Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Heizungsstreit der Ampel Es kippt
In letzter Minute hat die Ampel das Heizungsgesetz in den Bundestag bekommen. Eine Regierungskrise ist vorerst abgewendet – doch der Streit wird weitergehen.
So richtig einfach ist es mit der trauten Dreisamkeit in der Ampelkoalition wohl nie. Auch am Dienstagabend um kurz vor halb sechs nicht, als die Dreisamkeit eigentlich ihren großen Auftritt haben soll. SPD, Grüne und FDP haben endlich geschafft, was sie monatelang nicht vermochten: Sie haben sich geeinigt. Das Heizungsgesetz wird in den Bundestag kommen und soll noch vor der Sommerpause beschlossen werden.
Und die drei Fraktionschefs sollen das jetzt verkünden. Gemeinsam, eigentlich. Christian Dürr für die FDP, Katharina Dröge für die Grünen und Rolf Mützenich für die SPD. Dürr und Dröge haben sich rechts neben einer grauen Wand platziert, vor die sie gleich treten und in die Mikrofone reden wollen. Mützenich nicht.
Der SPD-Fraktionschef war schon ein paar Minuten früher da und steht nun etwas verloren in einem Pulk von Journalisten. Als er die beiden bemerkt, muss er sich mit seinem Pressesprecher erst den Weg durch Menschen und Absperrbänder bahnen. Es dauert etwas, bis die drei dann wirklich vereint sind vor den vielen Mikrofonen. Aber warum sollten die letzten Meter auch einfacher sein als die letzten Monate.
Hat doch alles geklappt, könnte man jetzt sagen. Und das sagen die drei dann in etwas unterschiedlichen Worten vor den Mikrofonen auch. Doch in Wahrheit zeigte sich auch am Dienstag noch mal im Kleinen, was die vergangenen Monate, Wochen, Tage im Großen ablief: Die Verhandler verkanteten sich immer wieder, gefundene Lösungen waren auf einmal keine mehr.
Und am Ende brauchte es die Chefs, um überhaupt irgendein Ergebnis zu haben. Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner kamen in den Bundestag und durchschlugen den Knoten. Was es nun gibt, ist ein zweiseitiges Kompromisspapier und die Zusage, dass der Gesetzentwurf noch in dieser Woche in erster Lesung ins Parlament kommt.
Was dieses Papier wert ist, wie belastbar die Einigung wirklich ist, die hinter den wenigen Worten auf den zwei Seiten stehen – das wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen. Die Streithistorie der Ampel und die ersten Wortmeldungen lassen vermuten, dass an entscheidenden Stellen noch heftig gestritten werden dürfte.
Ringen seit zwei Wochen
Dass sich die Ampelkoalition jetzt überhaupt so darüber freut, dass sie einen ihrer Gesetzentwürfe in den Bundestag gebracht hat, sagt schon viel über die verkorksten Wochen und Monate aus. Und die konträren Standpunkte der Parteien. Denn genug zusammengesessen haben die Verhandler wahrscheinlich.
Seit zwei Wochen verhandeln die Fraktionsvizes immer wieder, um den vom Bundeskabinett längst beschlossenen Entwurf ins parlamentarische Verfahren zu bekommen. Das Wochenende sprachen sie quasi durch, Samstag zwölf Stunden, Sonntag zwölf Stunden, am Ende mit den Fraktionschefs. Ohne Einigung.
Montag ging es weiter, Fraktionsvizes, Fraktionschefs, inklusive einer telefonischen Standleitung ins Wirtschaftsministerium von Robert Habeck. Bis 3 Uhr in der Nacht soll es gegangen sein. An diesem Dienstagmorgen geht es dann weiter, aber: nichts. Die Parlamentarischen Geschäftsführer können das Gesetz also mittags nicht auf die Tagesordnung des Bundestags setzen. Und langsam wird die Zeit knapp.
Absurde Szenen im Bundestag
Wie chaotisch alles bis zuletzt ist, lässt sich am Dienstag ab 12.30 Uhr im Bundestag begutachten. Die Grünen hatten zu einem Pressestatement eingeladen. Eine halbe Stunde aber passiert erst einmal: gar nichts. Dann heißt es: Es dauert noch eine weitere halbe Stunde. Zwei Minuten später: Es dauert doch nur noch 15 Minuten.
Doch es nützt alles nichts, die Grünen werden von der FDP überholt. Wenige Hundert Meter entfernt tritt Fraktionschef Dürr vor die Kameras. Die Hauptjournalisten eilen also erst mal zur FDP. Doch Dürr spricht nur wenige Minuten, da regt sich auch bei den Grünen etwas. Also pilgert die Hälfte der Meute wieder zurück.
Nur, um von Fraktionschefin Dröge zu erfahren, was Dürr in anderen Worten ein paar Hundert Meter weiter schon verkündet hat: "Noch ist das Kind nicht auf der Welt."
Die Chefs müssen kommen
Das Kind auf die Welt müssen am Ende die großen Drei der Ampelregierung holen: Scholz, Habeck, Lindner. Sie kommen am frühen Nachmittag zu den Gesprächen dazu. In der Sache, so ist zu hören, sollen sie gar nicht mehr so viel verändert haben. Aber offensichtlich braucht es eine weitere große Geste, damit alle an Bord kommen. Besonders die FDP.
Die Liberalen waren in den vergangenen Monaten in der Rolle der Blockierer. Lange hielten sie das Heizungsgesetz quasi nicht für tragbar, wollten eigentlich ein komplett neues Gesetz. Sie stellten sich quer, verhinderten in der vergangenen Sitzungswoche die Beratung im Bundestag. Unter anderem angetrieben von Frank Schäffler, dem "Heizungsrebellen", der mit geschickter Machtpolitik innerhalb der FDP eine breite Front gegen das ursprünglich geplante Gesetz organisierte.
Es schimmerte dabei auch immer ein wenig der alte, fast schablonenhafte Konflikt durch: Die FDP sah die Grünen als Verbotspartei, die den Menschen im Detail vorschreiben wollen, wie sie exakt heizen – völlig egal, was das kostet. Bei den Grünen war man davon genervt, verwies auf die diversen Ausnahmen, die das Gesetz ohnehin schon vorsah. Wenn man mit Grünen sprach, fielen Worte wie "Populismus", den die FDP betreibe.
Am Dienstag aber scheinen die Bedenken der FDP wie weggewischt. Erst einmal. Als er mit seinen beiden Ampelkollegen vor der grauen Wand an den Mikrofonen steht, sagt FDP-Fraktionschef Christian Dürr irgendwann sogar: "Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen." Man habe "fundamentale Änderungen" am Gesetz durchsetzen können (Näheres zu den Details lesen Sie hier.).
Deutungsschlacht um zwei Seiten Papier
Wie nachhaltig die gute Laune in der Ampelkoalition ist, wird sich erst in den nächsten Wochen wirklich zeigen. Bislang ist der Kompromiss ein zweiseitiges Papier mit diversen Formulierungen, über die schon im Nachgang eine Deutungsschlacht entsteht.
Die FDP etwa betont, dass nun ab 2024 erst mal weiterhin Gasheizungen eingebaut werden können, auch fossile. Zumindest so lange, bis es dann eine kommunale Wärmeplanung im Wohngebiet gibt, die bis spätestens 2028 überall stehen soll.
Die Grünen hingegen betonen, dass das zwar generell so stimme, es aber beim Gasheizungskauf eine verpflichtende Beratung der Hausbesitzer geben solle. Weil nämlich ab 2028 dann eben mit der kommunalen Wärmeplanung auch die Pflicht zu 65 Prozent erneuerbarem Heizen besteht. Und möglicherweise teure Umrüstungen nötig werden. Oder sogar eine neue Heizung.
Ebenso unklar erscheint bislang, wie der Umbau der Gasnetze in Wasserstoffnetze funktionieren soll. Der bislang im Entwurf geforderte feste Transformationsplan, in dem die Netzbetreiber bestimmte Fristen zur Beimischung von erneuerbaren Gasen und Wasserstoff einhalten und garantieren mussten, ist mit der jetzigen Einigung gekippt.
Der FDP war das schon lange zu streng. Nun sollen Kommunen und Netzbetreiber im Rahmen der Wärmeplanung einen "verbindlichen Fahrplan" mit "verbindlichen und nachvollziehbaren Zwischenzielen" vorlegen. Aber ob der am Ende genauso verbindlich sein wird, wie die Grünen es gerne hätten?
All das wird nun in den nächsten zweieinhalb Sitzungswochen im Bundestag verhandelt und in ein Gesetz gegossen werden müssen. Dass das ohne weiteren Streit abläuft, scheint nahezu ausgeschlossen. Einfacher wird es mit der Dreisamkeit also erst mal nicht.
- Eigene Recherchen
- Beobachtungen im Reichstag