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Zum journalistischen Leitbild von t-online.AfD-Spitzenmann Krah Eine gefährliche Wahl
Ein hoch umstrittener Kandidat setzt sich durch: Der Sachse Maximilian Krah ist Spitzenmann der AfD für die EU-Wahl 2024.
Maximilian Krah reißt sein Publikum von den Stühlen. In sieben Minuten beschwört der 46-Jährige auf der Bühne in der Magdeburger Messehalle die Kraft der AfD, feiert das aktuelle Umfragehoch, verweist auf die Wahl des ersten AfD-Landrats im thüringischen Sonneberg. "Damit sind wir nicht zufrieden, wir wollen ganz Deutschland zu einem großen Sonneberg machen", ruft er laut.
Dann wettert Krah gegen die Grünen und innerparteiliche Schmutzkampagnen, spricht von Herzen, die beim Klang deutscher Märchen "tanzen" und davon, dass bei der AfD kein Mensch vergessen werde. "Wir stehen zusammen, denn wir sind ein Volk."
Mit Europa hat Krahs Rede wenig zu tun, Deutschland und die AfD stehen im Fokus. 20 Minuten später aber steht fest: Krah hat es geschafft, er ist der Spitzenkandidat der AfD für die EU-Wahl 2024. Damit setzt sich nach dem letzten Parteitag im Juni 2022 im sächsischen Riesa erneut der völkische Flügel der AfD deutlich durch.
370 der Delegierten (65,7 Prozent) in der Magdeburger Messehalle haben nach seiner Bewerbungsrede für ihn gestimmt. Sein einziger Konkurrent für den Listenplatz 1, der Berliner Andreas Otti, erhält 142 Stimmen und damit 25,2 Prozent. 51 Delegierte lehnen beide Kandidaten ab, 8 enthalten sich.
Ein fast unmöglicher Kandidat
Dabei ist Krah ein eigentlich fast unmöglicher Kandidat. Er sitzt zwar schon seit 2019 für die AfD im EU-Parlament. Seit Februar aber ist er wegen Betrugsvorwürfen suspendiert aus der Fraktion "Identität und Demokratie", der die AfD unter anderem zusammen mit der italienischen Lega und dem französischen Rassemblement National angehört. Krah bestreitet die Vorwürfe. Vielen in Magdeburg ist das genug. Es gelte das Prinzip: unschuldig, bis ein Urteil gesprochen wurde; so sehen es hier viele.
Es ist allerdings nicht das erste Mal, das Krah suspendiert wurde. Im vergangenen Jahr hat er sich im französischen Wahlkampf statt für Marine Le Pen vom Rassemblement National für das Lager des rechtsextremen Eric Zemmour ausgesprochen – schon damals wurde er wegen der "wiederholten Verletzung von Treue- und Loyalitätspflichten gegenüber der Fraktion" zeitweise ausgeschlossen. In der Kritik stehen außerdem seine engen Verbindungen zu Politikern in Russland sowie China.
Eigenwillig, unkontrollierbar, skandalanfällig – so blicken nicht nur in der AfD viele auf Krah. Seine Wahl könnte deswegen auch die Partner der AfD auf EU-Ebene düpieren. Und das, obwohl Parteichefin Alice Weidel in Magdeburg immer wieder betont, wie wichtig gerade jetzt, angesichts der aktuellen Erfolgswelle, die Zusammenarbeit der AfD mit ihren Partnerparteien im EU-Parlament ist.
Jagd nach Stimmen
"Lächerlich" und "unmöglich" mache sich die Partei mit Maximilian Krah, so fassten es am Freitagabend manche Delegierte zusammen. Mindestens einen Versuch, in einem Gespräch beim Parteivorstand am Vorabend noch einmal mit Nachdruck auf den Thüringer Landtagsabgeordneten René Aust als Spitzenkandidaten zu dringen, soll es gegeben haben.
Geholfen hat es den Krah-Gegnern nicht. Denn auch Krah und seine Unterstützer sammelten am Freitagabend parallel Stimmen. Während seine Gegner schäumten, der Rest der Partei ihr zehnjähriges Jubiläum feierte, die Parteichefs Weidel und Chrupalla auf der Bühne Reden hielten, schüttelte er in und vor der Messehalle in Magdeburg Hände.
Mit Erfolg, wie sich am Samstag zeigte. Einer der wichtigsten Unterstützer von Krah: Björn Höcke. Der Thüringer Landeschef bezog am Samstagmorgen im ARD-Interview in der Halle deutlich Position: Krah sei der beste Spitzenkandidat für die AfD zur Europawahl. Damit konnte Krah auf die geschlossene Unterstützung des starken rechtsextremen Flügels setzen. Damit war auch Aust als Gegenkandidat vom Tisch. In der Thüringer AfD gilt Höckes Wort als Gesetz.
"Wer sind Sie eigentlich?"
Von einem Dutzend möglicher Gegenkandidaten, die im Vorfeld in der Partei heiß diskutiert wurden, blieb am Ende nur ein Einziger, der es wagte, gegen Krah zu kandidieren. Mit Andreas Otti meldete sich ein ehemaliger Offizier der Bundeswehr, der seit 2015 Bezirksvorsitzender im Berliner Bezirk Spandau ist. In seiner Bewerbungsrede widmete er sich durchaus stärker als Krah dem Thema EU, kritisierte die "Massenmigration" und eine "supranationale Fallbeilmaschine".
Bezeichnend aber war die Frage, die aus dem Plenum an Otti gerichtet wurde: "Wer sind Sie eigentlich?", fragte da einer der Delegierten ehrlich verblüfft. Dass Otti als weitgehend Unbekannter, noch dazu aus dem mitgliederschwachen Landesverband Berlin, auf dem Spitzenplatz kandidierte, ging dann auch in der AfD einigen nicht auf.
Mit 25,2 Prozent der Stimmen schnitt Otti als völlig Unbekannter gegen den EU-Abgeordneten Krah dennoch mit einem Achtungserfolg ab. Infrage steht damit zumindest, was Krah nach Bekanntgabe des Ergebnisses auf der Bühne erleichtert verkündet: Nach einer wochenlangen Schmutzkampagne gegen sich, fühle es sich gut an, "Freunde zu haben".
- Eigene Recherchen und Beobachtungen auf der Europawahlversammlung der AfD in Magdeburg