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Israel-Gaza-Krieg: Shitstorm gegen Zizek, Guterres und Heusgen – Kommentar


Meinung
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Kritik an Israel
Darf man das nicht?

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 31.10.2023Lesedauer: 4 Min.
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Protest gegen Israels Militäraktion in Gaza: "Weltpolitik ist komplex". (Quelle: IMAGO/Middle East Images/ABACA)
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Slavoj Žižek, António Guterres, Christoph Heusgen: Drei namhafte Persönlichkeiten hat zuletzt der Shitstorm ereilt, als sie sich zum Krieg in Nahost geäußert haben. Ein Plädoyer für mehr Zwischentöne in der Politik.

Es gibt Meinungsbeiträge im Zusammenhang mit dem neuen Krieg in Nahost, die kann man getrost in die Tonne treten. Wenn Fridays for Future etwas schwurbelt vom Genozid der Israelis an den Palästinensern, von einem Apartheidregime, das da herrsche, und von westlichen Medien, die eine Art Gehirnwäsche mit ihren Leserinnen und Lesern zugunsten Israels vornähmen, dann ist diese Frage schnell beantwortet:

Ist das Redekunst oder kann das weg?

Antwort: Das kann weg.

Aber da waren die letzten Tage auch differenziertere Beiträge aus berufenerem Munde als jenem von Klima-Ikone Greta Thunberg, die allzu eilfertig im digitalen Mülleimer landeten – beziehungsweise für eine Aufwallung sorgten, im Zuge derer die Urheber in völlig verfehlter Weise verfemt wurden.

Das begann mit der Eröffnungsrede des Philosophen Slavoj Žižek bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Der Slowene kam gar nicht umhin, auf den Krieg in Nahost zu sprechen zu kommen. Alles andere wäre seltsam und schräg gewesen. Žižek stellte den beispiellosen Terrorangriff der Hamas als das dar, was es war: ein bestialisches, unmenschliches Massaker. Im weiteren Verlauf seiner Rede erlaubte sich einer der bedeutendsten zeitgenössischen Intellektuellen Europas, historische Kontexte aufzuzeigen – nicht um zu relativieren oder zu klittern. Sondern um die Zusammenhänge zu beschreiben, in denen dieser barbarische Überfall auf Zivilisten mit mehr als tausend zum Teil schlimmst geschändeten und verstümmelten Toten stattfand.

Darf das ein Intellektueller nicht? Er muss es sogar. Sonst kann man es sich schenken, einem Denker zuzuhören, der kein Politiker ist und sein Denken nicht bei der bloßen Beschreibung des Entsetzlichen enden lassen kann.

Nächstes Beispiel: UN-Generalsekretär António Guterres, der festhielt, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattgefunden hätten. Schließlich erwischte es Christoph Heusgen, langjähriger deutscher Chefdiplomat und geachteter Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz: weil er Guterres gegen Kritik in Schutz nahm.

Das Binäre hat den Diskurs erobert

Das Binäre hat auf erschreckende Weise den öffentlichen Diskurs erobert. Es gibt nur noch Schwarz oder Weiß, Gute oder Böse, richtig oder falsch. Der Mensch hat eine Neigung zu diesem binären Denken: Ketchup oder Mayo, Bayern oder Dortmund, Beatles oder Stones früher – vor der Wokeness: Cowboy oder Indianer. Weltpolitische Vorgänge sind aber weder Fritten noch Fußball noch Fasching. Weltpolitik ist komplex. Wer sie nur binär begreift, wird ihr weder gerecht noch wird er zu Lösungen kommen. So ist das allemal mit dem Nahostkonflikt, einem der Dauerbrenner unter den weltweiten Krisenherden. Man muss der Hamas alle Schuld an diesem neuen Krieg aufladen, man muss Israel jedes Recht auf Selbstverteidigung zugestehen in dieser Situation. Aber das kann doch nicht dazu führen, dass intelligente und kundige Menschen gleichsam die Reset-Taste drücken und alles drumherum im Angesicht des schrecklichen Geschehens vergessen.

Das schlichte duale Denken ist wie gesagt im Menschen angelegt. Das Digitale mit seinen Separees, seinen Blasen und Echoräumen hat diese dem Menschen eigene Veranlagung aufs Furchtbarste verstärkt. Bis hinein in die UN-Vollversammlung scheint sich dieses "Bist Du nicht bedingungslos für mich, so bist Du mein Feind" hineingefressen zu haben. Jedenfalls war Jean Asselborn, luxemburgischer Außenminister, der es miterlebt hat, vor wenigen Tagen im Deutschlandfunk nicht anders zu verstehen.

Die Enthaltung Deutschlands in den UN ist kein Grund für Furor

Deshalb ist übrigens auch weder Außenministerin Annalena Baerbock noch den anderen 45 Nationen ein Vorwurf zu machen, wenn sie sich bei der von der arabischen Welt initiierten und bis in die Schlussfassung zu einseitig intonierten UN-Resolution enthalten haben. Enthaltung ist keine Zustimmung, auch wenn das die "Bild"-Zeitung in einer blindwütigen Kampagne der angeblichen Schande so darstellen will. Eine Enthaltung ist eine Enthaltung. Eine Enthaltung sagt: Dem konnte man nicht zustimmen. Es ist aber auch nicht alles falsch darin, es fehlt eben nur eine ganze Menge an Essenziellem. So wie dem Chefreporter Paul Ronzheimer von "Bild" so ziemlich alles für einen Chefdiplomaten, auch wenn er sich manchmal so vorkommen mag.

"Er hat 'Jehova' gesagt!"

Rückblende: Haben wir nicht alle und aus gutem Grund mit den Augen gerollt, als der eher schlicht gestrickte US-Präsident George W. Bush zu Zeiten des verfehlten zweiten Irakkriegs dekretierte: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns"? Der unangemessen reflexhafte Umgang mit diesem enorm komplexen und schweren Thema Nahost erinnert an die Steinigungsszene in der Monty-Python-Klamotte "Das Leben des Brian". "Er hat 'Jehova!' gesagt!" – und schon prasseln die Steine auf den Zeremonienmeister nieder. Wenn es in der Wirklichkeit nicht so traurig wäre, wäre es witzig.

Friedrich Nietzsche hat in seinem gleichnamigen Werk gesagt, erst "Jenseits von Gut und Böse" beginne das Denken. Der Nietzsche der Moderne, Peter Sloterdijk, hat jüngst ein Buch über die Farbe Grau geschrieben, eine Ode an die Zwischentöne. Weil er das Schwarz und Weiß unserer Zeit nicht mehr ertragen hat. "Solange man das Grau nicht gedacht hat, ist man kein Philosoph", sagt er in Anlehnung an Paul Cézannes berühmtes Maler-Bonmot.

Und auch kein rechtschaffen politischer Mensch, darf man getrost ergänzen. Daher: Werdet alle etwas grauer und nicht immer greller.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen, Friedriche Nietzsche, Peter Sloterdijk, Monty Python's
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