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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umwelthilfe-Chef zu Gift Glyphosat "Die Grünen machen sich klein"
Wird Glyphosat weiter erlaubt? DUH-Chef Resch fände das skandalös. Ein Gespräch über Lobbyismus und eine mögliche Radikalisierung der Letzten Generation.
Er ist spätestens seit der Aufdeckung des Dieselskandals Deutschlands prominentester Umweltschützer: Jürgen Resch, Chef der gemeinnützigen Umweltschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe (DUH). Seit Jahren kämpft er an vielen Fronten für Klima-, Verbraucher- und Umweltschutz. Er wird jedoch wegen seiner Klagefreudigkeit und teils streitbaren Aktionen nicht nur von Politikern und Industrievertretern kritisch gesehen, sondern auch von manchen Umweltaktivisten. Zum Beispiel, als er 2019 Beugehaft gegen Spitzenpolitiker wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder durchsetzen wollte. t-online traf Resch für ein Video-Interview.
t-online: Herr Resch, Sie haben sich mit etlichen großen Industriekonzernen wie Audi und VW, Lidl, Coca-Cola angelegt. Auch Pestizidhersteller wie Bayer sind Ihnen ein Dorn im Auge. Warum?
Jürgen Resch: Die Macht der Pestizidkonzerne ist übermächtig, wie das Beispiel Glyphosat zeigt.
Die EU-Mitgliedsstaaten stimmen darüber ab, ob der hochumstrittene Unkrautvernichter Glyphosat weitere 10 Jahre zugelassen wird, wie es die EU-Kommission vorschlägt. Welches Ergebnis erwarten Sie?
Wir können es noch nicht absehen. Aber es ist leider möglich, dass der Einsatz für weitere zehn Jahre erlaubt bleibt.
- Glyphosat: Deshalb ist das Mittel so umstritten
Glyphosat steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Es schädigt nachweislich auch Insekten – was unser aller Nahrungsmittelversorgung gefährdet. Wie lässt sich erklären, dass das Mittel bislang trotzdem nicht vom Markt genommen wurde?
Das Erpressungspotenzial durch die immer größer werdenden Industriekonzerne ist gewachsen. Mit teuren PR-Kampagnen malen sie Schreckensszenarien an die Wand: Neben Arbeitsplatzverlusten vor allem eine angebliche Nahrungsmittelknappheit. Die Konzerne verfügen mittlerweile über Hundertschaften an Lobbyisten, beschäftigen PR- und Politikbeeinflussungsagenturen, um ihre Interessen durchzusetzen.
Auch beim Dax-Konzern Bayer, der sich Glyphosat durch die Übernahme von Monsanto einverleibt hat?
Das gilt gerade für Bayer. Nehmen Sie Matthias Berninger, der früher grüner Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium war und nun als Oberlobbyist von Bayer behauptet, nachhaltige Landwirtschaft gehe nur mit Glyphosat- (Berninger war unter anderem von 2001 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Seit 2019 leitet er bei der Bayer AG den Bereich "Öffentlichkeit und Nachhaltigkeit". Anm. d. Red.). Die Machtbalance zwischen Konzernen und Politik hat sich gefährlich verschoben. Entscheidungen der Politik gegen massive Wirtschaftsinteressen werden so immer schwieriger. Kürzlich sprach ich mit der Staatssekretärin von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und erlebte wieder, welche Ängstlichkeit hier herrscht, eine harte Entscheidung gegen die chemische Industrie zu treffen.
Lässt sich so etwas wirklich allein durch Lobbyisten mit politischer Expertise erklären?
Politische Ämter sind zeitlich begrenzt und enden oft überraschend. Da ist es verlockend, wenn es Anreize für die Zeit danach gibt.
Welche sind das?
Auf einen Bundestagsabgeordneten kommen dem amtlichen Register zufolge 40 registrierte Lobbyisten. Manche sind ehemalige Abgeordnete derselben Partei, meist handelt es sich um kluge Gesprächspartner, die gerne mit fachlicher Expertise oder im Wahlkampf auch mal mit Spenden aushelfen. Vor allem aber wird nach meiner Beobachtung regelmäßig für eine mögliche rosige Zukunft geworben: Sollte es mit der Wiederwahl nicht klappen, holen wir dich gern zu uns als Experte – in einen top bezahlten Job mit vielen Vorzügen. Wenn Konzerne Politiker damit ködern, dass sie nach ihrer politischen Karriere sehr weich fallen, verhindert das oft harte Entscheidungen gegen die Konzerninteressen.
Jürgen Resch ist ein deutscher Umweltaktivist und seit 1988 Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die DUH deckte den Dieselskandal der Autoindustrie federführend auf und setzte unter anderem Dieselfahrverbote und das Dosenpfand durch. Gerade ist Reschs Buch "Druck machen! Wie Politik und Wirtschaft wissentlich Umwelt und Klima schädigen – und was wir wirksam dagegen tun können" erschienen.
Glyphosat gilt als eines der am besten erforschten Herbizide weltweit. Und in der EU gilt das Vorsorgeprinzip, wonach denkbare Schäden für Umwelt und menschliche Gesundheit im Voraus vermieden werden sollen. Sind Verbraucher damit nicht genug geschützt?
Der Staat versagt aktuell in seiner Schutzaufgabe, wenn es um die Interessen großer Konzerne geht. Umso wichtiger ist es, dass die Zivilgesellschaft aufmerksam und aktiv bleibt und dort, wo Regierungen und Behörden untätig bleiben, die Gerichte als letzte Instanz entscheiden. Die DUH musste jahrelang für dieses neue Klagerecht kämpfen. Seit einem Jahr können wir nun solche skandalösen Produktzulassungen wie glyphosathaltige Pestizide vor deutsche Gerichte bringen. Und ich bin zuversichtlich auch für Deutschland: In Frankreich haben Gerichte gerade in einem Parallelverfahren zwei Glyphosat-Produkte verboten.
In den USA haben Gerichte entschieden, dass das Pestizid Krebs ausgelöst hat. Die EU bleibt bei der Einschätzung "wahrscheinlich krebserregend". Allerdings gilt für Produktzulassungen auch, dass Unternehmen selbst die nötigen Studien durchführen oder in Auftrag geben dürfen.
Exakt das ist das Problem – genau wie bei Autozulassungen: Konzerne können dadurch einfach unliebsame Studien unterschlagen und untersuchen so lange weiter, bis die Analysen das gewünschte Ergebnis haben.
Die DUH ist klagefreudig, auch weil das Aufsehen verspricht. Sind Sie ein "Abmahnverein", wie manche Ihnen vorwerfen?
Der Bundesgerichtshof hat vor einigen Jahren endgültig entschieden, dass wir ausdrücklich kein Abmahnverein sind, sondern im Gegenteil zu Recht Staat und Wirtschaft bei schweren Verstößen vor Gericht bringen. Da es um Milliardeninteressen auf der Gegenseite geht, ist es auch nicht verwunderlich, wenn beispielsweise aus der Automobilwirtschaft sogar geschützte Benutzergruppen im Internet mit 50.000 Teilnehmern eingerichtet werden, in denen zu Hass und Gewalt gegen die Deutsche Umwelthilfe aufgerufen wird. Es ist unglaublich, wie dort darüber debattiert wird, die DUH zu stoppen. Zum Beispiel welcher Einschusswinkel im Hinterkopf und welche Munition geeignet ist.
Was tun Sie dagegen?
Foren, in denen systematisch zu Gewalt aufgerufen wird, müssen geschlossen werden. Der Facebook-Konzern Meta weigert sich, dieser Forderung nachzukommen. Also habe ich Meta verklagt. Im November verhandelt das Landgericht Berlin meine Klage und das wird eine Grundsatzentscheidung auch für viele weitere Menschen.
Die Aktionen der Letzten Generationen sorgen bei vielen Menschen eher für Ärger als für Sympathie. Verfehlt man mit dem Versperren von Straßen und Kartoffelbrei-Würfen auf Gemälde nicht das Ziel, eine breitere Masse für die gute Sache zu gewinnen?
Das ist nicht meine Strategie und ich lehne jede Gewalt gegen Sachen oder Menschen klar ab. Aber ich verstehe auch, warum sich jemand aus Sorge um die Umwelt und seine oder ihre Zukunft den Autoverkehr behindert. Ich finde interessant, wie hart der Staat auf die Klimakleber reagiert und wie nachsichtig bei Wirtschaftskriminellen wie den Dieselgate-Verantwortlichen, die wirklich die Gesundheit der Menschen und das Klima schädigen.
Haben Sie Sorge, dass sich Protestgruppen irgendwann aus Frust radikalisieren?
Ich hoffe darauf, dass es keine Radikalisierung erfolgt. Leider provoziert der Staat mit unverhältnismäßiger Härte. Warum gibt es eigentlich keine 28 Tage Vorbeugehaft für Manager von Industriekonzernen, wenn die ankündigen, gegen den Klimaschutz zu handeln?
Lassen Sie uns kurz über die deutsche Regierung reden. Die Ampel-Koalition kommt bei Ihnen zurzeit nicht gut weg. Warum?
Wir haben im Moment eine Anti-Klimaschutz-Koalition. Natürlich ist den Grünen Klimaschutz noch wichtig. Aber faktisch bestimmt die FDP die Klimapolitik dieser Regierung – mit negativen Vorzeichen. Wenn ich mit Grünen spreche, höre ich permanent, man könne bestimmte Dinge nicht fordern, damit würde man die FDP verärgern. Im Gespräch mit SPD und FDP-Politikern höre ich das umgekehrt nie. Den Grünen fehlt die Bereitschaft, für einen wirklichen Umwelt- und Klimaschutz auch einmal wirklich zu kämpfen. Sie machen sich klein – obwohl sie doppelt so viele Abgeordnete in der Koalitionsregierung haben.
Würden Sie die Grünen lieber in der Opposition sehen?
Natürlich wünsche ich mir eine starke ökologische Kraft in der Bundesregierung. Faktisch fehlt diese aber. So erleben wir derzeit einen massiven Ausbau fossiler Energiestrukturen und eine Rückabwicklung selbst der wenigen Klimabeschlüsse des Koalitionsvertrages. Der Verzicht auf ausreichend gedämmte Neubauten und die Absage der Sanierung öffentlicher Gebäude wird ergänzt durch die katastrophale Performance beim Heizungsgesetz. Dies führt zu einem Boom bei neuen Ölheizungen und einem Einbruch der Installation von Wärmepumpen um 70 Prozent. In der Opposition wären die Grünen bei diesen Themen zu Höchstform aufgelaufen und hätten sicher die aktuell geplante Entkernung des Klimaschutzgesetzes zu verhindern versucht.
Herr Resch, vielen Dank für das Gespräch!
- Persönliches Gespräch mit Jürger Resch via Videokonferenz