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Söder und Aiwanger beim Gillamoos: Gandhi im Bierzelt


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Aiwanger-Affäre beim Jahrmarkt Gillamoos
Gandhi im Bierzelt


Aktualisiert am 04.09.2023Lesedauer: 5 Min.
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Auftritt beim politischen Frühschoppen Gillamoos: Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sprach die Flugblatt-Affäre nur am Rande an. (Quelle: Sven Hoppe/dpa)
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Auf einem bayerischen Volksfest versuchen Markus Söder und Hubert Aiwanger einen Neuanfang. Das Auschwitz-Flugblatt erwähnen sie nicht – doch der Skandal holt sie auch hier ein.

Der Held trägt Trachtenjanker und einen überlegenen Gesichtsausdruck. Denn der Held glaubt, dass er gewonnen hat. Der Held heißt Hubert Aiwanger und schreitet, nein, stürmt an diesem Montagmorgen zu seinem Auftritt in eine riesige Scheune. Alles kann ihm gar nicht schnell genug gehen. Ungeduldig wartet er den Blasmusik-Marsch und auch die Vorredner ab.

Dann, endlich, ist es so weit. Aiwanger springt auf die Bühne, beugt sich vor und ruft: "Vielen, vielen Dank, dass ihr gekommen seid!" Bald schon werden ihm die Schweißperlen auf der Stirn stehen. Großer Jubel, einige rufen "Hubsi", Aiwanger kommt anfangs kaum zum Sprechen, sein Publikum glüht vor Glück. Ihr Held ist wieder da.

War was? Nein, was soll schon sein.

Es ist Tag eins nach Aiwangers Freispruch durch Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident hatte am Sonntagmittag erklärt, der Skandal um seinen Vize Aiwanger sei "abgeschlossen", eine Entlassung wäre "nicht verhältnismäßig". Aiwanger hatte eingeräumt, ein antisemitisches Auschwitz-Flugblatt als Schüler mit sich herumgetragen zu haben. Klassenkameraden von damals erzählten, er habe den Hitlergruß gezeigt, judenfeindliche Witze gerissen. Und der Spruch "Schwarzbraun ist die Negersau" soll auf seinem Ordner geprangt haben, wie es eine Zeugin dem "Spiegel" berichtete. Aiwanger sagt, er könne sich an vieles nicht mehr erinnern und bedauere, wenn er Menschen verletzt haben sollte. Und Markus Söder will das Bündnis mit ihm fortsetzen.

Doch heute, an diesem Montagvormittag, soll das alles weit hinter ihm gelassen werden. Hier auf dem Volksfest Gillamoos in Abensberg, einer Art politischem Aschermittwoch im September. Die Luft trieft vom Fett der Brathähnchen, mancher sitzt bereits beim dritten Bier.

Söder und Aiwanger sprechen in verschiedenen Hütten, doch sie betreten um kurz nach elf Uhr zeitgleich die Bühnen. Und sie haben dieselbe Mission: weg vom Skandal, zurück zur Normalität. Es wird ein Schauspiel des Schweigens, das die beiden da aufführen. Kein Wort zum Auschwitz-Flugblatt, kein Wort zu dem großen Skandal. Das ist die Strategie, mit der beide ihre Macht sichern wollen.

Auf Schildern steht: "Wir halten Zam"

In der riesigen Scheune des "Weißbierstadl", wo Aiwanger an diesem Montagmorgen auftritt, liegt auf den Tischen die Nationalhymne aus. Auch große Schilder finden sich dort, die von den Besuchern hochgehalten werden sollen: "Wir halten Zam". Freundlich lächelnd lassen sich einige Besucher damit fotografieren.

Aiwanger überlässt es politischen Weggefährten, über seinen eigenen Skandal zu sprechen, kurz bevor er selbst die Bühne betritt. Seine Generalsekretärin sagt: "Eine riesige Kampagne hält uns seit über einer Woche in Atem. Halte durch, Hubert!"

Aber der Hubert muss gar nicht durchhalten, der Hubert hat längst wieder Kraft geschöpft. Er strahlt bei den Worten seiner Kollegin. Aiwangers parlamentarischer Geschäftsführer, Fabian Mehring, zitiert dann noch Gandhi: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, dann gewinnst du." Und das Gewinnen, das steht nun direkt bevor, glaubt Aiwanger.

Solche Sätze sind die Startrampe für Aiwanger an diesem Morgen. Er holt weit aus, skizziert seine großen Pläne. Und immer wieder betont er, wie wichtig die Freien Wähler sind: "Wer arbeitet, muss mehr Netto vom Brutto haben, meine Damen und Herren!"

Es vergeht eine Viertelstunde, dann eine halbe Stunde. Zum Auschwitz-Flugblatt kein Wort. Dann geht alles sehr schnell. In einem atemberaubenden Tempo pflügt sich Aiwanger durch die politische Großwetterlage. Kein Satz ist ihm zu scharf, keine Metapher zu abgedroschen, kein Vergleich zu groß. Er donnert über die Bundesregierung: "Dieses Land wird derzeit politisch tief gespalten! Bis hin zu einer Situation der Regierungsunfähigkeit – wenn sie so weiter machen!" Tosender Applaus. Man würde sich nicht wundern, wenn Aiwanger jetzt im Überschwang noch seinen Bierkrug an die Wand werfen würde. Aber er beherrscht sich, der Bierkrug bleibt stehen, die Stimmung bei seinen Anhängern brodelt auch so.

Söder macht sich über Klimaaktivisten lustig

Wenige Meter Luftlinie entfernt spricht der Mann, der mit ihm weiter regieren will: Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident. Er trägt ein weißes Hemd. Zum Oktoberfest-Lied "Bayern, des samma mia" läuft er auf die Bühne, die Menge schunkelt. Und Bayern, das ist jetzt vor allem auch Markus Söder. Er spricht viel über sich, darüber, wie gut er dieses Bundesland, das selbstverständlich das beste der Welt sei, regiert. Er macht sich über Klimaaktivisten lustig. Doch auch bei Söder verrinnt die Zeit. Kein Wort verliert er zu dem Skandal um seinen Vizeministerpräsidenten.

Bei Söder im Zelt sitzt an diesem Tag CDU-Chef Friedrich Merz. Merz weiß, wie gefährlich der Skandal um Aiwanger ist, er hat dessen Umgang mit dem Auschwitz-Flugblatt scharf kritisiert. Doch Söder wollte sich dem nicht anschließen, denn er steckt bei dieser ganzen Affäre in der Klemme: Einerseits kann er sich nicht von Aiwanger abwenden. Er muss verhindern, dass sein Vize sich zum politischen Märtyrer aufschwingt. Deshalb hat er ihm 24 Stunden zuvor den Rücken gestärkt. Andererseits muss er klarmachen, dass er von den ganzen Vorwürfen gegen Aiwanger mindestens stark irritiert ist. Söder hat das am Sonntag so gelöst, dass er betonte, wie schwer er sich die Entscheidung gemacht habe.

Friedrich Merz wiederum, der kurz vor Söder an diesem Morgen spricht, stärkt Söder demonstrativ den Rücken, wenn er ihn lobt: Bravourös habe der die verdammt schwierige Aufgabe der vergangenen Tage gelöst, sagt Merz.

Aiwanger, der schon am Vortag sagte, der ganze Skandal sei der Versuch, ihn zu "ertränken", hat nun, 24 Stunden später, wieder Oberwasser. Denn nachdem Söder und er beide eine halbe Stunde gesprochen haben, folgt eine besondere Szene. Um kurz vor halb zwölf attackieren Hubert Aiwanger und Markus Söder zeitgleich die Grünen. Söder sagt: "Kehrt vor eurer Haustür, bevor ihr das gesamte Land dafür bestrafen wollt."

Gemeinsam greifen sie die Grünen an

Aiwanger sagt über das Heizungsgesetz: "Wir können nicht die überwiegende Mehrheit ausblenden." Dann geht es um die Cannabis-Legalisierung. Söder ruft: "Ich will keine Drogen auf bayerischen Straßen." Aiwanger sagt, Jugendliche könnten von der Droge "schwer geschädigt werden". Applaus und im Hintergrund klirren die Bierkrüge.

Es ist klares Kalkül: Gemeinsam die Partei angreifen, die Söders andere Regierungsoption gewesen wäre. Deutlicher können Söder und Aiwanger kaum demonstrieren, dass sie weiterregieren wollen. Und zwar gemeinsam.

Dann ist es schon vorbei im "Weißbierstadl". Aiwanger ruft die Schlussworte: "Ich bitte Sie um Unterstützung für die Freien Wähler, Gott beschütze Sie! Vielen Dank!" Die Zuhörer springen von den Bierbänken auf, sie brüllen "Hubert! Hubert!" Kein Wort zum Auschwitz-Skandal von Aiwanger.

Markus Söder wäre aber nicht Markus Söder, wenn er nicht doch noch eine besondere Spitze unterbrächte: "Ich möchte, dass Bayern, Bayern bleibt, auch wenn die Welt sich ändert. Dafür werde ich mich zerreißen, nicht in einer Viertagewoche, sondern rund um die Uhr." Und dann fügt er noch hinzu: "Die Zukunft Bayerns steht auf dem Spiel."

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Das ist ein besonderer Satz. Eine ähnliche Formulierung hatte Bundeskanzler Olaf Scholz zuvor zum Aiwanger-Skandal benutzt. Es klang wie eine Warnung bei Scholz. Bei Söder auf der Bühne klingt es mehr wie eine Garantie, dass er selbst schon für die Zukunft Bayerns sorgen wird. Aiwanger hin, Aiwanger her.

Draußen gleißt das Licht, die ersten Menschen drängen zu den Ausgängen. In der "Bild"-Zeitung schreibt der Kolumnist Franz-Josef Wagner an diesem Tag: "Aiwanger ist nicht betroffen. Er ist der König der Bierzelte. Er feiert. Wird gefeiert – als wäre nichts gewesen." In Ingolstadt liegt eine Zeitung verloren auf dem Tisch, die niemand beachtet. "Der Aiwanger macht das schon recht", sagt ein junger blonder Mann in Lederhosen zu seiner Begleitung.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche beim Volksfest Gillamoos im niederbayerischen Abensberg
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