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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lebenslauf ist nur heiße Luft Der Hochstapler-Kandidat
Ein AfD-Europakandidat hat keinen Berufsabschluss und doch einen angegeben. Jetzt zeigen Recherchen: Sein Lebenslauf besteht aus aufgebauschten Halbwahrheiten. Hält die Partei trotzdem an ihm fest?
Tarnen, tricksen, täuschen: So hat es Arno Bausemer aus Sachsen-Anhalt auf den aussichtsreichen Listenplatz 10 der AfD für die Europawahl geschafft. Nicht nur hat der Europa-Kandidat einen Berufsabschluss angegeben, den sein damaliger angeblicher Ausbilder bestreitet. Neue t-online-Recherchen legen nahe, dass sein Lebenslauf bis zur Unkenntlichkeit geschönt wurde.
Das könnte sich für ihn auszahlen. Sollte die AfD ähnlich viele Stimmen erhalten, wie Umfragen es derzeit andeuten, zöge Bausemer fast sicher ins Parlament ein – und erhielte damit monatliche Bezüge in Höhe von über 9.000 Euro brutto, zuzüglich Kostenvergütung und Tagegeld. Hält die Partei trotz seiner Hochstapeleien an ihm fest?
Was wirklich dahinter steckt
Die Unregelmäßigkeiten lassen ein System erahnen: Ein Praktikum wurde zum Volontariat, Hilfstätigkeiten und eine gescheiterte Ausbildung offenbar zur Berufserfahrung als "Freier Journalist" – für manche Referenzen gibt es keinerlei Belege. Begründete Zweifel gibt es auch an seiner Tätigkeit als "Geschäftsführer" eines mittelständischen Betriebs. Und nicht nur das: Bereits 2016 bei seiner Vorstellung zur Wahl des Landesschatzmeisters seiner Partei in Sachsen-Anhalt übertrieb der ungelernte Berufspolitiker wohl maßlos.*
Sein Lebenslauf und was wirklich hinter seinen angeblich 15 Jahren Berufserfahrung außerhalb der Politik steckt:
- "Hochbegabten-Stipendium der Friedrich-Naumann-Stiftung (2006-2010)"
Mit dieser klangvollen Qualifikation bewarb sich Bausemer 2016* für das Amt des Landesschatzmeisters seiner Partei in Sachsen-Anhalt. Das Problem: Ein "Hochbegabten-Stipendium" gibt es bei der Friedrich-Naumann-Stiftung überhaupt nicht, wie t-online von der Stiftung erfuhr. Stattdessen nahm er während seines Studiums im Programm der "Begabtenförderung" teil.** 2010 brach er das Studium nach dem Vordiplom ohne Abschluss ab. Zumindest einen Universitätsabschluss hat er nie behauptet.
- "Journalistische Berufsausbildung beim Mitteldeutschen Rundfunk (Volontariat)"
Bausemer hat allerdings – anders als bei der AfD-Europawahlversammlung angegeben – laut MDR auch keine Berufsausbildung. Beim angeblichen MDR-"Volontariat" handelte es sich um ein neunmonatiges Volontariatspraktikum, das er 2010 während seines Studiums absolvierte und das demnach nicht als Berufsabschluss gilt. Der Sender bestreitet deswegen Bausemers Angaben, wie t-online bereits berichtete. Üblicherweise dauern Volontariate mehrere Jahre, beim MDR in der Regel mindestens 18 Monate. (Update, 15.8.2023: Mittlerweile widerlegen auch Universität und Studienordnung Bausemers Behauptung, wie Recherchen von t-online ergaben.)
- "Journalistische Tätigkeit mit Schwerpunkt Sport (u.a. Saarländischer Rundfunk, Saarbrücker Zeitung, CenterTV Bremen, Allgemeine Zeitung Uelzen)"
Dass auch Bausemer selbst kaum von einer abgeschlossenen Berufsausbildung ausging, legt eine weitere Station seines Lebenslaufs nahe. Bei der Allgemeinen Zeitung Uelzen begann der damalige FDP-Kommunalpolitiker 2015 nämlich tatsächlich ein Volontariat, das mit einem Berufsabschluss geendet hätte – ohne in seiner Bewerbung auf eine angeblich bereits abgeschlossene journalistische Ausbildung hinzuweisen.
"In Herrn Bausemers Bewerbung stand nach Angaben aus dem Vorzimmer unserer Geschäftsführung nichts von einem bereits abgeschlossenen Volontariat", sagte der Redaktionsleiter t-online. "Hätte er das angegeben, hätte ihn unser Verlag ja nicht ein weiteres Volontariat absolvieren lassen."
Das Volontariat bei der AZ Uelzen endete für Bausemer allerdings nicht erfolgreich. Nach wenigen Wochen wurde er noch in der Probezeit gekündigt. Als freier Mitarbeiter hat er laut Angaben der Zeitung nie gearbeitet.
Auch seine übrigen angegebenen Referenzen sind laut Recherchen von t-online äußerst fragwürdig – Arbeitsproben lassen sich kaum finden. Und das, obwohl er noch 2016 bei der Wahl des AfD-Landesschatzmeisters angab, als "Freier Journalist" zu arbeiten.*
Beim Saarländischen Rundfunk war er laut Auskunft des Senders lediglich als junger Mann von 2003 bis 2005 studentischer Mitarbeiter, "hauptsächlich als Produktionshelfer". Laut einer aktuellen Stellenausschreibung helfen die Studenten bei Auf- und Umbauten und bei der Verkabelung. Dafür sind demnach "keine oder nur geringe Vorkenntnisse" notwendig.
Bei der Saarbrücker Zeitung sind laut Redaktion keine Beiträge von ihm im Archiv zu finden. Sein Name ist dort unbekannt. Selbst Mitarbeiter, die seit Jahrzehnten dort arbeiten, können sich nicht an ihn erinnern. Seine angebliche Arbeit für center.tv Bremen konnte t-online bislang nicht überprüfen. Der Sender existiert seit 2013 nicht mehr.
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Auf Anfrage von t-online nach weiteren Referenzen schrieb Bausemer: "Da ich seit vielen Jahren nicht mehr als Journalist arbeite, ist dort bei mir privat auch wenig archiviert." Dazu schickte er einen Text aus der Mitteldeutschen Zeitung von 2008 – im Archiv dort fand die Chefredaktion aber bislang lediglich zwei Lokalsport-Texte von ihm. Insgesamt hat er wohl ein Honorar in Höhe von 34 Euro und acht Cent von der Zeitung erhalten.
Liegt seine 15-jährige Berufserfahrung also, obwohl er noch 2016 behauptete "Freier Journalist" zu sein*, fast ausschließlich in dem weiter von ihm als Referenz angegebenen Landwirtschaftsbetrieb? Auch seine Angaben zu seiner dortigen Tätigkeit sind zweifelhaft.
- "Geschäftsführer mittelständischer Landwirtschaftsbetrieb seit 2012, mittlerweile Nebenerwerb"
Bei dem mittelständischen Landwirtschaftsbetrieb handelt es sich um den Geflügelhof seiner Eltern. Der Haken: Der Betrieb ist nicht im Handelsregister eingetragen, als sogenannte "Urproduktion" zur Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte auch nicht im Gewerberegister.
Und bei derlei Betrieben existiert keine Geschäftsführung, "denn bei einem Einzelunternehmen können der Inhaber und derjenige, der den Betrieb führt, nicht auseinanderfallen", heißt es in einem Leitfaden des Bundeswirtschaftsministeriums für Existenzgründer, den ein Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz geschrieben hat. Neben dem Betriebsnamen solle unbedingt der "vollständige bürgerliche Name sowie (…) Anschrift" aufgeführt sein. Gleiches empfehlen auch die Industrie- und Handelskammern.
Der Hof der Bausemers taucht allerdings seit mindestens 2009 bis heute unter dem Namen seiner Mutter mit zugehöriger Anschrift im Internet auf. Auch öffentliches Werbematerial findet sich bis mindestens 2020 unter diesem Namen. Der AfD-Politiker selbst wird auf der Homepage unverändert als zuständig für "Werbung und Vertrieb" genannt.
Noch 2015 – als Bausemer also nach eigenen Angaben bereits drei Jahre "Geschäftsführer" gewesen sein will – schrieb die Lokalzeitung "Volksstimme" über den Hof der Mutter, dort sei auch die Hilfe "von Sohn Arno gefragt". In einem weiteren Artikel heißt es: "Außerdem hilft er seinen Eltern am Wochenende auf deren Geflügelhof bei der Buchhaltung und beim Verkauf."
All das klingt auch umgangssprachlich nicht unbedingt nach Geschäftsführung. Erst 2022 verkündete Arno Bausemer in der "Volksstimme", er habe den Hof nach dem Tod seines Vaters im Nebenerwerb übernommen. Etwa seit diesem Zeitraum verzichtete offenbar auch öffentliches Werbematerial auf den Namen der Mutter.
Stellungnahme von Bausemer
Bausemer hat eine Frage von t-online, ob und seit wann er Inhaber des Hofs ist, nicht beantwortet. Auch weitere Fragen zu seiner Vita, mit der er sich zum AfD-Kandidaten für die Europawahl küren ließ, beantwortete er nicht und drohte stattdessen mit rechtlichen Schritten. Dem MDR sagte er lediglich: "Volontariat ist Volontariat. Ich werde diesen Lebenslauf genauso lassen. Es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern." Der "Volksstimme" sagte er: "Ich lasse mir meine Ausbildung nicht madigmachen."
Hält die Partei trotz allem an Bausemer als ihrem Listenplatz 10 fest und schickt ihn damit ins Europaparlament? Der Bundesvorstand ließ die Frist zur Bitte um Stellungnahme unbeantwortet verstreichen.
- * In einer früheren Version des Artikels hieß es, Bausemer habe diese Angabe 2020 gemacht, tatsächlich machte er sie 2016 zum Sonderparteitag des Landesverbands in Eisleben.
- ** Diese Information wurde nach Veröffentlichung von der Friedrich-Naumann-Stiftung nachgeliefert. Wir haben sie entsprechend ergänzt.
- Eigene Recherchen
- Anfrage Mitteldeutsche Zeitung
- Anfrage Mitteldeutscher Rundfunk
- Anfrage Friedrich-Naumann-Stiftung
- Anfrage Arno Bausemer
- Anfrage Saarbrücker Zeitung
- Anfrage Allgemeine Zeitung Uelzen
- Anfrage Saarländischer Rundfunk