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Flüchtlinge: "Das ist brandgefährlich" – Was die Kommunen jetzt entlastet


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Migration
"Das ist brandgefährlich"


05.11.2023Lesedauer: 5 Min.
Erstaufnahmeeinrichtung EisenhüttenstadtVergrößern des Bildes
Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt in Brandenburg (Archivbild): Was brauchen die Kommunen jetzt wirklich? (Quelle: Reto Klar)
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Was hilft wirklich, um die Kommunen in der Flüchtlingspolitik zu entlasten? Im Bundestag mangelt es dazu nicht an Ideen. Doch eigentlich muss man ganz woanders nachfragen.

Frank Steffen ist ein freundlicher, grundentspannter Mann. Sein neues Büro ist noch nicht eingerichtet, auch nach knapp drei Monaten nicht. Och, na ja, findet er, es sollte eben kleiner werden als das seines Vorgängers, also dauert alles etwas. Einen Schreibtisch hat er noch nicht, ein paar Bilder gibt es schon. Sie stehen an der Wand auf dem Fußboden.

Seit Anfang August ist Frank Steffen der neue Landrat im Kreis Oder-Spree, Brandenburg. Die Campingplätze heißen hier etwa "Spreepark", die Imbisse "Zum alten Konsum". Es gibt viele Wälder, viele Felder und viele Touristen, denen es im benachbarten Berlin zu wenig von alldem gibt. Und seit Monaten kommen nun auch wieder viele Flüchtlinge.

Frank Steffen, Mitglied der SPD, sagt Sätze wie: "Natürlich müssen wir politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen Schutz bieten." Oder: "Wir können stolz darauf sein, dass wir ein attraktiver demokratischer Rechtsstaat sind." Aber er findet eben auch: Gerade kommen einfach zu viele. "Es steht Spitz auf Knopf."

Der Druck ist groß, auch in Berlin. Es vergeht gerade kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Politiker im Bundestag irgendeine Idee hat, was unbedingt getan werden müsse, um die Migration in den Griff zu bekommen. Manche sind sinnvoll, andere weniger. Das dürfte auch daran liegen, dass die Flüchtlinge ja nicht im Bundestag ankommen. Sie landen in den Kommunen, in Landkreisen wie Oder-Spree, bei Menschen wie Frank Steffen.

Was also braucht es dort wirklich? Und wie können die Politiker in Berlin helfen?

"Die Integration kommt zu kurz"

Frank Steffen, 52 Jahre alt, muss nicht lange überlegen, wenn man ihn fragt, was an der Lage gerade besonders schwierig ist. "Das Kernproblem ist, dass wir fast ausschließlich damit zu tun haben, neue Unterkünfte zu organisieren", sagt er. "Die Integration kommt zu kurz." Es ist ein ernüchternder Befund.

Ein Drittel seiner Arbeitszeit wendet Frank Steffen gerade für die Migration auf, schätzt er. Und das, obwohl er sich als Landrat eigentlich nur um die großen politischen Linien kümmern sollte. Jede Woche steht der Kreis im Moment mit der Zentralen Ausländerbehörde des Landes in Kontakt. Wie viele Plätze habt ihr noch? Wie viele Flüchtlinge brauchen diese Woche einen?

Im Moment kommen fast jede Woche neue Flüchtlinge in den Kreis. Mal sind es mehr, mal weniger. Und Frank Steffens Leute müssen ein Bett für sie finden. In Wohnungen, in Gemeinschaftsunterkünften, mit guter Infrastruktur oder ohne. Da können sie nicht mehr wählerisch sein.

"Es geht bei der Suche nicht mehr darum, ob ein Gebäude geeignet ist, sondern nur noch, ob es verfügbar ist", sagt Steffen. "Wir kommen bei der Unterbringung an die Grenzen." 1.214 Flüchtlinge muss der Kreis Oder-Spree dieses Jahr unterbringen. Es ist der sogenannte Aufnahmesoll, eine Pflichtaufgabe für die Kommunen. In diesem Jahr sind schon 899 neu hinzugekommen. Und von denen, die im vergangenen Jahr kamen, sind auch noch viele da.

Der Stau ist das Hauptproblem, warum die Plätze nicht reichen. Oft wohnen die Menschen deutlich länger als ein Jahr in den Gemeinschaftsunterkünften. Weil ihre Verfahren so lange dauern. Oder inzwischen auch, weil sie nach Abschluss ihres Verfahrens schlicht keine eigene Wohnung finden und nicht ausziehen können. 2.449 Betten hat der Kreis Oder-Spree derzeit insgesamt für Flüchtlinge. Und es braucht noch mehr.

"Es klatscht niemand in die Hände"

Schon im Sommer kam es deshalb zum Konflikt: Die Politik plante, die Turnhalle am Oberstufenzentrum Fürstenwalde in eine Notunterkunft für 100 Flüchtlinge zu verwandeln. Die Schülerinnen und Schüler wehrten sich, rund 150 von ihnen demonstrierten gegen die Pläne. "Integration statt Isolation" war auf ihren Schildern zu lesen, und: "Nicht schon wieder wir!" Der Plan wurde verworfen.

"Wenn die Zahlen im nächsten halben Jahr nicht runtergehen, dann werden wir um Notunterkünfte nicht herumkommen", sagt Landrat Steffen. "Es ist jetzt schon eine riesige Herausforderung." Um die Turnhallen-Option zu vermeiden, lässt er gerade Container aufstellen. Sicher ist sicher. Die Gemeinschaftsunterkunft "Am Fuchsbau" in Bad Saarow mit 300 Betten soll so um weitere 250 Betten wachsen.

Ohne Konflikte läuft auch das nicht ab, das tut es nur noch selten. "Es klatscht niemand in die Hände, wenn man sagt, hier kommt jetzt eine Unterkunft für Asylbewerber hin", sagt Frank Steffen. Die politischen Verhältnisse im Kreis sind mittlerweile schwierig. Bei der Landratswahl setzte sich Steffen in der Stichwahl nur mit knappen 52 Prozent durch. Die restlichen 48 Prozent bekam sein Herausforderer: ein AfD-Mann.

Für Frank Steffen ist der Frust aber nicht nur ein Problem einiger AfD-Anhänger. "Bei allen Gesprächen, egal in welchen Bevölkerungsschichten, merkt man, dass den Leuten Vertrauen fehlt, dass die Regierung die Lage im Griff hat", sagt er. Im Vergleich zu 2015/2016 habe sich die Stimmung insgesamt verändert. "Damals gab es auch Kritik, aber die Ablehnung ist größer geworden. Das ist brandgefährlich für den gesellschaftlichen Frieden."

"Es braucht mehr Geld"

Was also braucht es, damit es besser wird? Die Zahlen müssen sinken, das sieht Frank Steffen wie sein Parteifreund Olaf Scholz. Sein zweites, konkreteres Anliegen aber hört der Bundeskanzler nicht so gern. "Es braucht mehr Geld, und vor allem braucht es eine langfristige und konstante Finanzierung", sagt Steffen.

Darüber wollen auch die Länderchefs an diesem Montag mit Scholz sprechen, auf der Ministerpräsidentenkonferenz. Der Bund bietet einen "atmenden Deckel" an, der vorsieht, den Ländern pro aufgenommenem Flüchtling 5.000 Euro zu überweisen. Bei bundesweit 250.000 Flüchtlingen im Jahr wären das 1,25 Milliarden Euro.

Die Länder hätten diese 1,25 Milliarden Euro gerne als Pauschalbetrag – und pro aufgenommenem Flüchtling noch mal 10.500 Euro dazu. Bei 250.000 Flüchtlingen wären das zusammengezählt knapp 3,9 Milliarden Euro. Das Angebot des Bundes, finden die Länder, sei bei Gesamtkosten von rund 23 Milliarden Euro "deutlich zu gering".

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"Die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten ist eine nationale Aufgabe, dazu muss der Bund seinen fairen Beitrag leisten", sagt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD zu t-online.

Olaf Scholz wird er davon noch überzeugen müssen. Frank Steffen nicht. Wobei selbst der "atmende Deckel" für den Landrat nicht die sinnvollste Lösung ist. "Meine Idealvorstellung wäre, dass uns ein feststehender Stand an Betten und Personal finanziert wird, damit wir nicht ständig alles auf- und abbauen müssen", sagt Steffen.

Viele Versorgungsstrukturen, die in der letzten Hochphase 2015/2016 aufgebaut wurden, sind in den vergangenen Jahren wieder abgebaut worden. Unterkünfte, aber eben auch Personal, weil nicht mehr ganz so viel los war. Auch deshalb haben viele Kommunen gerade so große Probleme. Und würden gerne langfristiger vorsorgen.

Frank Steffen ist sich nämlich sicher: "Migrationswellen wird es immer wieder geben." Doch er sagt auch: "So ein Jahr wie dieses können wir uns auf keinen Fall jedes Jahr leisten."

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Landrat Frank Steffen
  • Eigene Recherchen
  • rbb.de: 150 Schüler demonstrieren gegen Nutzung ihrer Turnhalle für Geflüchtete
  • rbb.de: Notunterkunft soll doch nicht in Schulturnhalle in Fürstenwalde
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