viele Menschen in Deutschland verfügten, sagt Bernzen. "Der NS-Wortschatz des Angeklagten deutet auf Täterwissen hin."
Von der Parole dürfte der Geschichtslehrer aber nicht nur durch sein großes Wissen über die NS-Zeit gewusst haben, so der Staatsanwalt – sondern auch durch seine Arbeit als Fraktionsvorsitzender und Kopf des inzwischen offiziell aufgelösten rechtsextremen Flügels in der AfD.
Schließlich hätten gleich zwei Parteimitglieder aus Höcke nahestehenden Landesverbänden bereits wegen der Parole "Alles für Deutschland" in viel beachteten Verfahren vor Gericht gestanden. Die Verbindungen und der Austausch im Flügel seien besonders eng, so die Staatsanwaltschaft: "Niemand im Saal würde ernsthaft behaupten, dass der Angeklagte seine exponierten Ämter mit geschlossenen Augen ausgeübt hat."
Deutlich zeigten Äußerungen wie die von Höcke im Austausch mit Elon Musk auf der Plattform X zudem: Höcke wolle die Grenze des Sagbaren mit kleinen Schritten verschieben. Und er sei dabei enorm erfolgreich. Allein in den Kommentaren unter einem Video des followerstarken Youtubers Weichreite zum ersten Verhandlungstag in Halle werde die SA-Parole nun dutzendfach verwendet. "Die Nachahmerquote ist erschreckend hoch."
Die Forderung der Staatsanwaltschaft: Höcke solle zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt werden – und verpflichtet werden, 10.000 Euro an eine NS-Gedenkstätte oder ein Demokratieförderprogramm zu spenden.
Drei Verteidiger, drei unterschiedliche Schlussworte
Höckes drei Anwälte halten dagegen. Jeder von ihnen hält am Dienstagabend ein Schlusswort mit eigenem Fokus. Doch alle drei betonen auf ihre Weise eine Sache: "Alles für Deutschland" dürfe eigentlich gar nicht unter Strafe stehen.
Besonders klar spricht das Verteidiger Ralf Hornemann aus: Er wolle dieses Verfahren keineswegs ins Lächerliche ziehen. Aber: "Dass es absurd ist, die Formel 'Alles für Deutschland' unter Strafe zu stellen, springt ohnehin jedem ins Auge."
Höcke attackiert die Staatsanwaltschaft
Höcke ergreift schließlich selbst noch einmal das Wort. Stehend, mit einer Hand in der Hosentasche, die andere gestikulierend, attackiert er Staatsanwalt Bernzen. Der hätte in der "Diktion eines politischen Aktivisten" gesprochen und sei auf einer "Fantasiereise" unterwegs. In anderen Ländern würde ein solcher Fall nicht vor Gericht landen, sondern wäre "eine Marginalie".
Er habe das Gefühl, dass hier der Spitzenkandidat der in Thüringen stärksten Oppositionspartei beschädigt werden solle. Sprich: Das Gericht handle politisch motiviert, nicht unabhängig. Es ist ein schwerer Vorwurf, den AfD-Politiker schon am Montag, nach der Klatsche für die AfD im Verfahren gegen den Verfassungsschutz, immer wieder äußerten. Vor Gericht mildert Höcke ihn leicht ab: "Ist nur ein Gefühl", sagt er mit ironischem Unterton und hebt die Hände mit den Handflächen nach vorne.
Einen fairen Prozess habe er aber ohnehin nicht zu erwarten, kritisiert Höcke. Und zwar, weil er sei, wer er sei, und die Medien nicht fair berichteten. Ausschließlich "Höcke-Bashing" transportierten die Medien in ihren Beiträgen zum Prozess, behauptet er. Und mit der Verhandlung vor dem Landgericht statt vor dem Amtsgericht habe man ihm eine Instanz genommen, um Beweise vorzulegen und Beschwerde zu erheben.
"Bin ich weniger wert als andere Menschen, habe ich keine Menschenwürde, bin ich kein Mensch?", fragt Höcke mit viel Pathos. Er habe "wirklich" das Gefühl, ein "politisch Verfolgter" zu sein.
Mit Diktaturen habe er hingegen "nichts am Hut", mit dem Nationalsozialismus habe er sich nie intensiv beschäftigt, behauptet der Mann, der laut Gerichtsurteilen als "Faschist" und "Nazi" bezeichnet werden darf, dann. Und endet mit den Worten: "Glauben Sie mir, ich wusste es nicht." Er sei völlig unschuldig, habe ein reines Gewissen und bitte um einen Freispruch.
Richter: "Gericht muss sich viel anhören, aber nicht alles glauben"
Höckes Bitte wird der raubeinige Richter Stengel nicht nachkommen. In knappen, aber deutlichen Worten verkündet er ab 19 Uhr sein Urteil: "Das Gericht muss sich viel anhören, aber es muss nicht alles glauben", sagt er. Richter und Lehrer hätten ein gemeinsames Werkzeug: die Sprache. "Da muss man besonders verantwortungsvoll sein und vorsichtig mit umgehen."
Unabhängig von der Staatsanwaltschaft habe das Gericht entschieden und lasse sich von der Drohung mit weiteren Instanzen nicht beeindrucken. "Ob ein Rechtsmittel droht oder nicht, das ist uns völlig schnuppe", so Stengel.
Die meisten Menschen wüssten sicher nicht, dass die Parole strafbar sei, sagt Stengel. Doch das Gericht schaue sich an: "Wer hat’s gesagt?"
Und das Gericht sei zu dem Schluss gekommen: "Sie sind ein redegewandter, intelligenter Mann, der weiß, was er sagt", so Stengel. Ein redegewandter, intelligenter Mann zudem, der bereits angekündigt habe, dass er bestimmte Äußerungen wieder äußern wollen dürfe. Der "Deckmantel der Meinungsfreiheit" sei in dem Verfahren strapaziert worden. Den § 86a abzuschaffen, in Deutschland wieder "straffrei 'Heil Hitler' zu rufen", das könne nicht der Sinn sein.
Eine Freiheitsstrafe jedoch, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, sei überzogen, macht Stengel deutlich. Höcke sei schließlich nicht vorbestraft. Wegen der "Auswirkungen im öffentlichen Raum" und Höckes Stellung als Fraktionsvorsitzender aber sei man zu dem Urteil gekommen: 100 Tagessätze à 130 Euro – 13.000 Euro Geldstrafe. Höcke kann in Revision gehen. Ist das Urteil aber rechtskräftig, bedeutet dieses Strafmaß dann: Höcke gilt als vorbestraft.
Höcke aber dürfte sich wehren. Auf Twitter schreibt er noch am Dienstagabend: "Wenn dieses Urteil Bestand hat, ist die Meinungsfreiheit in Deutschland tot. Die Fähigkeit, anders zu denken, ist in Gefahr."
Er tut das auf Englisch und dürfte dabei Elon Musk im Sinn haben, den im weltweiten Diskurs so mächtigen Chef der Plattform X, der ihm schon einmal in wenigen Sätzen beigesprungen ist. Höckes Kampf um das Sagbare – er ist noch lange nicht beendet.
- Eigene Beobachtungen vor Gericht