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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ampel-Regierung im Streit Der nächste Knall
Die Ampelregierung bemüht sich nach ihrer Klausur in Meseberg um Harmonie. Doch die Stimmung bleibt angespannt – und der Streit dürfte weitergehen.
Sie sehen zufrieden aus, wie sie da stehen. Olaf Scholz, Robert Habeck, Christian Lindner lächeln unter dem grauen Himmel von Brandenburg. Als hätten sie es abgesprochen.
Es ist 12 Uhr an diesem Mittwochmittag, zwei Tage lang haben die Minister und der Kanzler der Ampelkoalition zusammengesessen. Und nun verkünden die drei Frontmänner ihre Ergebnisse vor dem Schloss Meseberg.
"Wir haben sehr viele, sehr zahlreiche Beschlüsse auf den Weg gebracht", bilanziert der Bundeskanzler. Wirtschaftsminister Habeck findet, das sei "insgesamt eine sehr, sehr gute Tagung" gewesen. Und Finanzminister Lindner setzt hinzu: "Wir sind eine Regierung, wo gehämmert, geschraubt wird. Das führt zu Geräuschen – aber es kommt eben auch was raus."
Man könnte glauben: Es ist alles in bester Ordnung, es geht vorwärts. Nach Monaten der politischen Raufereien, Krisensitzungen und öffentlichen Attacken soll jetzt ein bisschen Frieden folgen. Die Wahrheit ist: Die Gräben in der Koalition sind noch immer tief. Es sind nicht nur Geräusche, wie Christian Lindner sagt. Gelegentlich ist es regelrechter Krach. Und der wird wohl so bald nicht leiser werden, allen Beteuerungen zum Trotz.
Der Krach wird nicht leiser werden
Dass die Fliehkräfte zunehmen, ahnte bereits vor der Klausur einer besonders: Kanzler Olaf Scholz. Scholz hatte deshalb appelliert, stärker an einem Strang zu ziehen. Weniger Zwist, mehr Dreisamkeit. Er drückte das so aus: "Wir haben eine sehr erfolgreiche Leistungsbilanz im letzten und in diesem Jahr." Und: "Es wäre natürlich gut, wenn alle mit ihren Kommunikationsstrategien dazu beitragen." Er wünsche sich "ein gutes Miteinander" für die Regierung. Da will, da muss einer alles zusammenhalten.
Und weil die Klausur auch Ergebnisse hervorbringen soll, werden die schon währenddessen groß verbreitet. Die Minister twittern, verschicken Pressemitteilungen, jeder will möglichst demonstrieren, wie stark es vorangeht. Schon am Dienstag präsentieren Scholz, Habeck und Lindner ein Papier mit dem Titel "10 Punkte für den Wirtschaftsstandort Deutschland", das zeigen soll, wie die Ampel gegen die Flaute ankämpft.
Justizminister Marco Buschmann lobt das Gesetz für den Abbau von Bürokratie, Gesundheitsminister Karl Lauterbach freut sich über die Digitalgesetze für mehr Forschung im Gesundheitswesen, und Verkehrsminister Volker Wissing sowie Wirtschaftsminister Robert Habeck bejubeln die neue Nationale Datenstrategie. Und Außenministerin Annalena Baerbock verkündet via Instagram, man müsse jetzt die "Ärmel hochkrempeln und anpacken."
Das ist der harmonische Teil der Koalition. Die Erfolge, die jetzt in den Vordergrund gerückt werden und alles andere überdecken sollen. Doch darunter gärt es.
Die Grünen ärgern sich
Wie empfindlich die Nerven der Ampelkoalition nach wie vor sind, zeigt sich nirgends so gut wie bei der Kindergrundsicherung. Ausgerechnet bei dem Projekt, das SPD, Grüne und FDP sicherheitshalber schon vor Meseberg befrieden wollten.
Das gelang zwar auch nach monatelangem Streit und vielen Krisengesprächen in der Nacht auf Montag in der Sache. Nur: Wirklich zufrieden sind zumindest die Grünen trotzdem nicht. Das liegt daran, dass sich viele insgesamt mehr Geld für arme Kinder gewünscht hätten. Aber eben auch daran, dass sich einige von den Koalitionspartnern wieder mal ungerecht behandelt fühlen.
Viele Grüne ärgern sich darüber, wie die Ampel die Einigung verkündet hat. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand, sondern auch öffentlich. Als Familienministerin Lisa Paus, Finanzminister Christian Lindner und Arbeitsminister Hubertus Heil am Montag vor die Presse traten, dominierte nämlich eine Zahl die Berichterstattung: 2,4 Milliarden Euro.
Die Summe sah aus wie eine herbe Niederlage für die Grünen, wie ein Bruchteil von dem, was Lisa Paus anfangs pro Jahr für die Kindergrundsicherung haben wollte: zwölf Milliarden Euro. Und sie lag auffällig nah an Christian Lindners Wunschvorstellung: zwei Milliarden. Allerdings war die Summe höchstens die halbe Wahrheit.
Denn bei den 2,4 Milliarden Euro für 2025 wird es in den Jahren danach längst nicht bleiben. Das liegt einerseits daran, dass die Reform ja gerade dazu führen soll, dass viel mehr Menschen das Geld auch bekommen, das ihnen zusteht. Aber eben auch daran, dass in den 2,4 Milliarden diverse Erhöhungen noch nicht eingerechnet sind, die wegen der Inflation längst absehbar und beschlossen waren.
So wie die Erhöhung des Bürgergeldes um gut zwölf Prozent, die Arbeitsminister Heil erst einen Tag später verkündet, am Dienstag. Da das Bürgergeld für Kinder bald in der Kindergrundsicherung aufgeht, führt allein das zu deutlich höheren Beträgen. Schon 2028 rechnet Paus deshalb mit 5,6 Milliarden Euro. So steht es im Gesetzentwurf – der ebenfalls erst am Dienstag bekannt wird. Später rechnen die Grünen sogar mit weiteren Milliarden.
Als die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann am Dienstag gefragt wird, warum das mit dem Bürgergeld dann nicht auch mit der Kindergrundsicherung angekündigt wurde, sagt sie: "Ich hätte mir gewünscht, es wäre gestern schon vorgestellt worden. Warum das nicht erfolgt ist, müssen Sie Hubertus Heil fragen."
Deutlicher kann eine Spitzenkoalitionärin ihren Ärger kaum formulieren, ohne einen Eklat zu provozieren. Den Ärger über eine aus grüner Sicht kleingerechnete Kindergrundsicherung.
Der Streit um den Industriestrompreis bleibt
Und auch wenn die Ampel sich in Meseberg alle Mühe gegeben hat, herauszustellen, was sie gegen die Wirtschaftsflaute schon alles unternimmt – der Streit über den richtigen Weg wird nicht aufhören. Das liegt vor allem am Industriestrompreis.
Die FDP lehnt diese Subvention für energieintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb prinzipiell ab. "Wir können nicht alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, alle Betriebe, den Bäcker und Handwerksbetrieb, den mittelständischen Betrieb, den reduzierten Strompreis für einige wenige Konzerne zahlen lassen", sagte Finanzminister Lindner der "Welt" am Dienstag. Und Kanzler Scholz ist auch noch nicht überzeugt.
Die Grünen finden weiterhin, dass es ihn braucht. "Das Wachstumschancengesetz alleine ist aus unserer Sicht zu klein", sagte Fraktionschefin Katharina Dröge am Dienstag. Die Hoffnung, dass der Industriestrompreis doch noch kommt, haben die Grünen noch nicht aufgegeben – auch wenn sich die Ampel in Meseberg noch nicht dazu durchringen konnte.
Mut macht den Grünen, dass inzwischen nicht nur die SPD-Bundestagsfraktion Druck auf ihren Kanzler Scholz ausübt, sondern auch mehrere Bundesländer und Verbände. Und noch etwas anderes lässt die Hoffnungen auf einen Industriestrompreis weiterleben: Der 10-Punkte-Plan aus Meseberg selbst hält fest, dass das noch nicht alles war: Die Bundesregierung "arbeitet an einer konsistenten und belastbaren Strategie" für die Energieversorgung und "für bezahlbare Strompreise, gerade auch für Wirtschaft und Industrie", heißt es dort.
Ausgeschlossen wird in dem Papier nur eine "Dauersubvention" als Lösung für das Strompreisproblem. Die aber fordert niemand. Selbst Robert Habecks ursprüngliches Konzept sieht die Subvention nur als "Brücke" bis 2030 vor. Später sprach er sogar nur noch von drei bis fünf Jahren.
Gesprächsbereitschaft ist bei den Grünen also vorhanden. Nur ändert die etwas an den grundsätzlichen Bedenken, die FDP, Kanzler und auch mehrere Ökonomen beim Industriestrompreis haben?
"Mehr ist dazu nicht zu sagen. Heute jedenfalls nicht."
Trotz des offensichtlichen Willens zur Harmonie lässt auch Robert Habeck auf der Pressekonferenz in Meseberg mehrfach erkennen, dass er die Debatte noch nicht für beendet hält. Als er gefragt wird, ob er schon mit der EU-Kommission über die Möglichkeit eines Industriestrompreises gesprochen habe, bejaht Habeck das – und schiebt hinterher: "Mehr ist dazu nicht zu sagen. Heute jedenfalls nicht."
Manche Grüne wünschen sich, dass der Kanzler den Streit diesmal nicht so lange laufen lässt wie bei der Kindergrundsicherung. Oder gar beim Heizungsgesetz. Sondern die Koalition mal führt. Nur garantiert das dann auch mehr Harmonie, wenn das Ergebnis am Ende nicht so ausfällt wie gewünscht?
Den nächsten Ärger könnte es bereits in der kommenden Woche geben. Da soll es im Bundestag endlich ums Heizungsgesetz gehen. Eigentlich hat sich die Koalition in allen Details geeinigt – was fehlt, ist der Beschluss. Eigentlich. Aus der FDP heißt es, prinzipiell wolle man nicht nachverhandeln. Ausgeschlossen sei das aber auch nicht. Der Frieden von Meseberg – er könnte nur wenige Tage halten.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen