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Aiwanger-Affäre im Überblick: Flugblatt, Hitlergruß und fragwürdige Lektüre


Vorwürfe gegen Aiwanger
Jeden Tag wird es schlimmer

Von t-online, sje

31.08.2023Lesedauer: 5 Min.
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Hubert Aiwanger: Wie steht er wirklich zu dem Flugblatt, das vor 35 Jahren an seiner Schule kursierte? (Quelle: IMAGO)
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Seit knapp einer Woche sammeln sich die Vorwürfe gegen Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger. Dieser weist sie zurück – zumindest teilweise. Ein Überblick.

Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger steht unter Druck: Nach den Vorwürfen rund um ein antisemitisches Flugblatt gibt es immer mehr Anschuldigungen gegen den 52-Jährigen, der auch Wirtschaftsminister und Chef der Freien Wähler ist. Er selbst unterdessen betont unterdessen, kein "Antisemit oder Extremist" zu sein.

t-online gibt den Überblick über die Entwicklungen seit dem ersten Medienbericht über das Flugblatt.

Medienbericht über antisemitisches Flugblatt

Am 25. August – vergangene Woche Freitag – berichtete die "Süddeutsche Zeitung" (SZ), Aiwanger habe wohl als 17-Jähriger im Schuljahr 1987/88 ein antisemitisches Flugblatt verfasst und in seiner Schule, dem Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg, ausgelegt. Wie das Flugblatt aussieht und was in dem Dokument steht, sehen Sie hier.

Die Zeitung berief sich dabei auf mehrere Zeugen, denen zufolge Aiwanger seinerzeit als Urheber des Pamphlets zur Verantwortung gezogen worden sei. Ins Rollen gebracht haben soll die Affäre wohl ein ehemaliger Lehrer Aiwangers – der dies schon länger geplant haben könnte.

Aiwanger weist Urheberschaft an Flugblatt zurück

Am Samstag nahm Hubert Aiwanger dann über einen Sprecher der Freien Wähler ausführlicher Stellung. "Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend", hieß es in einer schriftlichen Erklärung. "Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären." Er gestand jedoch ein, dass das Pamphlet bei ihm gefunden worden sei.

"Daraufhin wurde ich zum Direktor einbestellt. Mir wurde mit der Polizei gedroht, wenn ich den Sachverhalt nicht aufkläre." Als Ausweg sei ihm angeboten worden, ein Referat zu halten. "Dies ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache für die Schule erledigt."

Am Samstagabend kam es dann, wie Hubert Aiwanger angekündigt hatte: Die Freien Wähler veröffentlichten eine persönliche Erklärung von seinem Bruder Helmut, in dem dieser zugab, Verfasser des Flugblattes zu sein. Er distanziere sich von dem Inhalt und bedauere die Folgen. "Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war. Ich war damals noch minderjährig."

Söder bestellt Aiwanger ein

Am Montag bestellte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder seinen Vize dann zu einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses am Dienstag ein. "Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten", sagte der Chef der bayerischen Staatskanzler, Florian Herrmann (CSU). "Die Vorwürfe sind zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt."

Ebenfalls am Montag meldete sich der Bruder Aiwangers erneut zu Wort. Er sagte den Zeitungen der Mediengruppe Bayern, das Flugblatt könne bei Hubert Aiwanger gefunden worden sein, weil dieser es habe einsammeln wollen. "Ich bin mir nicht mehr ganz sicher", sagte er. "Aber ich glaube, dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren."


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"Ich glaube, dass Hubert sie eingesammelt hat."


Helmut Aiwanger am Montag


Er selbst habe mit dem Flugblatt seine "offen linksradikalen" Lehrer provozieren wollen. "Ich habe das Schriftstück nicht erstellt, um Nazis zu verherrlichen, den Holocaust zu leugnen oder Hass und Gewalt zu schüren", erklärte er. Helmut Aiwanger sprach stattdessen von einer "stark überspitzen Form der Satire" und einer "Jugendsünde".

Söder hält an Aiwanger fest – 25 Fragen gestellt

Am Dienstag tagte dann der Koalitionsausschuss. Zuvor waren in Bayern und auf Bundesebene Rücktrittsforderungen laut geworden. Als Söder vor die Presse trat, gab er bekannt: Sein Vize darf vorerst bleiben. Aiwanger solle einen Katalog mit 25 Fragen schriftlich beantworten – eine Frist dafür wurde nicht genannt. Dieser habe das zugesagt, und wolle gegebenenfalls auch alte Schulakten öffnen lassen. Erst danach könne man den Fall abschließend bewerten, so der Ministerpräsident.

Flugblatt in KZ-Gedenkstätte Dachau als Negativbeispiel archiviert

Am Dienstagabend bestätigte eine Sprecherin der KZ-Gedenkstätte Dachau: Das Flugblatt ist als Teil einer Schülerarbeit dort archiviert. Die "Welt" hatte zuerst darüber berichtet. Die Zeitung hatte herausgefunden, dass das Flugblatt in der Schülerarbeit "Letzte Heimat Steinrain? Zur Geschichte des Judenfriedhofs bei Mallersdorf-Pfaffenberg" von Roman Serlitzky abgedruckt ist.

In der Arbeit heißt es: "Als Negativbeispiel, wie sich andere Jugendliche derselben Altersstufe mit dem 3. Reich beschäftigen, sei nicht verschwiegen ein Flugblatt, das in Schulklos zirkulierte und von der Schulleitung rechtzeitig kassiert wurde." Das Flugblatt bestätige einen "unterschwellig immer vorhandenen antisemitischen Trend", schreibt der Autor weiter. "Wo sich solcher Un-geist (sic!) regt, hat kein Jude eine Chance auf Heimat. Den braunen Sumpf gibt es noch."

Die Sprecherin der Gedenkstätte erläuterte, das Flugblatt sei in der Schülerarbeit ohne Nennung eines Verfassers abgedruckt. "Das Flugblatt liegt nicht als einzelnes Exemplar, sondern ausschließlich im Rahmen der Schülerarbeit vor."

Ex-Mitschüler: Aiwanger soll Hitlergruß gezeigt haben

Ebenfalls am Dienstagabend wurden neue Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger bekannt. Ehemalige Mitschüler sagten dem ARD-Magazin "Report München", der heute 52-Jährige habe beim Betreten des schon besetzten Klassenzimmers früher ab und zu "einen Hitlergruß gezeigt". Zudem habe Aiwanger "sehr oft diese Hitler-Ansprachen nachgemacht in diesem Hitler-Slang". Auch judenfeindliche Witze seien "definitiv gefallen".

Eindeutig waren diese Berichte der Zeitzeugen jedoch wohl nicht: Die Erinnerungen verschiedener Aiwanger-Mitschüler, mit denen BR-Reporter sprachen, seien "höchst unterschiedlich" gewesen, heißt es in dem Bericht.

Aiwanger: "Kein Antisemit, kein Extremist"

Am Mittwoch nahm Aiwanger dann erstmals persönlich vor Journalisten Stellung und bezeichnete sich als Demokrat. Für "die letzten Jahrzehnte" könne er diesbezüglich "alle Hände ins Feuer legen", sagte er in Donauwörth. Er sei "kein Antisemit, kein Extremist". Die Fragen von Söder habe er erhalten und werde sie sich "genau anschauen". Es sei korrekt, dass in seiner Schulzeit ein oder einige wenige Blätter in seiner Schultasche gefunden worden seien. Über andere Berichte müsse er jedoch "teilweise den Kopf schütteln".


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"Vielleicht kann das eine oder andere so oder so interpretiert werden"


Hubert Aiwanger am Mittwoch


Er sprach in diesem Zusammenhang von einer "Schmutzkampagne". Zu den Rückmeldungen, die er aktuell bekomme, sagte er: "Ich habe sehr, sehr überwiegend die Aussage, dass hier eine Schmutzkampagne gefahren wird und dass ich hier politisch und auch persönlich zerstört werden soll."

Ex-Mitschülerin: Aiwanger trug "Mein Kampf" mit sich

Am Mittwochabend berichtete die "Süddeutsche Zeitung", es habe sich eine weitere frühere Mitschülerin von Hubert Aiwanger gemeldet. Diese bestätige die Vorwürfe. Über Aiwangers Gesinnung sagte sie: "Er erzählte oft und gerne Witze über Auschwitz und Juden." Auch sie warf ihm vor, in der Schulzeit wiederholt die Hand zum Hitlergruß erhoben zu haben.

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Und: In seiner Schultasche habe er oft das Adolf-Hitler-Buch "Mein Kampf" mit sich geführt. Die Zeugin könne dies dem Bericht zufolge bestätigen, weil sie das Buch selbst in der Hand gehalten habe. An der Schule sei Aiwanger für seine rechtsextreme Haltung bekannt gewesen. Auf X (ehemals Twitter) wies Aiwanger die neuesten Vorwürfe zurück. "Wer lässt sich solchen Unsinn einfallen?", schrieb er.

Aiwanger: Hitlergruß "nicht im Entferntesten erinnerlich"

Gegenüber der "Bild"-Zeitung vom Donnerstag nahm Aiwanger zu den neuen Vorwürfen, er habe in der Schule den Hitlergruß gezeigt, Stellung. "Mir ist nicht im Entferntesten erinnerlich, dass ich so etwas gemacht haben soll", sagte der Freie-Wähler-Chef.

 
 
 
 
 
 
 

Nicht die ersten Vorwürfe gegen Aiwanger

Es sind nicht die ersten bundesweiten Schlagzeilen, die Aiwanger macht. Erst im Juni hatte er bei einer Kundgebung in Erdingen nahe München unter anderem gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die "Demokratie zurückholen" müsse. Ihm wurde daraufhin Populismus und eine an die AfD erinnernde Wortwahl vorgehalten. Derartige Vorwürfe weist er jedoch zurück. Er werde sich nicht mundtot machen lassen, sagt er dazu. Sein erklärtes Ziel ist es, potenzielle AfD-Wähler von Stimmen für die AfD abzuhalten und sie zu den Freien Wählern zu "locken".

Aiwanger gilt als der starke Mann der Freien Wähler, bayern- und auch bundesweit. Er sieht sich gerne als Vertreter der von ihm so bezeichneten "normalen Bevölkerung", von Landwirten und Handwerkern. In Bierzelten und bei anderen Auftritten teilt er regelmäßig gegen die Grünen und die Ampelregierung aus.

Seit 2018 regiert seine Partei als Juniorpartner mit der CSU von Markus Söder in Bayern. Auch auf den Ministerpräsidenten fällt die Affäre daher zurück: In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Söder erklärte zuletzt, die Koalition nach der Wahl trotz der Vorwürfe Parteichef Aiwanger fortsetzen zu wollen – allerdings hingen Koalitionen auch "nicht an einer einzigen Person".

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
  • twitter.com: Profil von Hubert Aiwanger
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