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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zwist zwischen Habeck und Lindner Wie weit wird er gehen?
Wie wird die deutsche Wirtschaft wieder stark? Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner ringen um den richtigen Weg – und sind doch aufeinander angewiesen.
Da sind sie nun, ein paar Kilometer Luftlinie voneinander entfernt, und attackierten sich gegenseitig. Pressesprecher nennen so etwas gern: "Sie setzten Botschaften". In Wahrheit werden die Botschaften nicht gesetzt, sondern hingeknallt. Der eine, der seine Botschaften loswird, ist Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), bei "Caren Miosga". Der andere: Finanzminister Christian Lindner (FDP), bei "Bericht aus Berlin".
Beide redeten über die Zukunft, darüber, wie die deutsche Wirtschaft wieder gestärkt werden könnte. Ob dafür künftig mehr Geld ausgegeben werden muss – oder ob der Sparkurs der Regierung weitergehen kann.
"Ehrlicherweise weiß ich nicht, ob das Land das aushält. Und ob demokratische Politik im Land das aushält", sagte Habeck über den Sparkurs. Lindner hielt im anderen Format dagegen, dass doch "Unternehmen den Staat finanzieren" sollten und nicht "der Staat die Unternehmen."
Zwei Ansätze, wie sie verschiedener nicht sein könnten
So ging es an diesem Abend hin und her. Jeder wirbt für sich allein. Die Vorstellungen davon, wie die deutsche Wirtschaft wieder stark gemacht werden kann, könnten unterschiedlicher nicht sein. Am Montag dann die Nachricht: Es gibt doch einen Kompromiss, zumindest einen kleinen. Habeck und Lindner haben sich auf eine Steuerreform für Unternehmen verständigt. Doch der Streit, das war in den Talkshows schon ersichtlich, reicht tiefer. Und er ist noch lange nicht gelöst.
Habeck will Geld ausgeben, zur Not auch sehr viel, um die Unternehmen wieder stark zu machen. Lindner dagegen ist fest davon überzeugt, dass es gar nicht viel Geld braucht, sondern eher Entlastungen, beispielsweise will er den Solidaritätszuschlag für Unternehmen streichen. Aber vor allem hält Lindner nichts davon, dass der Staat die Wirtschaft über die Maßen subventionieren sollte. Zwei diametrale Ansätze.
Ein Sondervermögen – mithilfe der Union? Gegen die FDP?
Die Szene, so sieht es mancher in Berlin, hat inzwischen etwas von einem gewaltigen Schachspiel, bei dem nur noch zwei Figuren übrig geblieben sind. Lindner und Habeck, beide für ihre Teams an der Spitze der Macht. Zwei einsame Könige. Jeder versucht sich durchzusetzen, und jedes Interview, jeder öffentliche Auftritt gerät zum Manöver. Alles ist ein Versuch, die Grenzen des anderen zu verschieben. Dahinter steht die grundsätzliche Frage, wie die deutsche Ökonomie wieder erstarken kann.
Der neue Vorstoß von Habeck ist dabei der Versuch für einen Kompromiss in einer grundsätzlichen Debatte. Denn am Donnerstag hatte Habeck bei einer Rede im Bundestag vorgeschlagen, ein zusätzliches Sondervermögen zu beschließen, damit die Wirtschaft gestärkt werden könnte. Er wandte sich damit an die Union, mit der man eine dafür notwendige Grundgesetzänderung erzielen könnte. Dann würde der reguläre Bundesetat nicht angetastet.
Sein Auftritt sollte eine kleine Kraftdemonstration sein. Als würde er sagen: Seht her, liebe Kollegen in der FDP, wenn ihr nicht wollt, kann ich es ja theoretisch auch mit der Union machen. Das ist in der Praxis natürlich nicht umsetzbar: Politik gegen die eigene Koalition zu machen. Doch das Signal von Habeck war gesetzt.
"Wer den Staat überfordert, schwächt ihn"
Die Antwort von Lindner folgte prompt. Der Finanzminister sprach von einer "in jeder Hinsicht überraschenden Idee" und einem "ungewöhnlichen Vorschlag". Im Klartext: Vergiss es, Robert. Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP, sagt über den ganzen Streit jetzt t-online: "Deutschland braucht Wachstumsimpulse für gute Rahmenbedingungen statt immer neue Verschuldungsimpulse. Wer den Staat überfordert, schwächt ihn."
In der "Welt am Sonntag" hatte Habeck bereits ganz andere Töne angeschlagen: "Auch ich sehe, dass wir in der Summe eine Unternehmensbesteuerung haben, die international nicht mehr wettbewerbsfähig und investitionsfreundlich genug ist", sagte Habeck. Es war die Grundlage für den aktuellen Kompromiss.
Die Frage ist nun, wie es weitergeht. Denn der Kampf von Habeck und Lindner um das Geldausgeben wird auch deshalb so hart geführt, weil der Druck so groß ist. Die deutsche Konjunktur leidet, die Frage, die über all dem auch schwebt, lautet: Wie geht es weiter mit der Schuldenbremse? In diesem Jahr soll sie wieder eingehalten werden. Und für die FDP ist das ein Teil ihrer politischen DNA – man wolle der nachfolgenden Generation keine Schulden hinterlassen, heißt es bei den Liberalen gern.
Prompt folgt Widerspruch bei den Grünen
Die Grünen dagegen, vor allem jene im Lager von Robert Habeck, sehen das viel offener. Und zugute kommt ihnen, dass auch der Druck von verschiedenen Wirtschaftswissenschaftlern zunehmend wächst. Viele sehen die Schuldenbremse kritisch. Die Vorsitzende der "Wirtschaftsweisen", Monika Schnitzer, hatte kürzlich gesagt: "Wir wollen die Flexibilität erhöhen und Spielräume schaffen, sodass man zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben tätigen kann, ohne dabei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen."
Die Frage für Habeck ist dabei: Wann ist ein Momentum für ihn erreicht? Gibt es einen Punkt, wo öffentlich die Stimmung so gegen die Schuldenbremse kippt, dass er sich durchsetzen kann? Oder wäre es möglich, dass die Wähler der FDP ihrer Partei, die aktuell in den Umfragen nicht gut dasteht, ein Abweichen von ihrer bisherigen Haltung nicht verzeihen würden? Das sind die Fragen, die innerhalb der Koalition nun diskutiert werden.
Schon am Montag wurde sichtbar, wie die Auseinandersetzung laufen könnte. Denn vom Vorschlag Lindners, künftig den Solidaritätszuschlag von Unternehmen zu streichen, hält man bei den Grünen überhaupt nichts. Die Grünen-Parteichefin Lang sagte, dass die Abschaffung des Solidaritätszuschlags nicht für die nötigen privaten und öffentlichen Investitionen sorgen würde. Aber: Ihr Parteikollege Habeck habe ja einen "konkreten Vorschlag" gemacht, wie das gelingen könne. Die Könige werden sich auf dem Schachfeld noch eine Weile gegenüberstehen. Und vielleicht wollen sie ein wenig auch zusammenarbeiten.
- Eigene Recherche