Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Unionsfraktionsvize über Abhöraffäre "Weiß der Kanzler, welchen Schaden er anrichtet?"
Seit dieser Woche wird Taurus zum Synonym für den Umgang des Bundeskanzlers mit unserer nationalen Sicherheit und der Sicherheit unserer Partner in der EU und in der Nato, schreibt Unionsfraktions-Vize Johann Wadephul in seinem Gastbeitrag für t-online.
Erstmalig hat der Bundeskanzler nach monatelangem Schweigen seine Ablehnung der Lieferung an die Ukraine öffentlich begründet. Die Marschflugkörper könnten Moskau erreichen und außerdem sei dafür – wie bei den britischen und französischen Marschflugkörpern – dann auch der Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine erforderlich, was mit ihm unter keinen Umständen zu machen sei. Gleichzeitig veröffentlicht die russische Regierung in dieser Woche einen Audiomitschnitt einer abgehörten Videokonferenz, in der hochrangige Offiziere der Bundeswehr glaubhaft zum Ergebnis kommen, dass Taurus auch ohne den Einsatz von deutschen Soldaten geliefert und eingesetzt werden könnte. Der Kreml will mit dieser Propagandaoperation von den vielen tausend Menschen ablenken, die Alexej Nawalny an seinem Grab die letzte Ehre erweisen.
Schließlich und zu allem Überfluss melden sich britische und französische Regierungsvertreter zu Wort und beklagen die Indiskretionen und Spekulationen aus Deutschland, denn die Aussagen des Bundeskanzlers lassen den Rückschluss zu, dass Briten und Franzosen mit Soldaten in der Ukraine wären, um dort den Einsatz ihres Marschflugkörpers "Storm Shadow" zu unterstützen.
Zur Person
Johann David Wadephul ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Auswärtiges und Verteidigung. Bis 2021 war er Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei.
Weiß der Bundeskanzler, welchen Schaden er in dieser Woche für die nationale Sicherheit und die europäische Zusammenarbeit angerichtet hat? Sein Auftritt in Paris zu Beginn der Woche war schon befremdlich genug.
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Da hatte er ohne vorherige Absprache mit dem französischen Staatspräsidenten an einer Sicherheitskonferenz zur verstärkten Unterstützung der Ukraine teilgenommen. Was als Signal der Geschlossenheit gedacht war, verdeutlichte im Ergebnis einmal mehr, dass das deutsch-französische Verhältnis während seiner Kanzlerschaft auf einem historischen Tiefpunkt angekommen ist. Denn Paris und Berlin vertreten öffentlich ausgetragen gegensätzliche Positionen, wie nun mit der Unterstützung der Ukraine weiter umgegangen werden muss. Und jetzt kommt noch eine gehörige und in der Sache nachvollziehbare Verärgerung bei den Briten und den Franzosen dazu, da der Bundeskanzler sie in Mithaftung nimmt für seine Ablehnung der Taurus-Lieferung.
Sowohl Scholz als auch Pistorius müssen sich Fragen stellen
Der Bundeskanzler und auch der Bundesverteidigungsminister werden sich in den nächsten Wochen einige sehr unangenehme Fragen stellen müssen. Stimmt seine Behauptung überhaupt, dass Taurus nur mit deutschen Soldaten in der Ukraine zum Einsatz kommen kann? Wer berät ihn in diesen Angelegenheiten, und was war das Ergebnis dieser Beratungen? Wann ist er tatsächlich in dieser Frage beraten worden, vor oder nach seinen öffentlichen Aussagen? Hat er diese Behauptungen aus Seite 2 von 2 Unkenntnis aufgestellt oder waren sie vorsätzlich falsch? Und schließlich: Wann hat der Bundeskanzler von dem abgehörten Telefonat erfahren? Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Und welche Konsequenzen hat der gesamte Vorgang auf die Zusammenarbeit in der EU und in der Nato mit unseren wichtigsten Verbündeten? Viele weitere Fragen werden sich stellen.
Ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der in einer so herausfordernden Zeit zu einer vertrauensvollen Verständigung mit unseren wichtigsten Verbündeten in Europa nicht in der Lage ist, ein Bundeskanzler, der mit unbedachten Äußerungen die Verbündeten im Gegenteil erheblich irritiert, und der zugleich ganz offensichtlich das innenpolitische und wahlkampftaktische Kalkül über die Sicherheitsinteressen unseres Landes sowie eine glaubhafte Unterstützung der Ukraine in ihrem Freiheitskampf gegen eine gemeinsame Bedrohung stellt, der wird zunehmend selbst zum Sicherheitsrisiko, für Deutschland, aber auch für ganz Europa.
Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.
- Gastbeitrag von Johann David Wadephul